Deutsche Redaktion

Chaos im Regierungslager

30.10.2020 09:31
Oft präsentierten Vertreter der gleichen Partei verschiedene Perspektiven, um diverse Wählergruppen zu erreichen. Diese Taktik habe auch die jetzige Regierungspartei mehrfach mit Erfolg angewandt. Doch nun herrsche Chaos, schreibt die Rzeczpospolita.
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RZECZPOSPOLITA: Chaos im Regierungslager

Oft präsentierten Vertreter der gleichen Partei verschiedene Perspektiven, um diverse Wählergruppen zu erreichen. Diese Taktik habe auch die jetzige Regierungspartei mehrfach mit Erfolg angewandt. Zu der radikalsten Wählerschaft sende Antoni Macierewicz geeignete Botschaften, wenn man Wirtschaftsleute ansprechen müsse tauche Premierminister Mateusz Morawiecki auf, für Sonderaufgaben sei Parteichef Jarosław Kaczyński persönlich zuständig. Diese Strategie habe aber ihre Grenzen, stellt in seinem Kommentar in der Tageszeitung Rzeczpospolita der Publizist Michał Szułdrzyński fest. Vor allem dürften sich einzelne Politiker nicht widersprechen. Ansonsten entstehe Chaos dort, wo man eine für mehrere Instrumente bearbeitete Komposition hören sollte. Eine solche Kakophonie höre man in den letzten Tagen eben aus den Reihen der Regierenden.

Der Präsident sowie der Regierungschef versuchten die Spannung zu mildern. Staatsoberhaupt Andrzej Duda sagte, er kenne viele anständige Frauen, die nach dem Urteil des Verfassungsgerichts beunruhigt seien. Den gleichen Weg versuche Premierminister Morawiecki einzuschlagen indem er sagt, dass sich das Urteil auf die Fötusschäden beziehe. Das soll heißen, wo eine Lebensgefahr für die Mutter bestehe, dürfe eine Abtreibung unternommen werden. Zum ersten Mal seit dem Machtwechsel vom 2015 habe auch die Familie des Präsidenten Stellung zu dem schwierigen Problem bezogen. Die Gattin des Präsidenten, Agata Duda, sagte in einem Interview, sie habe bedenken, ob man Frauen zum Heroismus zwingen könne. Auch wenn sie selbst nie eine Abtreibung unternehmen würde. Kinga Duda, die Tochter des Staatsoberhaupts, sprach sich wiederum entschlossen für die bisherigen Lösungen aus, das Urteil des Verfassungstribunals könne sie nicht akzeptieren, sagte die junge Juristin.

Parallel dazu spreche Jarosław Kaczyński die treusten Anhänger seiner Partei an und fordere sie zum Schutz von Kirchengebäuden auf. Vize-Sejm-Marschall Terlecki vergleiche das Symbol der Protestierenden mit SS-Symbolen. Diese widersprüchlichen Stimmen würden ganz klar vom Chaos in der Regierungsreihen zeugen, stellt der Publizist fest. Die PiS-Partei befinde sich in tiefer Defensive und habe keine Idee, wie man die Krise beenden könnte. Darüber hinaus wisse man nicht, wem man Glauben schenken solle: dem Präsidenten, der soeben mit über 10 Millionen Stimmen die Wahl gewonnen habe, dem Premierminister der gleichzeitig mit den Folgen der Corona-Krise kämpfen müsse, oder dem faktischen Anführer des Regierungslagers Jarosław Kaczyński, der die Opposition im Parlament als Verbrecher beschimpfe die Polen zu zerstören versuchten. Wie dem auch sei, so der Autor abschließend, solange die Regierenden keinen sinnvollen Ausweg aus der Situation finden, werde die Spannung steigen.

Zur Zeit ist die Abtreibung in Polen offiziell nur bei Lebensgefahr für die Mutter, bei Vergewaltigung oder bei Fötusschäden erlaubt. Das Verfassungsgericht hat letzte Woche die dritte Möglichkeit als verfassungswidrig erklärt.

GAZETA WYBORCZA: Große Verluste der Regierenden

Die linksliberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza geht der Frage nach, in wie weit der Streit um die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes die Situation auf der politischen Szene beeinflusst hat. Die Ergebnisse einer neuen Studie würden zeigen, dass das Anti-PiS-Lager doppelt so stark sei, wie die Regierenden, triumphiert das für seine tiefe Abneigung der Kaczyński-Partei gegenüber bekannte Blatt. Nach den Kontroversen der letzten Tagen würden lediglich 26 Prozent der Polen ihre Stimme für die Regierungspartei abgeben. Ähnliche Ergebnisse habe die Gruppierung im Jahr 2014 erreicht, damals noch als eine oppositionelle Partei. An zweiter Stelle platzierte sich die größte Oppositionspartei Bürgerplattform (PO) mit 24 Prozent der Stimmen. Den bedeutendsten Stimmenzuwachs  - von 10 auf 18 Prozent - verzeichnete der unparteiische Szymon Hołownia und seine bürgerliche Bewegung, schreibt die Tageszeitung Gazeta Wyborcza.

SUPER EXPRESS: Schwierige Entscheidung zwischen Leben und Tod

Małgorzata Kożuchowska ist eine der bekanntesten und beliebtesten Fernsehschauspielerinnen im Land. Bei ihrem gestrigen TV-Auftritt habe man sie selbstverständlich auch nach ihrer Meinung zu den aktuellen Protesten in Polen gefragt, schreibt die Tageszeitung Super Express. Diejenigen die sich in ihrem Leben nach den Zehn Geboten reichten würden, wüssten wie man sich in einer schwierigen Lage verhalten solle. Die Entscheidung sei für sie ganz klar, antwortetet Kożuchowska. Man dürfe aber nicht vergessen, dass es in Polen Menschen gebe, die an Gott nicht glauben und andere Werte vertreten würden. Diese Menschen müsse man ebenfalls respektvoll behandeln. Jedes Leben sollte man beschützen. Doch, wie schwer und kompliziert die Entscheidung zwischen Leben und Tod auch sei, spreche sie sich entschlossen für den freien Willen aus, sagt Kożuchowska.

Die Schauspielerin äußerte zugleich die Hoffnung, dass sich Raum für eine vernünftige Auseinandersetzung finden werde. Die Straßen seien kein geeigneter Ort um über solch wichtige Elemente des Leben zu sprechen. Sie hoffe, dass es an beiden Seiten an gutem Willen nicht fehlen werde, um sich an einen Tisch zu setzen und mit Hilfe von Argumenten einen Ausweg aus der Situation zu finden, so Małgorzata Kożuchowska im Blatt Super Express.


Jakub Kukla