Deutsche Redaktion

Der längste Krieg im Nachkriegs-Europa

29.01.2020 13:23
Nur ein Akt des Mutes - sowohl von Seiten Brüssels - als auch Warschaus kann dem mörderischen Ringen um die Rechtsstaatlichkeit ein Ende setzen, schreibt in seinem Kommentar zum gestrigen Besuch von EU-Vize-Kommissionschefin Vera Jourova der Publizist der konservativen Rzeczpospolita Jędrzej Bielecki. Die wichtigsten Pressekommentare zur gestrigen Visite im Überblick.
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Rzeczpospolita: Der längste Krieg im Nachkriegs-Europa

Nur ein Akt des Mutes - sowohl von Seiten Brüssels - als auch Warschaus kann dem mörderischen Ringen um die Rechtsstaatlichkeit ein Ende setzen, schreibt in seinem Kommentar zum gestrigen Besuch von EU-Vize-Kommissionschefin Vera Jourova der Publizist der konservativen Rzeczpospolita Jędrzej Bielecki. Im Interesse Polens, so der Autor, sei der Bau der immer stärkeren Position in der EU und nicht die Sprengung der Gemeinschaft. Im Interesse der EU sei die Ordnung der Beziehungen mit einem der größten EU-Staaten und nicht die Übernahme staatlicher Kompetenzen durch die Hintertür, die Warschau nie akzeptieren werde. Doch ein auf diesen, von Premierminister Mateusz Morawiecki und Kommissionschefin Ursula von der Leyen festgelegten, Regeln beruhender Neustart der Beziehungen scheine leider immer unwahrscheinlicher. Denn auch wenn der Ton im Dialog anders sei, als zu den Zeiten von Frans Timmermans, sei keine der Seiten zu Entscheidungen bereit, die zu einem Übereinkommen führen könnten. So habe das Parlament in Polen, ohne einen Kompromissversuch mit Brüssel zu unternehmen, das Disziplinierungsgesetz verabschiedet, das nun nur noch auf die Unterschrift des Präsidenten wartet. Und der Premierminister habe den Beschluss des Obersten Gerichtshofs dem Verfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt, das die EU-Kommission nicht anerkenne. Gleichzeitig habe die Brüsseler Exekutive beim Europäischen Gerichtshof die Suspendierung der Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs beantragt, deren Schaffung das Herzstück der Justizreform von Zbigniew Ziobro gewesen sei. 

Dieser mörderische Konflikt, so der Autor, könne Europa in längerer Perspektive ruinieren, was auch für Polen das Ende einer der besten Zeiten in seiner Geschichte bedeuten würde. Um den politischen Pat zu brechen, müsste Brüssel eine Gewissenserforschung unternehmen, die Grenzen der Integration sowie der Kompetenzen der gemeinschaftlichen Institutionen definieren und die neuen Regeln in gleichem Maße in Bezug auf Polen, als auch auf Deutschland, Frankreich oder Spanien anwenden. Auf polnischer Seite sei indes die Ausarbeitung eines Kompromisses - zuerst zwischen der Regierung und der Opposition und dann mit Brüssel - notwendig, der die Gemeinschaft retten würde, auch wenn dies dem harten Kern der PiS-Wählerschaft nicht gefallen werde. 

Und ab der kommenden Woche erwarte Polen eigentlich eine neue Aufgabe in der EU: die Verteidigung des einheitlichen Binnenmarkts, des wirtschaftlichen Liberalismus und der Idee der Erweiterung der EU, alles Bereiche für die sich bisher die Briten eingesetzt hatten. Doch derzeit gebe es, wegen dem Streit um die Rechtsstaatlichkeit leider keinen, der sich damit befassen könnte, so Jędrzej Bielecki im Kommentar für die Rzeczpospolita. 



Gazeta Polska Codziennie: Brüsseler Eliten kommen Kaste zur Rettung

Apropos harter Kern der PiS-Wählerschaft. Der Aufmacher in der regierungsnahen, nationalkonservativen Gazeta Polska Codziennie nach der gestrigen Visite von Jourova lautet “Brüsseler Eliten kommen der Kaste zur Rettung”. Auf dem Titelbild dazu der oppositionelle Senatsmarschall Tomasz Grodzki in Begleitung von EU-Kommissarin Vera Jourova. Und im Untertitel ein Zitat von Vize-Justizminister Michał Wójcik: “Die Organisation der Justiz ist alleinige Kompetenz der Mitgliedsstaaten”, so der Politiker. Und die Vertreter der EU-Institutionen, so das Blatt weiter, würden ständig versuchen, die Form des polnischen Gerichtswesens zu beeinflussen. Diese Initiativen würden von denjenigen in Polen unterstützt, die gegen jedwede Änderungen im polnischen Gerichtswesen seien, lesen wir in Gazeta Polska Codziennie. 

 

Dziennik/Gazeta Prawna: Der Mythos von der polnischen Souverenität

Für eben diese durch die Gazeta Polska auf den Punkt gebrachte Haltung und Argumentation kritisiert das Regierungslager in der heutigen Ausgabe des Wirtschaftsblattes Dziennik/Gazeta Prawna der stellvertretende Chefredakteur der Zeitung, Marek Tejchman. Die EU-Kommission, so der Autor, sei vor allem dazu da, um die Rechte der polnischen Transportdienstleister vor deutschen Vorschriften zu schützen und um polnische Unternehmer beim Kampf gegen ungerechte französische Kontrollen oder tschechische Sanitärdienste zu unterstützen. Doch statt um konkrete und wichtige Angelegenheiten zu kämpfen, habe sich die Regierung auf einen endlosen Konflikt eingelassen, durch den das ganze Potential des Staates aufgezehrt werde. Statt eine anständige Justizreform vorzubereiten, auf die die polnische Gesellschaft seit Jahren warte, würden sich die Autoren der Vorschriften, die regelmäßig von EU-Institutionen in Frage gestellt würden, darauf beschränken, über die Einseitigkeit der EU zu meckern oder Selfies im Sejm zu schießen. Die Floskeln über das Aufstehen von den Knien würden ausschließlich parteiinternen, kurzfristigen Interessen dienen. Sogar Deutschland und Frankreich, so der Autor, seien sich bewusst, dass sie zu kleine Staaten seien, um selbstständig auf der globalen Arena zurechtzukommen. Daher hätten sie die partielle Beschneidung der eigenen Souverenität durch EU-Institutionen zugelassen. Und ebenso sollte Polen diese Einschränkungen nicht ablehnen, sondern sie für eigene Zwecke nutzen, so Tejchman im Kommentar für Dziennik/Gazeta Prawna. 

 

Rzeczpospolita: Korona-Virus an der polnischen Grenze

Der gefährliche Korona-Virus ist immer näher an der polnischen Grenze, berichtet in ihrem heutigen Aufmacher die konservative Rzeczpospolita. Und Polen werde in diesem Fall zweifellos keine grüne Insel bleiben. In Bydgoszcz sei schon ein Patient mit dem Verdacht einer Infektion ins Krankenhaus aufgenommen worden. Die Behörden würden zwar versichern, dass die Sanitärdienste gut auf den Angriff des Virus vorbereitet sind, doch die Beunruhigung in Polen würde steigen. Das Interesse an Reisen, nicht nur nach China aber nach ganz Asien sei deutlich zurückgegangen. Reisebüros hätten die Preise von Trips nach Tailand und Vietnam sogar um die Hälfte verringert, so Rzeczpospolita. 


Autor: Adam de Nisau