Deutsche Redaktion

Verstecken die Deutschen den Kopf im Sand?

07.10.2021 13:26
Das Online-Blatt Dziennik schreibt über einen Artikel in der Berliner Zeitung, wonach immer mehr Migranten über die Ostgrenze nach Deutschland kommen, die Krise im Land aber verschwiegen und alles "dem Zufall oder dem polnischen Militär überlassen" werde.
Presseschau
PresseschauShutterstock.com

Das Online-Blatt Dziennik schreibt über einen Artikel in der Berliner Zeitung, wonach immer mehr Migranten über die Ostgrenze nach Deutschland kommen, die Krise im Land aber verschwiegen und alles "dem Zufall oder dem polnischen Militär überlassen" werde.

Die „B.Z“. soll betonen, dass Polen die von Weißrussland ausgelöste illegale Einwanderung als feindlichen Akt verstehe, der auf die Destabilisierung der EU abziele. Der Sejm in Warschau habe deshalb den Ausnahmezustand verlängert und halte Truppen an der Grenze zu Weißrussland stationiert. In Deutschland hingegen, heißt es, werde die Krise mit keinem Wort erwähnt. Während man im Herbst 2015 und in den Folgejahren die Debatte über Zuwanderung intensiv geführt habe, werde sie jetzt einfach vermieden, urteilt die „B.Z.“. Im Wahlkampf vor der Bundestagswahl im September habe das Thema ebenfalls keine Rolle gespielt, und auch in den laufenden Koalitionsverhandlungen bleibe dies so.

Es sei ein "Tabu", schreibt das Blatt. Kein einziger deutscher Minister, lesen wir, fühle sich für die illegale Einwanderung verantwortlich. Gefordert werden soll sogar, dass niemand an der deutschen Grenze zurückgewiesen werde, sondern nur an der EU-Außengrenze, schreibt die Tageszeitung. Deshalb sollten sich die Polen darum kümmern, denn Deutschland stecke den Kopf in den Sand. Die deutsche Politik löse das Problem, indem sie die Augen davor verschließt, lautet die Schlussfolgerung in der „B.Z.“, die am Donnerstag in dem polnischen Online-Blatt dziennik.pl erschienen ist.

Wirtualna Polska: Wahlkampagne statt Debatte über den Ausnahmezustand 

Auf einem der größten Nachrichtenportale Polens Wirtualna Polska indes, fragt sich der Journalist Marcin Makowski, welchen Zweck die Debatte über den Ausnahmezustand Anfang dieser Woche hatte, wenn die Opposition erst am Tag nach der Abstimmung die geheimen Argumente für die Einführung des Ausnahmezustands erfahren habe? Warum habe der Ministerpräsident mehr über die Opposition als über Lukaschenko gesprochen? Warum habe die Linke dazu aufgerufen, die Krise durch die Aufnahme von Flüchtlingen zu entschärfen, wenn dies, glaubt der Autor, die Krise nur verschärfen würde?

Die Antworten darauf seien einfach. Die Sicherheit des Landes, sei im Kampf gegen die Logik des Wahlkampfes untergegangen. Die Debatte im Sejm soll sich trotz des Ernstes der Lage nur als eine weitere Folge des schleichenden Wahlkampfes entpuppt haben, in dessen Logik jedes Ereignis - selbst ein potenziell so gefährliches wie die Grenzkrise - dem Primat der Tagespolitik weiche. So soll Regierungschef Mateusz Morawiecki die Opposition dazu aufgerufen haben, über die aktuellen Streitigkeiten hinauszuwachsen. Gleichzeitig aber soll er ihnen im gleichen Atemzug vorgeworfen haben, mit ihrer Narrative Moskau und Minsk zu unterstützen. Auf der anderen Seite, anstatt darüber nachzudenken, wie die Herausforderung der Migration realistisch und gemeinsam gelöst werden können, soll die Linke, lesen wir, lediglich mit emotionalen Argumenten überreagiert haben. Jarosław Kaczyński sei mit Diktator Alexander Lukaschenko und die Situation in Ober-Usnarz an der polnischen Grenze mit dem Holocaust gleichsetzt worden.

Die Linke habe auch behauptet, dass die Krise vorbei wäre, wenn die Regierung Migranten ins Land lassen würde. Makowski bleibt anderer Meinung und wagt zu behaupten, dass ein reifer Politiker in der Lage sein sollte, Fakten zu Ursache-Wirkungs-Reihenfolgen zu kombinieren und zu wissen, dass die Aufnahme von Einwanderern, die an der Grenze kampieren, keine Lösung darstelle. Dem Autor nach, würde man ein Migrationskorridor öffnen, für dessen Schließung es später keine guten Argumente mehr geben würde. Denn wenn man eine Ausnahme für 30 Personen mache, warum dann nicht auch für 100 weitere, fragt der Publizist.

Der Autor vermisse in der Debatte auch eine Diskussion über die beispiellose Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten. Denn wenn man einmal dem Ausnahmezustand zustimme und Medien nicht in Teile Polens lasse, überzeugt er, könnten Polen beim nächsten Mal unter Kriegsrecht aufwachen.

Anstatt ernsthaft über Polens Sicherheit zu entscheiden, fasst Makowski zusammen, hätten Polen die Wahl zwischen einem Abgeordneten, der von Grenzschutzbeamten gejagt werde, und einem Ministerpräsidenten, der die gesamte Opposition mit Schauspielern vergleiche, die zusammen mit Lukaschenko und Putin in demselben Theaterstück spielen. Infantilismus oder patriotische Agitation. Der Autor ist fest davon überzeugt, dass Polen in diesen wichtigen Fragen etwas Besseres verdient haben.


Piotr Siemiński