Deutsche Redaktion

"Voreiliger Kommentar des ehemaligen Außenministers"

29.09.2022 11:28
Die konservativ-liberale Rzeczpospolita befasst sich heute mit der kontroversen Aussage von Polens Ex-Chefdiplomaten.
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Bevor Radosław Sikorski (Bürgerplattform PO) ein Bild twitterte, das die Zerstörung von Nord Stream 1 und 2 mit der Bildunterschrift "Danke Amerika" zeigte, habe er auf demselben Kanal erklärt, wie ein solcher Schritt Putins Handlungsspielraum einschränken würde, schreibt Jędrzej Bielecki in der Tageszeitung. Er wäre damit nämlich gezwungen, durch Polen und die Ukraine verlaufende Pipelines zu nutzen, um eines Tages wieder Gas nach Westeuropa zu verkaufen.

Der Kreml stehe jetzt vor allem mit dem Rücken zur Wand und handle kurzfristig. Geht es nach Bielecki müsse er die Energiekrise in Europa in diesem Winter maximal ausnutzen. Die Verbündeten der Ukraine müsse Putin davon überzeugen, die Militärhilfe für Kiew zurückzuhalten und dem ukrainischen Präsidenten sogar einen territorialen Kompromiss mit Russland aufzuzwingen.

Dem Autor zufolge diene die Zerstörung der Pipelines in diesem Moment ausschließlich diesem Zweck. Sie beweise, dass die Unterbrechung der russischen Gaslieferungen nach Europa unumkehrbar sei. Bald würde ein solcher Schritt für Putin keinen Sinn mehr machen, glaubt Bielecki. Die Gas-Einfuhren durch EU-Hauptabnehmer wie Deutschland und Italien, würden sowieso schon in rasantem Tempo zusammenbrechen.

Dass nicht Amerika, sondern Russland schuld sei, heißt es des Weiteren, sollen auch frühere Medienberichte beweisen. Die CIA habe demnach nämlich Bundeskanzler Olaf Scholz schon seit Wochen gewarnt, dass Nord Stream 1 und 2 zerstört werden könnten. Bemerkenswert sei auch, lesen wir, dass der Angriff in internationalen Gewässern stattfand. Moskau könne dadurch nicht eindeutig beschuldigt werden, NATO-Länder angegriffen zu haben, was einen Kriegsgrund darstellen würde, so die Rzeczpospolita.

Am Mittwoch habe Sikorski von seinen Aussagen Abstand genommen, bemerkt der Autor anschließend. In einem späteren Twitter-Beitrag habe er von "Arbeitshypothesen", die er "natürlich nur in seinem eigenen Namen aufstellt" gesprochen. Geht es nach Bielecki sei es aber für Rechtfertigungen schon zu spät. Sikorskis Eintrag, eines der führenden polnischen Oppositionspolitiker, der vielleicht schon in einem Jahr an der Spitze der Diplomatie Polens stehen könnte, wurde bereits vom Kreml gegen den Westen ausgenutzt. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums behaupte, Polens Ex-Chefdiplomat habe auf einen Terroranschlag Amerikas hingewiesen.

Twitter trage zwar dazu bei, die Sichtbarkeit eines Politikers aufrechtzuerhalten, lautet das Fazit des Autors, aber manchmal lohne es sich nicht mit seinen Gedanken so zu eilen.


Interia.pl: Die Selbstgefälligkeit polnischer Politiker

Eines der größten Nachrichtenportale befasst sich am Donnerstag ebenfalls mit der Aussage des oppositionellen Ex-Außenministers. Wie Wiktor Świetlik für interia.pl schreibt, sollen polnische Politiker der russischen Propaganda ziemlich regelmäßig Munition liefern, indem sie sich meist nur auf den politischen Konflikt innerhalb des Landes konzentrieren. Manchmal würden sie es aus purer Selbstgefälligkeit tun. In dieser Hinsicht habe Radosław Sikorski gestern die Decke durchbrochen, lesen wir.

Eines müsse man dem Politiker der Bürgerplattform aber zugutehalten, so der Autor. Es sei selten, dass ein Twitter-Post eine solch internationale Popularität gewinne, und zum Beispiel nicht vom amerikanischen Präsidenten stamme.

Es sei allgemein bekannt, heißt es weiter, dass Russland Rohstoffe wie Waffen und Energiefragen wie ein Schlachtfeld behandle, schreibt Świetlik. Hier schlage sich Moskau viel besser als auf dem militärischen Schlachtfeld in der Ukraine. Mit seiner Aussage, glaubt der Autor, scheine Radosław Sikorski dies nicht zu begreifen. Das Problem hierbei sei, dass Sikorski der ehemalige Verteidigungs- und Außenminister eines wichtigen Nato-Landes wie Polen war. Außerdem sei er als Europaabgeordneter für die Beziehungen des Europäischen Parlaments zu den USA zuständig. Sein Kommentar werde zwar nicht den dritten Weltkrieg auslösen, heißt es weiter, aber er sei schon von der russischen Propaganda aufgegriffen worden. Diese werde in den nächsten Tagen über den vermeintlich terroristischen Charakter der NATO und Amerikas Radau machen. Außerdem werde er dem Kreml zur Rechtfertigung seiner eigenen Angriffe dienen. Geht es nach dem Autor würden die Russen solche Rechtfertigungen besonders lieben.

Der ganze Schlamassel sei nicht der erste dieser Art. Er werde auch nicht der letzte sein, urteilt Świetlik. Polnische Politiker, die sich auf den polnisch-polnischen Streit konzentrieren, würden alles andere vergessen, was außerhalb dieses Streits passiere. Einschließlich der elementaren Sicherheit des Landes. Dies habe sich vor allem auch bei der Migrationskrise an der Grenze zu Belarus gezeigt. Beschimpfungen und Verleumdungen gegen den polnischen Grenzschutz seien sogar zu einem beliebten Trend von Oppositionspolitikern und -anhängern geworden. Wie der Autor feststellt, ende dieser interne Angriff auf den polnischen Staat, der seine offensichtlichen Interessen und Rechte verteidige, auch nach Kriegsbeginn nicht.

Radosław Sikorski habe mit seinen drei Worten die Bank gebrochen, heißt es am Schluss auf interia.pl. Weitere Mitteilungen des PO-Politikers sollen beweisen, dass er dies aus reiner Selbstgefälligkeit getan habe. Dieser Charakterzug, lautet Wiktor Świetliks Fazit auf dem Nachrichtenportal, sei weitaus schädlicher als sonst, wenn nebenan ein Krieg herrsche.


Biznesalert: Auch Baltic Pipe könnte nach Lecks in Nord Stream 1 und 2 sabotiert werden

Seit Anfang der Woche gebe es weitere Berichte über die Gaslecks bei Nord Stream 1 und 2. Die aktuelle Situation lasse befürchten, dass die neu in Betrieb genommene polnische Baltic Pipe das nächste Ziel von Anschlägen werden könnte, schreibt indes Marek Menkiszak vom Zentrum für Oststudien für das Nachrichtenportal für Energiewesen biznesalert.pl.

Geht es nach dem Autor bestehe kein Zweifel daran, dass Russland hinter den Nord Stream-Lecks stehe. Es habe sowohl die technisch-militärischen Fähigkeiten als auch die Motive dazu, eine Operation unter falscher Flagge durchzuführen. Darüber hinaus schreibt Menkiszak über den Besuch des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder in Moskau Ende Juli dieses Jahres. Einige Tage später, lesen wir, soll Putin den Deutschen ein Angebot für den Transport von 27 Milliarden Kubikmetern Gas durch Nord Stream 2 gemacht haben.

Der Politikwissenschaftler gehe davon aus, dass in der aktuellen Situation ein ähnliches Schicksal wie das der NS1 und 2 die polnische Baltic-Pipe treffen könnte, die der lang ersehnte Garant für die Unabhängigkeit Polens vom russischen Gas sein sollte. Eine Beschädigung dieser Gasleitung würde den Ausfall der Gaslieferungen nach Polen bedeuten. Sie hätte auch eine Verschärfung der Energiekrise für die nächsten Monate zur Folge, so der Experte der Denkfabrik für Biznesalert.


Piotr Siemiński