Deutsche Redaktion

Dialog der Tauben. Der Streit zwischen Polen und EU

27.10.2021 10:36
„Die Europäische Union verhält sich immer mehr wie eine imperiale Macht. Das zeigt der Streit mit Polen und die Art und Weise, wie sie Polen zum Einlenken zwingen will“ - schreibt Andrew Tettenborn, Juraprofessor an der Swansea University, im Online-Magazin „Spiked“.
Prof. Andrew Tettenborn
Prof. Andrew Tettenbornfot. Swansea University

Laut dem Autor, habe das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts über den Vorrang der polnischen Verfassung im Falle eines Konflikts mit EU-Recht, das EU-Establishment in Verlegenheit gebracht. Sie hat das seit über 50 Jahren bestehende Dogma untergraben, dass EU-Recht immer Vorrang vor nationalem Recht hat – ob verfassungsmäßig oder nicht. Und er bezeichnet den Austausch von Argumenten zwischen der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, und dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki letzte Woche im Europäischen Parlament, als „Dialog der Tauben“.

„Das Hauptproblem für die EU ist, dass das, was Morawiecki sagt, zum großen Teil richtig ist. (...) Die eigentliche Frage ist natürlich eine politische. Und hier steht Morawiecki auf festem Boden. Brüssel möchte, dass seine expansiven und nicht rechenschaftspflichtigen Gerichte einen Freibrief erhalten, um zu bestimmen, was in die Zuständigkeit der EU fällt, ohne sich mit den Unannehmlichkeiten der nationalen Verfassungen herumschlagen zu müssen. Dies lässt sich nur schwer mit der – auch von Brüssel propagierten – Vorstellung vereinbaren, dass die EU nichts anderes ist als ein Block souveräner Staaten“, meint Tettenborn.

Er schätzt ein, dass die Lektüre des von Morawiecki nach Brüssel gesandten Schreibens für die Adressaten sicherlich schmerzhaft war. Darin beschreibt der polnische Premierminister die „allmähliche Umwandlung (der EU – PAP) in ein Gebilde, das aufhören würde, ein Bündnis freier, gleicher und souveräner Staaten zu sein, und zu einem einzigen, zentral verwalteten Organismus werden würde, der von Institutionen geleitet wird, die der demokratischen Kontrolle durch die Bürger der europäischen Staaten entzogen sind“.

Tettenborn betont, dass „Einschüchterungsversuche, wie sie von der Leyen in der vergangenen Woche unternommen hat, dem Ruf Brüssels, insbesondere in Ost- und Mitteleuropa, nicht guttun“. „Diese Länder haben eine lange Geschichte der Besetzung durch unerwünschte Regime – nicht nur durch die Sowjets nach 1945, sondern auch durch Österreich, Russland und die Osmanen. Brüssel sollte sich daran erinnern, dass Polen und andere Mitglieder der problematischen EU-Zusammensetzung, wie Ungarn und Rumänien, stolze, unabhängige Länder sind. Es ist unwahrscheinlich, dass sie die Idee gut finden, dass die EU ihnen nur unter der Bedingung Geld gibt, dass sie tun, was man ihnen sagt“ - merkt der Autor an.

Er weist darauf hin, dass die Polen derzeit überzeugte Befürworter der EU-Mitgliedschaft sind, aber wenn die Finanztransfers, die Polen von Brüssel erhält, jedes Mal verschwinden, wenn Brüssel die polnische Regierung nicht mag, wird die Begeisterung für die EU wahrscheinlich nachlassen. Und wie er betont, ist das Letzte, was die EU benötigt, ein „Polexit“, das in einer schlechten Atmosphäre stattfindet. Er weist auch darauf hin, dass es andere Mächte wie China gibt, die die Lücke füllen werden, wenn die EU keine Gelder mehr für Polen bereitstellt. 

„Die EU hat eine Wahl. Sie kann versuchen, von ihren östlichen Ländern die Art von Compliance zu erzwingen, die sie von ihren westlichen Mitgliedern gewohnt ist. Dies würde eine Menge Ärger verursachen und wenig Nutzen bringen. Alternativ könnte die EU pragmatisch vorgehen und sich nicht um technische Fragen wie den Vorrang des EU-Rechts kümmern. Sie könnte ihren Mitgliedern aus dem Nahen Osten, zu denen sie immer noch eine große Loyalität genießt, mehr Spielraum lassen, um ihren eigenen Weg zu gehen. Es besteht kein Zweifel, welche dieser beiden Richtungen sinnvoller ist. Die Frage ist, ob die Ideologen in Brüssel die Vorstellungskraft oder die Bescheidenheit haben werden, einen Rückzieher zu machen. Ich verlasse mich nicht darauf“.


PAP/ SL