Deutsche Redaktion

Financial Times: Neuer EU-Mechanismus könnte nie zum Einsatz kommen

25.11.2020 08:59
Der geplante Rechtsstaatlichkeitsmechanismus der Europäischen Union, der den Zugang zu EU-Geldern an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit knüpfen soll, wird in Praxis möglicherweise nie zum Einsatz kommen, schrieb die Financial Times (FT) am Dienstag.
Im Dezember 2017 unternahm die Europische Kommission den beispiellosen Schritt, Artikel 7 des EU-Vertrags gegen Polen einzuleiten.
Im Dezember 2017 unternahm die Europäische Kommission den beispiellosen Schritt, Artikel 7 des EU-Vertrags gegen Polen einzuleiten.pixabay.com

In einem Artikel der Zeitung hieß es, dass die geplanten rechtsstaatlichen Bedingungen der EU für ihren nächsten langfristigen Haushalt eine Krise ausgelöst haben, die die Verabschiedung des 1,8 Billionen Euro schweren Pandemie-Rettungspakets des Blocks bis Ende des Jahres zu verzögern droht. Die FT berichtete, dass Ungarns Premierminister Viktor Orban, einer der schärfsten Kritiker des Rechtsstaatlichkeitsmechanismus, die Maßnahme als politisch motivierten und illegalen Versuch dargestellt habe, seine Regierung durch das Zurückhalten von Geldern zu bestrafen. In der Zwischenzeit haben viele europäische Gesetzgeber das Instrument als "einen muskulösen Weg begrüßt, um - endlich - Verletzungen der EU-Werte durch illiberale Regierungen zu sanktionieren", so das Blatt. "Die Realität ist, dass beides nicht ganz stimmt", heißt es in dem Kommentar von Mehreen Khan und David Hindley für die FT.

Die Autoren argumentieren, dass der Textentwurf des Mechanismus, wenn er vollständig gelesen wird, zeigt, dass "die EU wohl ihre Gelegenheit verpasst hat, einen Sanktionsmechanismus mit Zähnen zu schaffen, und sich stattdessen für einen entschieden hat, der in Praxis vielleicht nie zum Einsatz kommen wird". Khan und Hindley zitierten einen anonymen Beamten des Europäischen Parlaments, mit der Aussage, dass die Maßnahme, auf die sich die Europaabgeordneten und EU-Diplomaten diesen Monat geeinigt hatten, "kein rechtsstaatlicher Mechanismus, sondern ein verfahrenstechnisch fehlerhaftes Instrument zur Korruptionsbekämpfung" sei. All dies "wirft die grundlegende Frage auf, ob der Rechtsstaatlichkeitsmechanismus jemals angewandt wird", so der FT-Artikel. EU-Beamte werden darin zitiert, die behaupten, dass die Europäische Kommission wahrscheinlich nicht riskieren werde, Sanktionen gegen irgendeinen Mitgliedsstaat auszulösen, weil ein solcher Schritt vor Gericht keine Chance hätte. Die FT-Autoren zitierten einen Beamten, der überzeugt, dass der vorgeschlagene Rechtsstaatlichkeitsmechanismus "niemals durchgesetzt werden wird und nur politische Ressentiments auf allen Seiten erzeugen wird"

Polnischer Premierminister: "Willkürliche und politisch motivierte Kriterien"

Der EU-Haushalt muss einstimmig von den 27 Mitgliedsstaaten des Blocks verabschiedet werden. Polen hat davor gewarnt, sein Veto gegen den EU-Haushalt 2021-2027 einzulegen, falls der Zugang zu EU-Geldern an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit angeknüpft werde. Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki sagte diesen Monat gegenüber den EU-Staats- und Regierungschefs, sein Land sei gegen die Anwendung "nicht-objektiver Kriterien", um zu entscheiden, wie viel Geld die Mitgliedsstaaten aus Brüssel erhalten sollten. Morawiecki schrieb zuvor in einem Brief an die Staats- und Regierungschefs des Blocks, sein Land könne einen solchen Mechanismus nicht akzeptieren, weil er auf "willkürlichen und politisch motivierten Kriterien" beruhe.

Er argumentierte, dass ein solches System "zur Sanktionierung der Anwendung doppelter Standards und einer unterschiedlichen Behandlung einzelner EU-Mitgliedsstaaten führen könnte". Morawieckis Brief kam, nachdem Verhandlungsführer des Europäischen Parlaments und der deutschen EU-Präsidentschaft diesen Monat eine Einigung über den Rechtsstaatlichkeitsmechanismus für den Haushalt 2021-2027 des Blocks erzielt hatten; ein Vorstoß, der in Polen und Ungarn auf Kritik gestoßen ist, berichtete die polnische Nachrichtenagentur PAP.

Im Dezember 2017 unternahm die Europäische Kommission den beispiellosen Schritt, Artikel 7 des EU-Vertrags gegen Polen einzuleiten und damit den Druck auf Warschau wegen umstrittener Justizreformen zu erhöhen. Polen und Ungarn haben die Anschuldigungen der EU, demokratische Prinzipien zu verletzen und die Unabhängigkeit ihrer Gerichte zu untergraben, zurückgewiesen. Die meisten Polen sind gegen die Idee, den Zugang zu EU-Geldern an die Achtung der sog. Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen, wie eine kürzlich durchgeführte Umfrage ergeben hat.


FT/ps