Deutsche Redaktion

Garri Kasparow über Russlands Chancen auf einen Neuanfang

20.05.2022 15:29
In einem Interview für die konservativ-liberale Rzeczpospolita spricht Schachlegende Garri Kasparov über das Regime von Wladimir Putin und den Krieg, der Russland verändern könnte. Außerdem geht es auch um die Interessenunterschiiede zwischen Polen und Deutschland in Bezug auf den Krieg in der Ukraine und um die Frage: Was will Erdogan. Die Einzelheiten in der Presseschau
Garri Kasparow jest gościem specjalnym turnieju Superbet Rapid  Blitz Poland, rozgrywany w ramach cyklu Grand Chess Tour 2022, który odbywa się w Warszawiefot. Rafał Oleksiewicz
Garri Kasparow jest gościem specjalnym turnieju Superbet Rapid & Blitz Poland, rozgrywany w ramach cyklu Grand Chess Tour 2022, który odbywa się w Warszawie/fot. Rafał OleksiewiczRafał Oleksiewicz

Rzeczpospolita: Garri Kasparow über Russlands Chancen auf einen Neuanfang

In einem Interview für die konservativ-liberale Rzeczpospolita spricht Schachlegende Garri Kasparov über das Regime von Wladimir Putin und den Krieg, der Russland verändern könnte. Wir, so Kasparow, würden in einem Schlüsselmoment der Geschichte leben, der die kommenden Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte beeinflussen werde. Er selbst engagiere sich seit fast zwanzig Jahren in den Kampf gegen die Diktatur von Wladimir Putin. Heute sehe er eine Chance, Putins Herrschaft ein für allemal zu beenden.

Der Grund: Jede Diktatur, so der ehemalige Schachweltmeister, werde in Momenten einer militärischen Niederlage verwundbar. Und Putins Niederlage im Krieg gegen die Ukraine werde immer deutlicher. Zudem stehe Russland nicht nur vor einer militärischen, sondern auch vor einer geopolitischen Niederlage. Schließlich würden die Sanktionen des Westens nach und nach den Lebensstandard des Landes senken. All diese Faktoren, kombiniert mit schlechten Nachrichten von der Front, würden eine explosive Atmosphäre schaffen. Und seien eine Chance für Russland, ein normales und zivilisiertes Land zu werden. Denn die schockierenden Nachrichten aus der Ukraine, so Kasparow, würden irgendwann die russische Öffentlichkeit erreichen und zum Nachdenken über die Zukunft anregen.

Natürlich könnte es Jahre oder sogar Jahrzehnte dauern, bis die Kriegsverbrechen aufgearbeitet seien. So wie es in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war. Verbrecher müssten verurteilt und Russland zur Zahlung von Reparationen gezwungen werden. Aber falls der Westen die Sanktionen aufrechterhält, sehe er Chancen, dass sich das russische Regime ändert, so Garri Kasparow im Gespräch mit der Rzeczpospolita.

 

Dziennik.pl: Deutschland will billige Rohstoffe, Polen raus aus dem "Transaktionsgebiet"

Das aggressive und unberechenbare Vorgehen Russlands, die Morde an der Zivilbevölkerung in der Ukraine haben die wichtigsten Hauptstädte Westeuropas in eine Sackgasse geführt, schreibt Andrzej Krajewski vom Portal dziennik.pl. Die Anführer Deutschlands, Frankreichs und Italiens, lesen wir, könnten Wladimir Putin in keinster Weise offen unterstützen. Wenn Bundeskanzler Scholz, Präsident Macron oder Ministerpräsident Draghi plötzlich offen zugeben würden, dass ein Teil der Ukraine an Russland übergeben werden sollte, um den Krieg auf diese Weise zu beenden, lesen wir, würden sie ein politisches Erdbeben riskieren. Andererseits müsste Deutschland im Falle eines anhaltenden Konflikts nicht nur seine Wirtschafts- und Energiestrategie revolutionieren. Es riskiere auch, die Wettbewerbsfähigkeit seiner Industrie zu verlieren. Teure Energie, fährt der Autor fort, könnte auch Italiens Wirtschaft erheblichen Schaden zufügen. Rom und Paris würden zudem auch die gigantische Migrantenwelle befürchten, die infolge der Engpässe im Getreideexport aus Afrika einbrechen könnte.

Schließlich würde die totale Niederlage Russlands eine Zunahme der Bedeutung der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und ihrer engsten Verbündeten sowie die Marginalisierung Frankreichs bedeuten. Daher, fährt Krajewski fort, sei es im Interesse der wichtigsten Hauptstädte Westeuropas, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden und die Zusammenarbeit mit Russland schrittweise zu reaktivieren. 

Im Interesse Polens sei indes eine radikale Schwächung Russlands. Nur dann, lesen wir, würde Polen endgültig aufhören, im sog. „Transaktionsgebiet“ zu existieren. Als ein Land also, das von Mächtigeren wie eine Handelsware genutzt werden könnte. Stattdessen hätte Polen eine große Chance auf viele Jahrzehnte der Sicherheit und wirtschaftlichen Entwicklung. Das würde Polen sogar mehr bringen, als der Beitritt zur Europäischen Union und NATO. Der Schlüssel zu einer solch großen Veränderung der Machtverhältnisse sei aber der entscheidende Sieg der Ukraine. 

Sollte der Krieg mit einer Teilung des ukrainischen Territoriums und einem faulen Kompromiss enden, so könnte Russland seine Position wieder aufbauen. Polen hingegen müsste dann weiterhin darauf achten, eines Tages nicht wieder zum "Transaktionsgebiet" der Supermächte zu werden, so Andrzej Krajewski in Dziennik.


DGP: Erdogan will nicht das schwarze Schaf in der Nato sein

Dziennik/Gazeta Prawna veröffentlicht indes ein Interview mit der Turkologin Karolina Wanda Olszowska von der Jagiellonen-Universität zum türkischen Widerstand gegen eine Erweiterung der NATO um Schweden und Finnland. Geht es nach der Expertin, werde die Türkei sich dabei nicht auf eine totale Auseinandersetzung mit dem Westen einlassen wollen. Daher müsse dieser auch nicht alle Forderungen Erdogans erfüllen.

Wie Dziennik erinnert, wollen die Türken im Austausch für die Zustimmung zum Beitritt Schwedens und Finnlands zur NATO, dass Stockholm und Helsinki die kurdische Arbeiterpartei (PKK) verurteilen. Die Organisation gelte in der Türkei, aber auch in den USA und der EU als Terrororganisation. Zudem fordert Ankara die Aufhebung  der Beschränkungen für den Waffentransfer aus Schweden und Finnland an den Bosporus und die Ermöglichung des Verkaufs von F-35-Kampfflugzeugen an die Türkei durch die USA. 

Geht es nach Karolina Wanda Olszowska, verhandle Präsident Recep Tayyip Erdogan immer sehr hoch, mildere seine Forderungen aber im Laufe der Verhandlungen ab. Sicherlich würde sich die Türkei eine Aufhebung des Waffenembargos durch Finnland, Schweden und die USA wünschen. Vor allem gehe es der Türkei vermutlich aber nicht so sehr um die F-35-Kampfjets. Strategisches Ziel sei stattdessen eher grünes Licht von den USA für die Lieferung von verbesserten F-16-Maschinen und die Aufrüstung der F-16-Maschinen, über die die Türkei schon verfügt. Die Diskussion in den USA zu diesem Thema sei derzeit schon im Gange.

Ankara wolle zudem auch anderen Nato-Staaten seine Sicherheitsinteressen zeigen. Die Veto-Drohungen seien ein Signal, dass sich Ankaras Sicherheitspolitik von der der anderen Nato-Staaten unterscheidet und vom Westen nicht ausreichend berücksichtigt werde. So sei der Krieg in Syrien für die Türkei derzeit eine größere Bedrohung als Russland. Trotzdem ist sich die Turkologin sicher, dass die Türkei letztendlich der NATO-Erweiterung zustimmen werde. Der Türkei liege es nämlich auch daran, Russland zu schwächen. Derzeit sei der Krieg in Syrien einfach das größere Problem. Die Frage bleibe, heißt es am Schluss, welche Zugeständnisse der Westen machen werde. Und wann auch die Türkei erkennen werde, dass sie nicht mehr erhalten könne. Erdogan werde mit Sicherheit nicht übertreiben wollen, um alles zu verlieren oder zum schwarzen Schaf in der Nato werden, lautet das Fazit der Turkologin in Dziennik.

Autor: Piotr Siemiński