Deutsche Redaktion

"Großrussische, nationalistische Propaganda"

25.05.2022 12:06
Das Online-Blatt Dziennik.pl hat ein Interview mit dem stellvertretenden Leiter der Danziger Zweigstelle des Instituts für nationales Gedenken (IPN) durchgeführt. Das Thema: die Rolle der Kreml-Propaganda bei der Gestaltung der Einstellungen der russischen Gesellschaft und ihrer Vorstellungen von der Vergangenheit. Und: Werden Covid-19-Impfstofflieferungen verschoben? 
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Prof. Mirosław Golon sagt, er verfolge russische Kinofilme und Fernsehserien. Er sehe, dass die Russen in diesen Propaganda-Produktionen ihre eigene Geschichte in unglaublichem Ausmaß verfälschen. Es erzählt von einer aus Sicht der historischen Wahrheit absurden Serie, in der NKWD-Offiziere in den 1930er Jahren als moderne FBI-Agenten dargestellt würden. Es gebe auch Filme über den Zweiten Weltkrieg, in denen keiner der Soldaten der Roten Armee Wodka trinke oder stehle.

Golon behält sich jedoch vor, dass solche Programme keine Kuriosität seien, weil auf genau solchen Programmen die großrussische, nationalistische Propaganda basiere. Dazu gehöre auch der Kult der eigenen Gefallenen, aber auch Hass auf Nachbarn, darunter Polen und die Ukraine, heißt es. Der Historiker macht des Weiteren auf das Verhalten russischer Truppen in der Ukraine aufmerksam. Auf das, was in der Realität geschehe. Er betont, dass neben Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung, wie Vergewaltigung und Mord, auch Soldaten der einstigen Roten Armee die besetzten Gebiete systematisch ausgeraubt, zerstört und in Brand gesteckt hätten. Dies sei nicht nur in Polen oder Deutschland geschehen, sondern auch in Rumänien, Österreich und Ungarn. Später hätten russische Soldaten ihre Bestialität, zum Beispiel während des sowjetischen Invasion Afghanistans wieder bewiesen. Laut Golon liege einer der Gründe für die Brutalität russischer Soldaten darin, dass die Armee – wie viele andere uniformierte Formationen in Russland – ein Werkzeug „böser, grausamer Macht in diesem Land“ sei. Sie werde darauf ausgerichtet die Regierung aufrechtzuerhalten und die größtmöglichen Privilegien und materiellen Gewinne, einschließlich von Kriegsbeute an sich zu reißen. Dies führe zu einem Gefühl der totalen Straflosigkeit und ermutige zu Gesetzesverstößen, fügt der Historiker hinzu.

Deshalb, heißt es weiter, sei es so wichtig, die Russen mit echten Informationen zu erreichen. Dies sei nicht einfach, weil das Internet oder Fernsehen in Russland gesperrt und zensiert sei. Der Experte rät deshalb abschließend, dass so viel Material wie möglich über die Geschichte, das von polnischen Institutionen vorbereitet wurde, ins Russische übersetzt werden sollte. Russische Leser sollten etwas über die wahre, unvergessliche Geschichte ihres Landes erfahren können, überzeugt Mirosław Golon in Dziennik. Sie dürften nicht zu einer verzerrten Sichtweise ihrer Geschichte verdammt seien, die ihnen die Kreml-Propaganda endlos präsentiere. 


DGP: Werden Covid-19-Impfstofflieferungen verschoben? 

Dziennik/Gazeta Prawna (DGP) schreibt indes über den Stand der Dinge bezüglich der Lieferung verbleibender Vakzine gegen das Coronavirus. Wie wir erfahren, soll die Europäische Kommission aufgrund des Drucks mitteleuropäischer Mitgliedstaaten begonnen haben, enger mit Pharma-Konzernen über die Möglichkeit zu verhandeln, die Lieferung von COVID-19-Impfstoffen auf 2024 zu verschieben. Diese müssten nämlich derzeit, trotzt eines Mangels an Nachfrage, an die Mitgliedstaaten geliefert und von ihnen bezahlt werden.

Es handle sich um Millionen von Dosierungen, lesen wir, für die es in diesem Jahr keinen Gebrauch mehr gebe. Dies sei das Ergebnis einer Vereinbarung, so das Blatt, die während der Pandemie u.a. mit Pfizer geschlossen worden sei.

Die Diskussion, schreibt DGP, soll von Polen angefangen haben. Polen habe sich vorerst als einziger offiziell geweigert, weitere Lieferungen anzunehmen und zu bezahlen. In dieser Angelegenheit, heißt es weiter, soll vor einigen Tagen ein virtuelles Treffen des polnischen Gesundheitsministers mit seinen Amtskollegen aus anderen EU-Ländern stattgefunden haben. Nahezu 20 Länder seien anwesend gewesen.

Vor allem die Länder der Region Mittel- und Osteuropas sollen demnach beabsichtigen zusammen einen starken Druck auf die Europäische Kommission auszuüben. Ihrer Ansicht nach sollte die EU-Exekutive den Kauf der Impfstoffe übernehmen, falls sie keine neuen Verhandlungen mit Pfizer aufnehmen wolle. Die Slowakei und die baltischen Staaten, die Polens Absage an Pfizer ermutigt habe, sollen auf eigene Hand die Europäische Kommission gebeten haben, das Problem der überschüssigen Impfstoffe zu lösen. 

Rzeczpospolita: Zwischen Sicherheit und Bipolarer Störung

Jan Maciejewski fragt sich in der Rzeczpospolita wo die Pandemie geblieben sei. Der Schrecken, der ein paar Wochen lang aufgestiegen war und dann zwei Jahre anhielt, sei verstummt, schreibt er - und das fast innerhalb weniger Stunden. Viel schneller als er erschienen war, habe sich Covid aus unseren Gedanken und Plänen und vor allem aus unseren Herzen verflüchtigt. Die Angst vor der Pandemie, so Maciejewski, sei Ende Februar von der Angst vor dem Krieg abgelöst worden.

Ab dem Frühjahr 2020 sei Sicherheit das wichtigste Wort gewesen. Ein Zauberwort, dass alle andere Wert übertroffen habe. „Pass auf dich und andere auf“ sei das erste und wichtigste Gebot dieser Zeit gewesen. "Um die Sicherheit zu gewährleisten ..." - begannen die Aufzählung der Gebote und Verbote, die an den Eingängen von Bussen, Geschäften, Kinos, Restaurants, Zügen und Kirchen hingen. Aus Sicherheitsgründen, fährt der Autor fort, konnten Familien sich nicht sehen, es fanden keine Konzerte statt und Tempel aller Konfessionen wurden geschlossen. Aus denselben Lautsprechern und Zeitungskolumnen, wo noch kürzlich Ungeimpfte gegen SARS-CoV-2 als Massenmörder beschuldigt und immer restriktiverer Sicherheitsmaßnahmen gefordert wurden, erinnert der Autor, soll gegenwärtig die Kriegsgefahr verharmlost werden. Uns werde versichert, wir seien aufs Beste vorbereitet. Selbst wenn ein paar Bomben auf polnische Städte fallen würden, sei das nicht schlimm.

Es gebe halt Werte, die teurer seien als das Leben! Wir müssten das Risiko akzeptieren. Schließlich dürfe man den Tod nicht fürchten, beschreibt Maciejewski die Stimmung, die er in Polens Medien beobachte. Es stimme zwar, dass man den Tod nicht fürchten dürfe, fährt er fort. Sei es aber wirklich notwendig, eine so bipolare Einstellung zu haben, wie in der Frage der Sicherheit, fragt der Autor. Von einer depressiven Angst vor einer Bedrohung bis zur Besessenheit auf der Suche nach einer anderen?

Die instinktive Leichtigkeit, heißt es abschließend, mit der wir die Einstellung zur eigenen Sterblichkeit geändert hätten, zeige, dass es niemals um Ideen oder Werte ging, sondern um Emotionen. Ideen könne man und sollte diskutieren, lautet Maciejewskis Fazit in der Tageszeitung, aber Emotionen sollten kontrolliert werden. Und genau das wünsche der Autor sowohl sich wie auch seinen Lesern.


Piotr Siemiński