Deutsche Redaktion

Erstaunliche und offene Beratung russischer Experten

30.01.2020 13:14
"Wenn wir und europäische Bürokraten einen gemeinsamen Feind brauchen, ist Polen der beste Kandidat", so eine der Thesen, die aus dem Protokoll der Sitzung zwischen Kreml-Beratern hervorgeht.
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Dziennik/Gazeta Prawna: Polen ist kein Rechtsstaat mehr

Die Krise um das Justizsystem bleibt das heißeste Thema in der polnischen Presse. In der Tageszeitung Dziennik/Gazeta Prawna schreibt der Publizist Krzystof Jedlak, dass das Rechtssystem in Polen vor den Augen zerfalle. Es gäbe zwar noch Gesetze und Vorschriften, aber es fehle die Gerechtigkeit, überzeugt Jedlak und zählt auf, dass auch keine Rechtssicherheit oder Vorhersehbarkeit vorhanden sei. Es herrsche Chaos in den vielen parallelen Realitäten, die von den zerstrittenen politischen Lagern geschaffen werden. Gerade jetzt aber, sei der entscheidende Moment da, einen Durchbruch zu schaffen. Alle haben nämlich, dem Autor nach, den Rubikon bereits überschritten. Man wisse jetzt nicht einmal mehr, wer Richter sei und wer nicht. Man wisse auch nicht mehr, welche Wirkungen gefällte Urteile haben. In einem Rechtsstaat werden Urteile auch geachtet und vollstreckt. In Polen allerdings sei das nicht mehr der Fall.

Das Wichtigste, was die zerstrittenen Parteien aus den Augen verloren haben, sei, dass Rechtsstaatlichkeit viel mehr bedeute als nur das, wer seine Rechtsauffassung durchsetzen könne. Jedlak merkt zugleich an, dass obwohl die Schuld für die Krise nicht proportional sei, so habe die Summe aller Ereignisse jedoch dazu geführt, dass die zu reparierende Justiz zerstört wurde.

Am Schluss erinnert der Autor, dass die  polnische Rechtsstaatlichkeit bisher an vielen Stellen sehr mangelhaft war. Trotz allem soll sie ein gewisses soziales Bestreben nach der Heilung des Rechtssystems ausgedrückt und als klares Ziel gestellt haben. Heute, lesen wir abschließend, seien diese beiden Ideale zur Schaffung eines gesunden Rechtsstaats abgeschafft worden. Und wo es kein Bestreben nach Rechtsstaatlichkeit gibt, lautet Krzysztof Jedlaks Fazit für die Tageszeitung, herrsche Gesetzlosigkeit.
 
Forsal: Erstaunliche und offene Beratung russischer Experten

Im Online-Wirtschaftsblatt Forsal indes, berichtet der Publizist Andrzej Krajewski über eine Sitzung von Historikern und Soziologen, die Wladimir Putin beraten. "Wenn wir und europäische Bürokraten einen gemeinsamen Feind brauchen, ist Polen der beste Kandidat", so heiße eine der Thesen, die aus dem Protokoll der Sitzung zwischen Kreml-Beratern hervorgehen solle, schreibt Krajewski.

Wie der Autor überzeugt, bereite Moskau anscheinend ein sehr interessantes Spiel auf Kosten Polens vor. Aus dem Artikel erfahren wir, dass sich im vergangenen Monat die Gruppe von Kreml-Wissenschaftlern getroffen hat, um einen Plan zu entwickeln, wie Polen in Streitigkeiten über die Vergangenheit zum "Hauptsündenbock" gemacht werden könne. Die Gruppe hochrangiger Fachleute habe offen Ideen ausgetauscht, wie die Vergangenheit und Gegenwart manipuliert werden können. Alles im Namen imperialer Interessen Moskaus.

Der Beschluss des Europäischen Parlaments letzten Jahres zum 80. Jahrestag des Kriegsausbruchs, in dem die UdSSR zusammen mit Deutschland offiziell als Täter bezeichnet wird, soll vom Kreml als Niederlage und letzte Alarmglocke anerkannt worden sein. Jetzt müsse Russland, so überzeugt der Autor, an allen Fronten zu einer historischen Gegenoffensive übergehen. Den russischen Teilnehmern der Sitzung nach, heißt es weiter, soll der Hauptverbündete Russlands bei der Erstellung einer neuen historischen Narration "Israel und das Weltjudentum" sein.

Im Allgemeinen, so Krajewski, ergäbe sich das Bild einer historischen Erzählung, in der Polen am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts beteiligt sein soll. Die Rote Armee indessen, soll als Sieger über das Dritte Reich und Retter der Juden dargestellt werden.

Außer Israel, seien sich die Experten des Kremls sicher, müsse Moskau auch nach anderen Verbündeten Ausschau halten. Die besten Kandidaten dafür, seien den Kreml-Experten nach europäische Länder, insbesondere Südeuropas, in denen linke, kommunistische Kräfte nach wie vor einflussreich geblieben sein sollen. Das Jahr 2020, heißt es nachfolgend, sei, Putins Beratern nach, eine Chance für einen Wendepunkt im Gedächtniskrieg. Jede internationale Veranstaltung biete die Möglichkeit, die russische Geschichtsauffassung zu verbreiten.

Wie der Autor am Schluss nicht ohne Bedauern bemerkt, scheint der polnische Staat währenddessen, mit Bezug auf den Rechtsstreit, vor dieser Bedrohung in zunehmendes Chaos zu stürzen. Und aufgrund dieser innenpolitischen Ablenkung, lautet Krajewskis Fazit für das Wirtschaftsblatt, treten alle anderen Probleme und Gefahren für Polen in den Hintergrund.

Piotr Siemiński