Deutsche Redaktion

Politischer Nullpunkt

08.11.2019 13:13
Die Entscheidung von EU-Ratspräsident Donald Tusk, nicht bei den kommenden Präsidentschaftswahlen anzutreten, bedeutet das Ende einer Epoche und einen gewissen Reset in der polnischen Politik, schreibt in seinem Kommentar für die konservative Rzeczpospolita der Publizist Michał Szułdrzyński.
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Rzeczpospolita: Politischer Nullpunkt

Die Entscheidung von EU-Ratspräsident Donald Tusk, nicht bei den kommenden Präsidentschaftswahlen anzutreten, bedeutet das Ende einer Epoche und einen gewissen Reset in der polnischen Politik, schreibt in seinem Kommentar für die konservative Rzeczpospolita der Publizist Michał Szułdrzyński. Nach zwei Jahrzehnten die vom Konflikt zwischen Kaczyński und Tusk geprägt worden seien, so der Autor,  werfe der letztere nun das Handtuch. Anfangs, erinnert Szułdrzyński, hätten sich die Bürgerplattform und die Recht und Gerechtigkeit nicht stark voneinander unterschieden, doch schon 2005 habe der Streit zwischen diesen Parteien den ganzen politischen Raum in Polen gefüllt. Die Recht und Gerechtigkeit habe auf gesellschaftliche Solidarität, Traditionalismus und Nationalstolz gesetzt. Die Bürgerplattform habe sich indes auf Pragmatismus, Positivismus und gemäßigten gesellschaftlichen Progressivismus festgelegt. Diesen ideologischen Zwist hätten eben Tusk und Kaczyński personifiziert. Einmal habe der eine gewonnen, einmal der andere.

Und auch, so Szułdrzyński weiter, als Tusk nach Brüssel gefahren sei, habe weiterhin er das Anti-PiS-Lager symbolisiert. Auch als Grzegorz Schetyna den Vorsitz in der Bürgerplattform übernommen habe und die Nowoczesna-Partei entstanden sei, sei Tusk der wichtigste Bezugspunkt geblieben. Auf ihn habe die Opposition mit Sehnsucht gewartet.

Doch der ehemalige Bürgerplattformchef habe entschieden, nicht zurückzukehren. Und den Sieg kampflos an Kaczyński abzugeben. Der zehn Jahre ältere, oft ausgelachte und provozierte, unmoderne Kaczyński, habe den Krieg um die Seelen der Polen gewonnen.

Doch auch wenn die PiS triumphiere, für die Regierungspartei sei der Rückzug Tusks ebenfalls ein enormes Problem. Denn wenn nun der Schatten Tusks aus der polnischen Politik verschwinde, würden auch die Konservativen ihren Bezugspunkt verlieren. Der Triumph Kaczyńskis werde nicht ewig dauern, da die Natur kein Vakuum leide. 

Daher, so Szułdrzyński, sei der Abschied des EU-Ratschefs von der polnischen Politik eine Chance auf einen Reset des politischen Streits und darauf, die Spielregeln neu zu schreiben. Vielleicht werde es erneut Kaczyński sein, der den neuen Feind definiert, um den sich die ganze politische Debatte drehen werde. Vielleicht gehe aber auch er gerade in die Geschichte ein und der neue Streit werde von jemand anderem definiert. Wem es gelinge, die neuen Fronten zu benennen, der werde die polnische Politik im kommenden Jahrzehnt beherrschen, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita. 

 

Gazeta Wyborcza: Magische Haushaltstricks 

Nach den vollmundigen Wahlversprechen, dauere in der PiS nun hinter geschlossenen Türen eine chaotische Suche nach zusätzlichen Mitteln, um die schwarze Null im Haushalt zu erhalten, lesen wir in der linksliberalen Gazeta Wyborcza. Derzeit sehe es danach aus, dass es der Regierung durch einige Finanztricks gelingen werde, diese schwarze Null im kommenden Jahr noch zu retten. Doch da dies durch einmalige Einkommen und Verschiebungen von Mitteln erfolge, frage man sich, woher die Regierung das Geld für ihre Sozialprogramme in den kommenden Jahren nehmen wolle. Die potentiellen Lösungen? Neben der weiteren Besteuerung von Arbeitsverträgen, lesen wir, würde die Regierungspartei derzeit auch eine Anhebung der Mehrwertsteuer für Alkohol und Zigaretten um sogar bis zu 6 Prozent erwägen.

Seit zwei Jahren, erinnert Wyborcza, würden die Steuereinnahmen aus dem Zigaretten-Verkauf Rekordwerte erreichen. 2018 habe der Staat 19,8 Milliarden Złoty aus dieser Quelle erhalten, in diesem Jahr seien 20,5 Milliarden Złoty geplant. Eine zu drastische Anhebung der Mehrwertsteuer könnte jedoch, wie Experten betonen, die Entwicklung eines Schwarzmarkts nach sich ziehen, was die Einnahmen mindern würde, statt sie zu vergrößern. Zudem habe die Regierung auch große Supermaktketten auf dem Fadenkreuz, die sie stärker mit Steuern belasten wolle. Schließlich sondiere die PiS offenbar auch, wie sie die Ausgabenregel lockern könnte, die in Zeiten guter Konjunktur ein Oberlimit auf Staatsausgaben definiert, lesen wir in der Gazeta Wyborcza. 

 

Rzeczpospolita: Aufwachen vom Sharing Economy Dream 

Und zur Abrundung noch ein Kommentar zum Taxi-Markt in Polen aus der Rzeczpospolita. Wie Publizistin Anita Błaszczak erinnert, werde ab Neujahr ein neues Gesetz die Fahrer bei Uber und ähnlichen Apps zum Besitz einer Taxi-Lizenz verpflichten. Die Gewinner dieser Änderung, so die Autorin, werden Fahrer mit Lizenzen sein, die sich für einige Zeit noch stärker als Herrscher des Arbeitsmarkts werden fühlen können. Die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Unternehmen werde sicherlich die Anhebung ihrer Verdienste erzwingen, besonders da die neuen Regelungen die Verfügbarkeit von ukrainischen Fahrern stark mindern werde.

Der Grund: Die meisten Ukrainer würden für etwa sechs Monate nach Polen kommen, da sie ohne Arbeitserlaubnis und der Möglichkeit eines ständigen Aufenthalts nur so lange in Polen arbeiten können. Für sie werde die Notwendigkeit des Lizenzerwerbs eine beträchtliche Hürde darstellen. Und wer werde am stärksten unter den neuen Regelungen leiden? Sie, ich, wir alle, die uns an die billigen Fahrten bei Uber gewöhnt haben. Und diejenigen, die sich tatsächlich mit der Idee der Sharing Economy identifiziert haben, die Uber und Co nicht als Vollzeitarbeit, sondern als Möglichkeit eines Zusatzverdienstes am Nachmittag nutzten. Sie werden sich eher nicht für den Erwerb von Lizenzen entscheiden, so Anita Błaszczak in der Rzeczpospolita. 

 

Autor: Adam de Nisau