Deutsche Redaktion

"Szenarien für eine nukleare Eskalation"

26.09.2022 07:24
Nach Putins Nukleardrohungen analysieren westliche Analytiker unterschiedliche Varianten einer solchen Eskalation. Im Wochenendmagazin Plus Minus geht es unter anderem um die Qualität der politischen Debatte in Polen. Und: In Polen kommen immer weniger Kinder zur Welt. Die Einzelheiten zu diesen Themen in der Presseschau.
Rosja rozpoczęła ćwiczenia manewrowe sił nuklearnych w obwodzie iwanowskim
Rosja rozpoczęła ćwiczenia manewrowe sił nuklearnych w obwodzie iwanowskimNaletova Elena/Shutterstock

Rzeczpospolita: Annexion kann zu Nuklearkonflikt führen

In Bezug auf eine mögliche nukleare Eskalation des Kriegs in der Ukraine nach den aktuell laufenden Scheinreferenden und einer anschließenden Annexion der betroffenen Gebiete durch Russland, würden westliche Experten derzeit einige Varianten in Betracht ziehen, schreibt im Aufmacher der heutigen Ausgabe der konservativ-liberalen Rzeczpospolita der Publizist Andrzej Łomianowski. Eine Anwendung der strategischen Waffenarsenale gegenüber NATO-Staaten, so der Autor, gelte als unwahrscheinlich. Es müsste ein entscheidender Schlag sein, sonst müsste Russland seinerseits mit einem vernichtenden Gegenschlag von Seiten der NATO rechnen. Und die westlichen Geheimdienste würden keine verstärkte Aktivität der russischen strategischen Arsenale beobachten. 

Im Falle eines Angriffs auf die Ukraine würden ebenfalls unterschiedliche Varianten analysiert. Die Anwendung von sogenannten taktischen Atomwaffen scheine wenig wahrscheinlich - sie könnte den eigenen Soldaten und dem eigenen Staatsgebiet schaden. Eine abschreckende Detonation über dem Schwarzen Meer (etwa ein Angriff auf die berühmte und unbewohnte Schlangeninsel) würde alle ans Meer angrenzende Staaten antagonisieren, vor allem die Türkei. Ein Angriff auf die Brücken auf dem Dniepr würde wiederum alle großen ukrainischen Städte gefährden und Feindseligkeit gegenüber Putin auf der ganzen Welt hervorrufen. Unter den möglichen Zielen werde auch das nahe Polen liegende Militärgelände Jaworow genannt. Der russische Präsident werde sich sicherlich noch bis zum 30. September Zeit für weitere Einschüchterungsversuche lassen, wenn er denn vermutlich die Dekrete zur Annexion unterzeichnen wird, so Andrzej Łomianowski in der Rzeczpospolita. 

Plus Minus: Umzingelt von Spionen

Im Wochenendmagazin der Rzeczpospolita äußert sich der Publizist Michał Szułdrzyński kritisch zum Niveau der politischen Debatte im Lande. Zuletzt, erinnert Szułdrzyński, habe die linksliberale Gazeta Wyborcza ein Interview mit einem General publiziert, laut dem der aktuelle polnische Premier und dessen Kanzleichef russische Agenten sein könnten und der Chef der Regierungspartei Russland stütze. Andererseits hätten der TV-Sender TVP und die nationalkonservative Gazeta Polska argumentiert, dass die Regierung Tusk in Polen die Interessen Putins realisiert hat. Also, ironisiert Szułdrzyński, seien wir verloren. Im kommenden Jahr könnten die Polen offenbar nur zwischen unterschiedlichen Fraktionen der russischen Agentur wählen. Aber, so der Autor weiter, habe sich wirklich so wenig seit dem XVIII Jahrhundert geändert, als Polen geteilt war? Würden die Amerikaner tausende ihrer Soldaten nach Polen schicken, wenn sie glaubwürdige Informationen hätten, dass sowohl die Regierung, als auch die Opposition russische Agenturen sind? Würden sie das Leben ihrer Jungs aufs Spiel setzen, wenn sowohl die “Gazeta Wyborcza”, als auch die “Gazeta Polska” Recht hätten? Sei eine Regierung, die den Ukrainern Dutzende von Panzern liefert, damit sie die Russen schlagen können, tatsächlich von Moskau gesteuert? Oder handle es sich um eine so verschachtelte Geheimdienst-Aktion, dass wir uns alle darin verirren sollen? Denn, wenn alle angeklagt werden können, russische Agenten zu sein, dann bedeute ein solcher Vorwurf irgendwann nichts mehr. Und es gäbe wohl keine bessere Nachricht für die echten russischen Agenten. 

Oder sollten wir stattdessen einfach sagen “genug” und beginnen, uns ernsthaft zu benehmen und zu behandeln. Vielleicht, so Szułdrzyński, sei er naiv, aber er sei der Meinung, dass weder Tusk, noch Kaczyński russische Agenten sind, sondern polnische Politiker, die manchmal Recht haben und sich manchmal auch irren. So sei die Politik von Kaczyński Russland in manchen Punkten gelegen gekommen, in anderen wiederum habe sie die Abhängigkeit Polens von Russland verringert. Als Kaczyński mit der radikalen Rechten in Europa geflirtet, einen Krieg gegen die EU angezettelt oder den Kulturkampf gegen Gender und LGBT entfacht habe, habe er in einer Linie mit der russischen Agenda gehandelt. Als er aber über die Stärkung der  polnischen Streitkräfte, Hilfe für die Ukraine, die Fertigstellung des Flüssiggashafens oder den Bau der Baltic Pipe entschieden habe, habe er mit Sicherheit im Interesse Polens gehandelt. Ebenso sei Tusk manchmal zu naiv gegenüber Russland gewesen, als er nach 2007 an die Möglichkeit eines Resets mit Moskau geglaubt habe. Als er aber in Briefen an westliche Politiker gegen Nord Stream 2 protestiert, den Bau des Flüssiggashafens begonnen oder der EU eine Gas-Union vorgeschlagen habe, habe er zweifellos im Interesse Polens gehandelt. 

Nein, er sage nicht, dass Tusk und Kaczyński gleich sind. Nur, dass ihre Bilanz mit kühlem Kopf analysiert werden sollte. Und echte russische Agenten sowie ihre Netzwerke aufdecken, statt mit Vorwürfen um sich zu werfen. Sonst würden wir die Fähigkeit verlieren, die Realität zu analysieren und der russischen Desinformationsmaschine in die Hände spielen, so Szułdrzyński in Plus Minus. 

Dziennik/Gazeta Prawna: Rodzina? Dziękuję, mam lepsze hobby

Die neuesten Statistiken würden den beunruhigenden demographischen Trend bestätigen: In Polen würden immer weniger Kinder zur Welt kommen, schreibt in seinem heutigen Aufmacher das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. So seien laut dem Hauptstatistikamt GUS in jedem Monat dieses Jahres weniger Kinder zur Welt gekommen, als im selben Vorjahreszeitraum. Als erster Auslöser des Abwärtstrends gelte die Pandemie, nun komme der Krieg hinzu.

Aber auch in längerer Perspektive sehe die Situation alles andere als rosig aus. Laut  Untersuchungen des Meinungsforschungsinstituts CBOS zu den Prioritäten der polnischen Jugendlichen, sei die Zahl derjenigen, die Familie und Kinder als Priorität im Leben ansehen, heute mit 33 Prozent die niedrigste seit dem Beginn der Studie im Jahr 1994. Da gleichzeitig die Zahl der Frauen im reproduktiven Alter sinke, gebe es keine realen Chancen auf einen Wiederaufbau der Fruchtbarkeitsrate, sagt im Gespräch mit dem Blatt die Demographie-Forscherin der Warschauer Universität, Professor Irena Kotowska. 

Autor: Adam de Nisau