Deutsche Redaktion

Amerika fällt in andere Liga herab

07.01.2021 11:54
Das was gerade in Amerika passiere, schreibt die Rzeczpospolita, habe man bisher in der Ukraine, Georgien oder in Afrika erlebt, wo es regelmäßig zu Auseinandersetzungen in den Parlamenten komme.
Oddziały policji przed Kapitolem
Oddziały policji przed Kapitolem EPA/MICHAEL REYNOLDS

Die Rzeczpospolita befasst sich heute in ihrem Aufmacher mit den jüngsten Ausschreitungen in den USA. Das was gerade in Amerika passiere, schreibt Jędrzej Bielecki, habe man bisher in der Ukraine, Georgien oder in Afrika erlebt, wo es regelmäßig zu Auseinandersetzungen in den Parlamenten komme. Der Angriff auf das US-Kapitol, so der Autor, sei allerdings nur die Spitze des Eisbergs, eine spektakuläre Manifestation der Frustration, die in diesem Land seit Jahrzehnten heranwachse. Hinter der Fassade eines gefälschten Lächelns, für das die Amerikaner bekannt seien, und Phrasen über "das großartigste Land der Welt" verberge sich nämlich das Drama einer gigantischen Lohn-Polarisierung, eine Gesellschaft, in der immer mehr Menschen nicht mehr über die Runden kämen, während nur wenige überhaupt noch wüssten, wie viele Milliarden sie besitzen. Die Pandemie, überzeugt Bielecki, habe noch mehr als die Finanzkrise vor zehn Jahren, dieses Drama offenbart und verschärft.

Eine der Stärken der amerikanischen Demokratie sei bisher gewesen, dass Demokraten und Republikaner in der Lage waren, ein sehr breites Spektrum von Ansichten unter einen Hut zu bringen. Radikale Politiker seien dadurch ins Zentrum gerückt worden. Doch an diesem Mittwoch, erinnert Bielecki, rebellierte sogar Trumps Vizepräsident Mike Pence offen gegen ihn selbst, und viele republikanische Senatoren und Abgeordnete hätten dasselbe getan. Vor unseren Augen falle die Republikanische Partei also auseinander, glaubt der Autor. Vieles deute auch darauf hin, dass auf ihren Trümmern eine radikale, und vielleicht sogar antidemokratische, Bewegung entstehen könnte.

All das, fährt Bielecki fort, provoziere auch eine Frage nach der polnischen Außenpolitik, die in den letzten vier Jahren so viel Wert auf Trump gelegt habe. Diese Fixierung sei nun bereits veraltet. Vielleicht sollte ab jetzt die internationale Strategie Polens die Suche nach einem alternativen Verbündeten nicht ausschließen?

Money.pl: Polens Regierung sieht nicht, wie das Coronavirus die Welt verändert

Dr. Jacek Bartosiak, der Präsident und Gründer der Denkfabrik Strategy&Future, beurteilt indes für das Finanzportal money.pl, wie die Pandemie die Welt verändert habe und wer durch die Pandemie gestärkt worden sei. Wenn man sich die aktuellen wirtschaftlichen Ergebnisse anschaue, so der Experte, so sei der Sieger definitiv Asien und hauptsächlich China - die größte Fabrik der Welt.

Die Pandemie habe vor allem auch den internationalen Handel und die Steuerung der Lieferketten unterbrochen, deren Auswirkungen mit denen eines Weltkriegs vergleichbar seien. "Der eine gewinne und der andere verliere, wie auf einem Schachbrett in einem ewig dynamischen Schachspiel", erklärt der Experte. In diesem Zusammenhang gewinne China am meisten und der Westen verliere sehr viel. Dies, lesen wir, sei eine schmerzhafte Lektion, denn seit dem Zweiten Weltkrieg habe der Westen den Mechanismus des Austauschs und der Zirkulation des Geldes ständig kontrolliert.

Die Amerikaner hätten zwar immer noch das Gefühl, dass sie die Finanzmärkte und die Dollar-Zirkulation kontrollieren und dank der Armee immer noch Druck auf die Weltordnung ausüben können. Erst nach der Pandemie werde sich aber zeigen, wie viel die Chinesen gewonnen haben und inwieweit die USA noch die Kontrolle über die Weltordnung haben.

Für Polen sei die Dämmerung der US-Hegemonie extrem gefährlich. Nach 1989 sei Polen nur deshalb als unabhängiger Staat entstanden, weil die Amerikaner den Kalten Krieg gewonnen und die Zone freier strategischer Handelsströme auf den Osten Europas ausgedehnt haben. Solange Polens wichtigster Verbündeter das mächtigste Land der Welt sei, lesen wir, habe Warschau relativ sicher funktionieren können.

Geht es nach dem Analytiker, bereite sich die polnische Regierung auf mögliche Veränderungen auf dem internationalen Schachbrett sehr schlecht vor. Zur selben Zeit seien auch die Beziehungen zur EU und zu Berlin auf einem Rekordtief. Genau darin sehe Bartosiak den Grund, warum Länder und Imperien, historisch gesehen, zu Grunde gehen. Sie würden Signale kommender Veränderungen nicht wahrnehmen. Dies sei auch ein ewiges polnisches Problem, überzeugt der Experte. Polen würden nicht zu weit in die Zukunft schauen und sich stattdessen gerne mit Emotionen, der Vergangenheit und Legenden beschäftigen. Dem, heißt es abschließend, müsse ein Ende gesetzt werden. Polen befinde sich nämlich am Treffpunkt zweier Welten und zweier riesiger Kräfte die aus dem Osten und Westen gegeneinander reiben, so der Gründer der Denkfabrik Strategy&Future für das Finanzportal money.pl.

Dziennik/Gazeta Prawna: Es ist normal, dass Anwälte sich vor Rentnern und Lehrern impfen wollen

Nach der Affäre um die Impfungen von Künstlern und Schauspielern, haben polnische Medien einen Brief der Warschauer Anwaltskammer mit der Bitte an den Gesundheitsminister veröffentlicht, Anwälte in der erster Reihe impfen zu lassen. Wie die DGP schreibt, soll der Brief in sozialen Medien bei Journalisten, Politikern und gewöhnlichen Internetnutzern Spott ausgelöst haben.

In einem Kommentar für das Tagesblatt schreibt Patryk Słowik, dass er diese Reaktion nicht nachvollziehen könne. Die Rechtsanwaltskammer der Hauptstadt habe, ihm nach, getan, wofür sie zuständig sei - nämlich im Interesse der von ihr vertretenen Anwälte zu handeln. Die Kammer soll in ihrer Begründung argumentiert haben, dass Anwälte in der Pandemie mit zahlreichen Kontakten zu verschiedenen Personengruppen viel riskieren würden. Diese Erklärung, gibt der Autor zu, sei allerdings sehr unvernünftig. Viel mehr Menschen wie z.B. Ladenarbeiter oder Kuriere, hätten täglich viel mehr solcher Kontakte. Vielmehr müssten auch Bewohner von Pflegeheimen, Krankenhaus-Personal oder Lehrer in erster Reihe geimpft werden. Solange aber jemand seine Geschäfte nicht nebenbei, dank Freundschaften erledigen wolle, so sei die Tatsache, dass jemand den Nutzen für seinen Arbeitskreis maximieren wolle, für den Autor nicht abwegig. Natürlich ganz abgesehen von der Ethik eines solchen Postulats angesichts mehr bedürftiger Fälle.

Viel wichtiger sei jedoch, bemerkt Słowik, wie schnell Polen von einer Diskussion darüber, ob Mikrochips in Impfstoffen seien und ob wir danach sterben werden, zu einer Debatte über die Reihenfolge der Impfung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen übergegangen seien. Und zum Glück stelle sich heraus, dass sich nicht jeder am Ende der Schlange anstellen möchte, so der Autor, sondern sogar vor die Reihe tanzen wolle. Das sei ein Grund zur Freude, heißt es abschließend in der Tageszeitung. Der Plan die Hälfte der polnischen Gesellschaft zu impfen, scheine nämlich somit gar nicht mehr so unrealistische wie zuvor.


Piotr Siemiński