Deutsche Redaktion

Komplizierte Nachbarschaft mit einem stärkeren Partner

19.11.2020 08:56
In einem umfangreichen Interview für das Internetportal Onet.pl bezieht sich der ehemalige Botschafter Polens in der Bundesrepublik und in den USA auf die deutsch-polnischen Kontakte.
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ONET.PL: Komplizierte Nachbarschaft mit einem stärkeren Partner 

In einem umfangreichen Interview für das Internetportal Onet.pl bezieht sich der ehemalige Botschafter Polens in der Bundesrepublik und in den USA auf die deutsch-polnischen Kontakte. Geht es nach Janusz Reiter würden sich die Beziehungen zwischen Warschau und Berlin heute an einem besseren Punkt befinden, als noch vor 30 Jahren. Damals sei die Erinnerung an die Jahrzehnte lange Teilung des Kontinents noch sehr frisch gewesen, auch das Bewusstsein der Grausamkeiten des II. Weltkrieges sei noch sehr schmerzhaft und lebendig gewesen. Inzwischen seien Polen und Deutschland Teile der gleichen westlichen Welt geworden, und die Intensität der Beziehungen in eigentlich jeder Hinsicht sei unvergleichbar stärker als noch vor drei Jahrzehnten.

Gehe es aber um Geschichte sei die Situation komplizierter, meint der Diplomat. Die Gesamtkonzeption der Beziehungen mit Deutschland, die man vor Jahren ausgearbeitet habe, bezog sich auf die polnischen Erfahrungen einer schwierigen Koexistenz mit stärkeren Nachbarn. Doch die Veränderungen, die sich in Westeuropa vollzogen hätten - nicht zuletzt auch aus amerikanischer Initiative -  öffneten die Chance auf einen friedlichen Neuanfang in den Kontakten zu unserem westlichen Nachbar. Zugleich ebnete diese Entwicklung Polen den Weg zum integrierten Europa und dem Nordatlantikpakt. Ähnliche Chance um ein friedliches geopolitisches Umfeld aufzubauen würden in der Geschichte äußerst selten vorkommen. Die Polen hätten eine solche Chance aber bekommen. Es habe damals keinen besseren Weg gegeben, als sich von dem Narrativ eines von Feinden umrundeten Polen zu verabschieden und die Chance auf einen Neuanfang zu nutzen.

Für eine Generation, die es gerade geschafft habe, sich von den Kommunisten zu befreien, sei die Entscheidung damals selbstverständlich, sogar alternativlos gewesen. Doch die Zeit habe die Sichtweise wesentlich beeinflusst. Die Menschen wollten es heute nicht akzeptieren, dass sie keine Alternative hätten. Die Menschen von heute seien es gewohnt, frei über eigene Zukunft zu entscheiden. Eben aus diesem Grund gebe es Milieus, die sich kritisch gegenüber Berlin äußern. Dadurch versuchten sich den eigenen, wenn nur scheinbaren, Einfluss auf die Wirklichkeit zu unterstreichen.

In der polnischen Politik seien spätestens seit dem 19. Jahrhundert zwei entgegengesetzte Einstellungen gegenüber Deutschland zu verzeichnen, führt Reiter fort. Für die einen sei der deutlich stärkere Nachbar eine Herausforderung gewesen. Diese Menschen hätten versucht, mit den Deutschen zu konkurrieren – gründeten polnische Firmen, oder polnische Vereine.  Die anderen wiederum hätten Deutschland als eine Bedrohung wahrgenommen, vor der man die Polen beschützen müsse. Dabei ging es nicht nur um eine physische, sondern auch um eine kulturelle Gefahr. Eine solche Einstellung aber verschiebe Polen immer mehr Richtung Osten, so Janusz Reiter im Gespräch mit dem Internetportal Onet.pl.

DO RZECZY: Eine ungewollte Hilfe

Für eine jede Revolution sei es typisch, dass sie früher oder später eigene Kinder verschlinge, erinnert in seinem Kommentar in der Wochenzeitschrift Do Rzeczy der Publizist Marcin Makowski an die alte Wahrheit. Der polnische Beitrag zu der alten französischen Tradition bestehe jedoch darin, dass die Revolutionäre einander auffressen, bevor die Revolution eigentlich begonnen habe. Diese Tendenz könne man momentan am Beispiel der Frauenstreiks beobachten, urteilt der Publizist. Unabhängig von der Einstellung zu den landesweiten Protesten nach dem Urteil des Verfassungsgerichts dürfe man das Ausmaß der Bewegung nicht ignorieren. Es handle sich bei der Massenbewegung um ein soziales Phänomen, das man nach wie vor als eine revolutionäre Erscheinung bewerten könne. Auch wenn diese Revolution die Regierung der PiS-Partei nicht zum Fall bringen werde, habe sie bereits den Stil und die Grenzen des gesellschaftlichen Diskurses in Polen radikal verändert.

Ob es sich dabei um eine langfristige und tiefgreifende Veränderung handeln werde, sei jedoch fraglich, denn, wie schon so oft in Polen, hätten sich die Anführer der Revolution bereits in die Wolle gekriegt. Und das, obwohl sich die Regierung selbst ins Bockshorn gejagt habe und in tiefe Defensive stürzte. Die Unbeholfenheit des Frauenstreiks zeige sehr deutlich, dass Jarosław Kaczyński immer noch sehr viel Glück habe und auf die ungewollte aber wirksame Hilfe seiner politischen Gegner rechnen könne, so Marcin Makowski in Do Rzeczy.

FAKT: Händler wollen wieder an Sonntagen arbeiten

In diesem Jahr würden die Großflächengeschäfte nur noch an zwei Sonntagen geöffnet: dem 13. und 20. Dezember, erinnert das Blatt Fakt. Die Handelsorganisationen appellieren deshalb um die Wiedereinführung des Sonntagshandels. Man wolle den Kunden die Erledigung der Weihnachtseinkäufe erleichtern, heißt es in einem offenen Brief an der Chef der größten polnischen Gewerkschaft Solidarność, Piotr Duda. Duda gelte als verbissener Gegner des Handels an Sonntagen. Er und seine Gewerkschaft hätten sich sehr stark für das Handelsverbot eingesetzt. In einer schwierigen Zeit der Pandemie sollte man alles tun, um den Kunden die Möglichkeit zu geben, sich auf das bevorstehende Weihnachten vorzubereiten ohne die eigene Gesundheit in überfüllten Geschäften oder in langen Warteschlangen vor den Läden zu gefährden, argumentieren die Händler. Wie Piotr Duda auf die Argumente reagiert habe, sei bislang unklar, so Fakt. 


Jakub Kukla