Deutsche Redaktion

Stillstand im Europäischen Parlament

20.10.2021 12:29
Die Rede von Polens Ministerpräsidenten bei der gestrigen Debatte im Europäischen Parlament dominiert die Presseschau. 
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Rzeczpospolita: Morawiecki hat niemanden überzeugt 

In der Rzeczpospolita schreibt Publizist Michał Szudrzyński am Mittwoch, dass die Idee, dass Polens Ministerpräsident nach Straßburg reist und die Argumente der Regierung im Streit mit der Union vorträgt, zwar nicht schlecht gewesen sei, aber diese Mission nicht gelingen konnte. Nicht wegen des schlechten Willens der EU-Institutionen, glaubt der Autor, sondern weil beide Seiten eine unterschiedliche Sprache sprächen. Schon der Titel der Debatte im Europäischen Parlament sei für die polnische Regierung unangenehm gewesen. Er lautete: "Die Krise der Rechtsstaatlichkeit in Polen und der Vorrang des EU-Rechts". Diese Stellungnahme habe Polen von vorn herein an den Pranger gestellt. Mateusz Morawiecki, so der Autor, habe daher beschlossen, den Stier bei den Hörnern zu packen und sich selbst an die Europaabgeordneten zu wenden.

Wie der Publizist des Weiteren bemerkt, habe Polens Regierungschef anders als vor einer Woche im polnischen Parlament gesprochen, als er versicherte, dass Polen nicht jedes Urteil des EU-Gerichtshofs respektieren würde. In Straßburg allerdings, fährt Szułdrzyński fort, habe er den Vorrang des EU-Rechts vor der nationalen Gesetzgebung anerkannt und angekündigt die Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs, wie es der EuGH gefordert hatte, abzuschaffen. Verschwiegen habe Morawiecki hierbei aber, dass die Liquidation der Kammer das Ergebnis des EU-Urteils war, und nicht des Willens der polnischen Regierung.

Das Problem sei, lesen wir darüber hinaus, dass ein Großteil der Rede des polnischen Ministerpräsident nicht zum Thema gepasst habe. Morawiecki habe vor Krisen, die Europa erwarten, gewarnt, und über Regierungen geschimpft, die Steuerparadiese zulassen. Er habe auch die Nord Stream 2 kritisiert, so der Autor, als wolle er sagen: Lasst die Frage der Rechtsstaatlichkeit und beschäftigt euch besser mit der Rettung der Union. Dieser Trick habe nicht funktioniert, glaubt Szułdrzyński. Denn der Kernpunkt der Diskussion sei das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts gewesen.

Geht es nach dem Autor, habe Polens Regierungschef sein Ziel im EP-Parlament deshalb nicht erreicht. Morawiecki sei zu dem nur von Vertretern der extremen Rechten verteidigt worden, heißt es weiter. Von Abgeordneten der ungarischen Fidesz, der französischen Nationalen Einheit und der österreichischen Freiheitlichen Partei. Vielleicht werde eine Union, in der die französische, italienische oder spanische euroskeptische Rechte mehr zu sagen habe, weniger auf der PiS und der Frage der Souveränität herumhacken. Aber sie würde auch keine Union schaffen, überzeugt der Autor am Schluss, die Polens Interessen vertreten würde. Es sei nämlich kein Zufall, dass Moskau es gerade auf diese Parteien setzte. Und Matteo Salvini, Marine Le Pen und Viktor Orbán, lautet Szułdrzyńskis Fazit, würden schließlich auch keinen Hehl aus ihrer Zuneigung zu Wladimir Putin machen. 

Wirtualna Polska: War es wert, so auszurasen? Stillstand im Europäischen Parlament 

Der Publizist Marcin Makowski schreibt indes für eines der größten Nachrichtenportale, dass obwohl es im Europäischen Parlament unzählige Debatten über Polen gegeben habe, so habe er schon lange nicht mehr erlebt, dass eine polnische Delegation wörtlich so "verprügelt" worden sei.

Premierminister Mateusz Morawiecki sei nach Straßburg geflogen, um den Vorrang des nationalen Rechts vor dem EU-Recht zu verteidigen. Das Treffen, so der Autor, habe sich allerdings zu einem mehrstündigen "grillen" in Sachen Recht und Justiz entwickelt. Gehe es nach Makowski, habe sich die Sackgasse zwischen der EU und Polen deshalb nur noch vertieft. Wer die gesamte EP-Sitzung verfolgt habe, lesen wir, konnte den Eindruck gewinnen, dass sowohl Morawiecki, die polnische Delegation und der öffentlich-rechtliche Fernsehkanal TVP Info den Glauben daran verloren hätten, dass irgendetwas gewonnen werden oder jemand im EP seine Meinung ändern könnte. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen habe sogar die Reden der Abgeordneten unterbrochen, um die Rede des polnischen Regierungschefs zu übertragen.

Hätte das Ergebnis der Debatte anders ausfallen können? Makowski bezweifle das. Straßburg sei schließlich nicht Polen, und hier sei die Mehrheit nicht in den Händen der konservativen Rechten. Die Regierungspartei sei auch selten so hart und rücksichtslos getroffen worden, lesen wir auf WP,  wie von den EU-Abgeordneten, die eine Kürzung des Wiederaufbaufonds und die Anwendung von Artikel 7 gegen Polen gefordert haben sollen.

Aus Gesprächen, die der Autor während der Debatte mit Morawieckis Beratern geführt haben soll, seien Worte der Resignation gefallen. „Hier geht es nicht um Argumente, sondern nur um Emotionen und politische Gewinne", sollen sie beklagt haben. Trotzdem, fährt Makowski fort,  hoffe und setzt die Regierung auf eine pragmatischere Haltung Deutschlands und Frankreichs beim Europäischen Rat am 21. und 22. Oktober. Immerhin habe Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich, erinnert der Autor, zum Dialog aufgerufen anstatt das Geld für Polen einzufrieren.

Die Frage bleibe jedoch, heißt es abschließend auf WP, ob irgendjemand in der EU heute eine Chance für einen Kompromiss mit der polnischen Regierung sehe. Und werde die Partei Recht und Gerechtigkeit Raum für Zugeständnisse finden?

Dziennik: Mainstream der EU will die polnische Regierung stürzen 

Der regierungsnahe Akademiker und Berater Professor Przemysław Żurawski vel Grajewski hingegen sagte in einem Gespräch mit der staatlichen Nachrichtenagentur PAP über die Debatte im EP, dass der EU-Mainstream, u.a. Deutschland und Frankreich, alles tun würden, um die polnische Regierung zu destabilisieren.

Der EU-Mainstream, so Grajewski, wolle die polnische Regierung stürzen und es gebe keinen Grund den Behauptungen irgendwelcher EU-Beamten Glauben zu schenken. Die Europäische Union, heißt es weiter, sei zu dem kein politischer Spieler, sondern nur ein Spielfeld. Geht es nach dem Akademiker, würden über diese Plattform nur die stärksten Länder der Gemeinschaft, wie Deutschland, auf andere EU-Länder ihren Einflussbereich ausweiten wollen. Der Professor glaube zu dem, dass es in jedem demokratischen System, auch in der EU, ein regierendes Lager und eine Opposition gebe. Polen, lesen wir, sei eine Opposition in der EU, werde aber als Staatsfeind, wie es der EU-Mainstream versuchen soll, dargestellt. Den Politikwissenschaftler erinnere das an Russland, wo jedwede Opposition mit einem Feind gleichgestellt werde.

Grajewskis Meinung nach, werden die Streitigkeiten in der EU auch von der Regierung des russischen Präsidenten Wladimir Putin ausgenutzt. Man sollte auch vor Augen haben, fährt Zurawski vel Grajewski fort, dass es die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten sei, die eine Zusammenarbeit mit Russland anstrebe. Schließlich hätten Deutschland und Frankreich, Putin zum EU-Gipfel einladen wollen. Es sei auch Deutschland, das gemeinsam mit dem Kreml die Gasleitung Nord Stream 2 gebaut hat, oder sich angesichts der russischen Invasion geweigert habe, erinnert der regierungsnahe Berater, Waffen an die Ukraine zu verkaufen. Es sei also der EU-Mainstream, der diese Moskauer Aggressionen provoziere, überzeugt der Politologe.

Ein wichtiger Punkt in der Rede des Ministerpräsidenten sei, dem Professor nach, die Überzeugung der Mehrheit der Mitgliedstaaten, dass es die EU-Institutionen seien, die das EU-Recht gegenüber Polen brächen, und nicht andersherum.

Dazu würden vor allem die Verzögerungen bei der Auszahlung von Geldern für Polen aus dem Wiederaufbaufonds nach der Pandemie gehören. Unternehmer in Deutschland beispielsweise, erklärt der Professor, sollen sich bereits darüber beschweren, dass sie durch diese Verzögerungen bei den Zahlungen an Polen benachteiligt werden.

Die Stärke der Rede des polnischen Premierministers am Dienstag, so der Politikwissenschaftler am Schluss seines Interviews, sei die feste und kompromisslose Haltung Polens in vielen Fragen gewesen. Mateusz Morawicki habe deutlich gemacht, dass Polen angesichts der "rechtswidrigen und vertragsfremden Maßnahmen" der Europäischen Union nicht nachgeben werde. Dies sei das Ende der Kapitulation und ein Signal, dass Polen sich nicht erpressen lassen werden.


Piotr Siemiński