Deutsche Redaktion

Pseudo-Debatten. Ein neuer globaler Trend?

07.07.2020 13:27
Präsidentschaftskandidaten organisieren Debatten. Jeder für sich.
W programie Debata Wyborcza w TVP wziął udział jedynie prezydent Andrzej Duda. Rafał Trzaskowski zorganizował w tym samym czasie w Lesznie konferencję pt. Arena Prezydencka
W programie "Debata Wyborcza" w TVP wziął udział jedynie prezydent Andrzej Duda. Rafał Trzaskowski zorganizował w tym samym czasie w Lesznie konferencję pt. "Arena Prezydencka"Jan Bogacz/TVP/East News

Rzeczpospolita: Pseudo-Debatten. Ein neuer globaler Trend?

Die konservative Rzeczpospolita bezieht sich am Dienstag auf die "Halbdebatten" beider Präsidentschafts-Kandidaten. In der Skala der globalen Demokratien sei dieses Spektakel einmalig.

Diese sehr spezifische polnische Debatte, überzeugt der Chefredakteur der Tageszeitung, Bogusław Chrabota, könnte sowohl als Diagnose des Endes aber auch des Beginns der Evolution komplett neuer Wahlinstrumente sein. Der Zusammenbruch der Gemeinschaft, eine immer tiefere Polarisierung und Erosion des öffentlichen Vertrauens, seien das Ergebnis einer zunehmend identitätsorientierten Politik und der Übertragung von Mustern aus sozialen Netzwerken auf die öffentliche Debatte. 

Dort dominieren hermetische Blasen, in denen nichts anderes zähle als verschlossene Identitäts- und Loyalitätsmechanismen. Mitglieder solcher geschlossenen Stammesgemeinschaften, seien auf diese Weise von einer aktiven und offen debattierenden Staatsbürgerschaft zu einer tief politisierten Sekte geworden, für die rationale Argumente nicht mehr zählen würden. Es ginge nur noch um ein parteiliches Glaubensbekenntnis, überzeugt Chrabota. Ein Dialog zwischen solchen Gruppen sei nicht mehr möglich und die direkte Konfrontation könne ohne verbale oder physische Aggression nicht mehr stattfinden.

Abschließend prophezeit der Chefredakteur der Rzeczpospolita, das in einem Moment beide Figuren Staatsmänner eines anderen Formats ersetzen könnten. Genauso debattiere nämlich Wladimir Putin seit einiger Zeit mit seinem Volk, ohne sich direkt mit seinen Rivalen zu konfrontieren. In diesem Zusammenhang wäre die polnische Halbdebatte von Duda und Trzaskowski nichts anderes als ein Zeichen der Zeit, lautet sein Fazit in der Rzeczpospolita.

Wirtualna Polska: Es gibt nur einen Verlierer der Präsidentschaftswahl-Debatte 

Auf die seltsame Halbdebatte nimmt auch der Publizist Marcin Makowski für eines der größten Online-Portale WP Bezug. Wie der Autor feststellt, sei es schwer, jemanden als Gewinner der zwei getrennten "Debatten" zu erklären. Leichter sei es dafür, den Verlierer aufzuzeigen. Es sei die polnische Gesellschaft, die nie einen echten Zusammenstoß zwischen Andrzej Duda und Rafał Trzaskowski erlebt habe und ihn wahrscheinlich auch niemals erleben werde.

Diese Situation, so Makowski, habe einen Präzedenzfall geschaffen, der für die Medien und die Demokratie gefährlich sei. Um den Antworten des Präsidenten von Warschau und des Präsidenten von Polen zu folgen, mussten potentielle Wähler zwei Fernseher haben, um in eine Kakophonie von Versprechungen, Anschuldigungen, Selbstreklame und Erzählungen einzutauchen. Makowski fragt sich hierbei, ob Polen noch vor einigen Jahren als ernst nehmen würden, wenn ihnen jemand ein Comedy-Szenario zeigen würde, in dem zwei Kandidaten für das wichtigste Amt des Staates gleichzeitig "Debatten" mit sich selbst organisieren und gleichzeitig auf einen Gegner warten, der nicht da ist und von Anfang an nicht beabsichtigt habe zu erscheinen?

Es sei schwer, ein besseres Symbol zu finden, wie das Leben in einer Informationsblase aussehe, überzeugt der Autor. Polnische Wähler hätten fortan möglicherweise nicht nur ihre eigenen Fernsehsender, Portale, Tagesblätter und Wochenzeitungen, sondern auch ihre eigenen Debatten, in denen der Gegner eine unnötige Dekoration für ein sozusagen außergerichtliches Urteil über seine Vision des Staates zu sein scheine.

Potenzielle Wähler, heißt es abschließend, die sehen, dass Politiker nicht in der Lage seien miteinander zu debattieren, würden somit davon abgehalten, überhaupt zu wählen, da sie der Meinung seien, dass die Kandidaten ihre Stimme nicht ernst nehmen. - Mich wundert das überhaupt nicht - lautet Makowskis Fazit in seinem Kommentar zu der gestrigen Scheindebatte beider Kandidaten für das Amt des Präsidenten Polens.    


Piotr Siemiński