Deutsche Redaktion

Putins Spezialoperation gegen Polen

23.01.2020 13:15
Führendes Thema in den Pressekommentaren sind die heutigen Holocaust-Gedenkfeierlichkeiten in Jerusalem. Was bezweckt Putin mit seiner Verleumdungskampagne gegen Polen? Wieso lässt Israel politisches Spiel mit dem Holocaust zu? Und wieso sollte man die russische Propaganda weder unter- noch überschätzen? Die Einzelheiten in der Presseschau.
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Führendes Thema in den Pressekommentaren sind die heutigen Holocaust-Gedenkfeierlichkeiten in Jerusalem. Staatspräsident Andrzej Duda hatte seine Teilnahme an den Feierlichkeiten abgesagt, da die Organisatoren keine Rede des polnischen Präsidenten vorgesehen haben. Kommentatoren erwarten eine Fortsetzung der im Dezember von Putin gestarteten Verleumdungskampagne gegen Polen, in der der russische Staatspräsident versucht, Polen die Mitschuld am Holocaust zu geben. 

 

Rp.pl: Putins Spezialoperation gegen Polen

In seinem Kommentar für das Internetportal der konservativen Rzeczpospolita, nennt der Chef der Abteilung für Nationale Sicherheit der Kanzlei des Premierministers Stanisław Żaryn vier Gründe für den neuesten geschichtlichen Feldzug des russischen Präsidenten gegen Polen. 

Erstens, so der Autor, stelle Polen derzeit für den Kreml die wichtigste Hürde bei der Realisierung von dessen strategischen Zielen in Europa dar. Die Geschichtspolitik der aktuellen Regierung, lesen wir, untergrabe effektiv die russischen Versuche der Geschichtsverfälschung und greife vor allem das ideologische Fundament des Putin-Regimes an - die Verherrlichung des Stalinismus. Denn, wenn die Sowjetunion international mehr als Verbündeter Hitlers, als dessen Bezwinger wahrgenommen werde, dann werde eine solche Narration - die die Bosheit dieses Staates unterstreicht - die imperialistischen Ambitionen Russlands untergraben. 

Zweitens sei Polen der Architekt eines Projekts, das Moskau derzeit als die größte Gefahr für seine neoimperialistische Strategie sieht - der Schaffung eines politischen und ökonomischen Blocks also, der die zwischen Russland und dem Westen liegenden Staaten, die bisher stets Opfer der Abkommen beziehungsweise Konflikte zwischen dem Kreml und Westeuropa waren. 

Der dritte Grund für die aktuelle Agression Russlands gegenüber Polen sei die energetische Sicherheit. Polen verringere derzeit mit Erfolg die Abhängigkeit von russischen Kohlenwasserstoffen. Das Land importiere auch immer weniger Öl aus dem Osten und habe angekündigt, den Jamal-Vertrag, der Polen von russischem Gas abhängig macht, nicht zu verlängern. Dafür vergrößere Polen den Import von Flüssiggas, unter anderem aus den USA und baue eine Pipeline, die dem Land Zugang zu norwegischen Vorkommen sichere. Damit könne Polen künftig zu einem Gas-Hub für ganz Mitteleuropa werden, dank dem auch Nachbarstaaten ihre energetische Abhängigkeit von Russland verringern können. 

Und schließlich sei da noch der vierte, wichtigste Grund der Verleumdungskampagne Putins gegen Polen: das immer engere politisch-militärische Bündnis Warschaus und Washingtons. Ein Bündnis, das nicht nur Polens Sicherheit stärke, aber auch die Vergrößerung der US- sowie NATO-Militärpräsenz auf der ganzen NATO-Ostflanke zur Folge habe. Dies wiederum sei eine Garantie der Stabilität nicht nur unseres Teils von Europa aber auf der ganzen Welt, so Stanisław Żaryn in seinem Kommentar für das Internetportal der Rzeczpospolita.  



Rzeczpospolita: Israel erlaubt Putin politisches Spiel mit Holocaust-Opfern

Wieso lasse aber Israel den Missbrauch der Gedenkfeierlichkeiten für politische Zwecke durch Russland zu? Dies hänge eng mit innenpolitischen Interessen von Premierminister Benjanim Netanjahu und dem Wahlkalender in Israel zusammen, schreibt im heutigen Aufmacher der Rzeczpospolita der Publizist Jędrzej Bielecki. In anderthalb Monaten, erinnert der Autor, würden die Wahlen in den Kneset nicht nur darüber entscheiden, ob Netanjahu an der Macht bleibe, aber auch ob er sich einer Gefängnisstrafe für Korruption entziehen könne. Daher wolle der israelische Premier, dank den Gedenkfeierlichkeiten so viele politische Ziele erreichen, wie möglich: von Putin hoffe er auf eine Garantie der Zusammenarbeit in Syrien, von US-Vizepräsident Mike Pence auf grünes Licht für die faktische Annexion des Jordangrabens und von Präsident Macron auf die Anerkennung des Hisbollah als Terrororganisation. 

Doch dieser Plan des israelischen Regierungschefs, lesen wir weiter, gerate zunehmend außer Kontrolle. Die Frage um die Abwesenheit von Polens Staatspräsident Andrzej Duda bei den Feierlichkeiten stelle nicht nur die Netanjahu-kritische, linksliberale israelische Zeitung Haarec und nicht nur die ganze israelische sowie internationale Presse. In Berlin, so Bielecki, habe man bis zum Ende analysiert, ob Bundespräsident Steinmeier, der am Donnerstag nach Putin sprechen werde, Polen in seinem Auftritt in Schutz nehmen sollte. Vor dem gleichen Dilemma habe auch der spanische König Philip VI gestanden, der im Namen der ganzen internationalen Gemeinschaft während des feierlichen Abendessens beim israelischen Staatspräsidenten am Mittwoch sprechen sollte. Der Monarch werde am Rande gesagt, als neben Deutschland einziger Chef eines der großen westeuropäischen Staaten auch an den Feierlichkeiten am 27. Januar in Auschwitz teilnehmen, so Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita. 

 

Dziennik/Gazeta Prawna: Überschätzung von Putins Propaganda genauso gefährlich, wie Unterschätzung

Im Allgemeinen fantasiere jeder Staat ein wenig in seiner Geschichtspolitik, beobachtet in seinem Kommentar zum Streit um die Geschichte für das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna der Publizist Zbigniew Parafianowicz. Ziel, so der Autor, sei dabei stets der Bau einer Narration, die mit der reellen Suche nach der Wahrheit durch Historiker wenig zu tun habe. So würden die Deutschen beispielsweise die Nazis der Nationalität berauben, in Mitteleuropa vor allem nach Hitlers Helfern suchen und die Rolle der - nicht mehr entnationalisierten - deutschen “Antifaschisten” hervorheben. Die Kanadier, lesen wir weiter, hätten aus dem polnischen Juden Juliusz Kühl, der zur Gruppe von Aleksander Ładoś gehörte, die Pässe fälschte, um Juden bei der Flucht zu helfen, einen Kanadier gemacht. Und die Schweizer würden versuchen, rund um die einzige schändliche Person, die an der Passfälschung beteiligt gewesen sei - den Rechtsanwalt Rudolf Hügli, der von den jüdischen Organisation Geld für Hilfe forderte - den Mythos der mit Sympathie zum Dritten Reich unbefleckten Konföderation zu bauen. 

All das, so der Autor, könne man mit ein wenig Wohlwollen noch als kreative Interpretation von Tatsachen verstehen. Putin würde in seiner Geschichtsverdrehung viel weiter gehen. Es wäre zwar ein Fehler, die russische Propagandamaschine zu unterschätzen, aber ebenso auch, sie zu überschätzen. Russland verfüge über einen starken Staatsapparat und über eine relativ effektive Diplomatie. Aber es sei kein omnipotentes Imperium, das allen und jederzeit seine Regeln aufzwingen könne. Der von Putin regierte Staat, erinnert der Autor, habe sich in Syrien und der Ukraine festgefahren. Er sei nicht im Stande Łukaschenko zu disziplinieren. Er habe bedeutende Niederlagen im Krieg der Geheimdienste erlitten, wie der gescheiterte Mordversuch an Siergiej Skripal oder der kuriose Putschversuch in Montenegro. Über die Effektivität Russlands im aktuellen Geschichtskrieg würden die publizistischen Programme in den vom Kreml kontrollierten Medien zeugen, deren Thesen häufig ans absurde Grenzen. Die Lügen Putins seien so plump, dass er ihnen keine größeren Erfolge prophezeie, so Zbigniew Parafianowicz in seinem Kommentar für Dziennik/Gazeta Prawna. 

 

Autor: Adam de Nisau