Deutsche Redaktion

"Deutsche Medien kritisieren Polen böswillig und ohne Grund"

27.03.2020 12:57
Die durch das Coronavirus verursachte Krise habe erneut gezeigt, dass der polnische Staat nach Meinung deutscher Medien überall alles falsch mache, weil er sich nicht wie Deutschland verhalte - meint der belgische Professor und Historiker Dr. David Engels.
David Engels ( 27. August 1979 in Verviers) ist ein belgischer Althistoriker
David Engels (* 27. August 1979 in Verviers) ist ein belgischer AlthistorikerVon Elekes Andor - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=69485001

Die durch das Coronavirus verursachte Krise habe erneut gezeigt, dass der polnische Staat nach Meinung deutscher Medien überall alles falsch mache, weil er sich nicht wie Deutschland verhalte - meint der belgische Professor und Historiker Dr. David Engels.

Ob es um die Haltung gegenüber dem europäischen Superstaat, die Flüchtlingskrise oder um Umweltschutz, EU-Subventionen, polnische Justizreformen oder schließlich um das Coronavirus gehe, die "rechtspopulistische" polnische Regierung mache nur Fehler, stellt der belgische Historiker und Professor David Engels im Interview für das Nachrichten-Portal Tygodnik Solidarność fest. Deutsche Medien haben zudem die Gewohnheit, Polen schnell und bereitwillig auf den richtigen Weg zu führen, nämlich den, behauptet Engels, den die deutschen Behörden für gerecht halten. Seit der Zeit, als die deutsche Bundeskanzlerin (laut New York Times) als Führerin der freien Welt gefeiert wurde, scheinen die führenden deutschen Medien auch "für Allwissenheit und absolute Wahrheit lizenziert zu sein". Dies zeige sich am besten am Beispiel, wie polnische Aktionen im Kampf gegen das Coronavirus geschildert werden, überzeugt David Engels.

Die Wochenzeitung der Spiegel, beweist der belgische Professor, habe ähnlich wie andere deutsche Medien Polen für die Schließung seiner Grenzen am 15. März kritisiert und unter anderem die Präsidentin der Europäischen Kommission, Frau von der Leyen zitiert, die "gemeinsame Lösungen" für Tausende von Menschen gefordert habe, damit sie nicht "auf dem Weg stecken bleiben." Engels fragt, warum sie als oberste EU-Instanz jedoch noch selbst keine Lösungen dazu vorgeschlagen habe. Ebenso habe die Bundeskanzlerin am 11. März erklärt, erinnert Engels, dass "das Schließen von Grenzen nicht die richtige Lösung für das Problem ist". Schulz-Asche hingegen, ein Abgeordneter der Grünen im Bundestag, soll ernsthaft gesagt haben, dass sich "das Virus nicht vor verschlossenen Türen und Grenzen aufhalten werde, und Rassismus- und Verschwörungstheorien zu seiner Verbreitung beitragen."

Deutschen Massenmedien sollen die deutsche Gesellschaft auch, Engels nach, mit erschreckenden Geschichten über ungeheure Staus vor der polnischen Grenze gewarnt haben und zugleich die Bundeswehr für die Bereitstellung von Mineralwasser für polnische Fahrer gelobt haben. "Sie beschuldigten die polnische Regierung dieser schrecklichen humanitären Krise", urteilt der Professor und weist darauf hin, dass die Tatsache, dass Polen, die stundenlang im Stau standen, lieber nach Hause wollten als sich auf das Krisen-Management in Deutschland zu verlassen, jedoch außer Acht gelassen wurde. Einige Tage später, bemerkt Engels, haben - mit Ausnahme Deutschlands - fast alle europäischen Länder die Grenzen geschlossen.

Aber dann gab es eine Veränderung, lesen wir. Während Polen zuvor wegen zu radikaler Maßnahmen beschimpft wurde, sollen sich deutsche Medien auf einmal aus "Coronavirus-Skeptikern" plötzlich in "Coronavirus-Experten und Warnagenten" umgewandelt haben. Am 20. März soll in der Tageszeitung Süddeutsche Zeitung, der polnische Gesundheitsminister, Prof. Dr. hab. Łukasz Szumowski, beschuldigt worden sein, nicht ernsthaft genug mit der Bedrohung umgegangen zu sein, obwohl Polen (neben Italien) eines der ersten europäischen Länder war, das beschlossen habe, alle Bildungseinrichtungen und bald darauf auch Grenzen zu schließen. Der deutsche Gesundheitsministers und zugleich Banker habe allerdings noch vor wenigen Wochen, genau wie die gesamte Bundesregierung, die sich lange Zeit nur mit kosmetischen Aktivitäten im Kampf gegen die Epidemie begnügt haben soll, das Coronavirus-Problem systematisch heruntergespielt. Wahrscheinlich, überzeugt Engles, damit die deutschen Exportmaschinen so lange wie möglich störungsfrei arbeiten konnten - auf Kosten schwächerer Nachbarn wie Polen, die durch schwierige Entscheidungen schon viel früher drastischen wirtschaftlichen Verlusten ausgesetzt waren, aber dadurch wahrscheinlich viele Leben gerettet haben.

Auch die Erklärung, dass die Präsidentschaftswahlen in Polen zum geplanten 10. Mai  stattfinden würden, soll für die Süddeutsche Zeitung (Artikel vom 23. März), ein klarer Beweis dafür gewesen sein, dass "jede Maßnahme gut ist", um "die Rechtsstaatlichkeit in Polen zu zerstören". Die entscheidenden Schritte im Kampf gegen das Coronavirus sollen dem amtierenden Präsidenten, deutschen Medien nach, einen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten geben. Zugleich habe die Münchener Zeitung nicht protestiert, bemerkt Engels, als Präsident Macron trotz Warnungen von Ärzten und Politikern beschloss, am 15. März Kommunalwahlen in ganz Frankreich abzuhalten. Engels habe hierbei eine "seltsame Überzeugung", dass die SZ, falls die Präsidentschaftswahlen in Polen abgesagt würden, sie wahrscheinlich auch als "Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit" betrachten würde, mit dem Argument, dass die Regierung absichtlich auf das Ende der Krise warte, um ihre Erfolge im Kampf gegen die Pest unter Beweis stellen zu können.

In der Zwischenzeit, heißt es weiter, könne man in den führenden deutschen Medien unter dem allgemeinen Motto "Undankbarkeit der Osteuropäer" beispielsweise immer noch lesen, dass Polen und Tschechien unter dem Vorwand der Aktion gegen Preisbetrüger Schutzmasken beschlagnahmt haben sollen, die für Italien bestimmt waren. Diese Waren, wie Engels bemerkt, wurden schließlich geliefert und das Missverständnis wurde auf diplomatischem Wege schnell ausgeräumt. Zugleich könne man in deutschen Medien nichts darüber lesen, dass eine ähnliche Beschlagnahmung von Schutzmasken - und das bereits am 3. März - von Frankreich durchgeführt wurde. Und Deutschland habe nur einen Tag später ähnliche Maßnahmen ergriffen. Vor ein paar Tagen habe Berlin auch eine Fracht von 830 Tausend Masken für Italien gestoppt.

Als Belgier, erklärt Engels, betrachte er diese deutsche Tendenz, seine östlichen Nachbarn mit solch einer Überlegenheit zu belehren, mit "Verlegenheit und Bestürzung". "Immer dieser mitfühlende Ton [...] und Blick von oben, wenn das deutsche Fernsehen berichtet, wie Donald Trump, Boris Johnson oder die PiS-Regierung mit der Coronavirus-Epidemie umgehen", soll sogar der Berliner Tagesspiegel kürzlich zugegeben haben.

Führende deutschen Medien, die sich so sehr auf europäische Solidarität, Toleranz und Multikulturalismus berufen, sollten, Engels nach, lieber damit beginnen, diesen bevormundenden Ton gegenüber ihren nächsten Nachbarn loszuwerden - was in der deutschen Ausgabe niemals gut angenommen werde.

In Deutschland gäbe es derzeit 30.081 Coronavirus-Infektionen, darunter 130 Todesfälle (Stand vom 24. März 2020), in Polen 774 Infektionen und 9 Todesfälle. Wenn man nur diese Zahlen betrachte, argumentiert der Professor, so sollten sich einige Redaktionen eher auf das konzentrieren, was im Moment am wichtigsten sei - auf menschliches Leid und das Gespenst des totalen Zusammenbruchs der europäischen Wirtschaft. Denn bevor der "deutsche Geist die ganze Welt heilt" [Bezug auf den Slogan des 19. Jahrhunderts "am deutschen Wesen mag die Weltgenesen"], so Engels für das Nachrichtenportal Tygodnik Solidarności, sollte Deutschland zunächst etwas mehr Geschick im Umgang mit der Epidemie zu Hause zeigen.


Tygodnik Solidarność/ps