Deutsche Redaktion

"Neue Energie"

05.06.2023 10:10
Ein führendes Thema in der Presse ist die gestrige Kundgebung der Oppositionsanhänger in Warschau. Das Warschauer Rathaus hat die Zahl der Teilnehmer auf etwa 500 Tausend beziffert, die Polizei spricht von 100-150 Tausend Teilnehmern. In ersten Reaktionen versuchen regierungsnahe Politiker und Medien die Skala der Proteste kleinzureden. Außerdem geht es auch um den missglückten Auftritt von Ex-Staatspräsident Wałęsa. Und um den Einfluss der Präsidentenunterschrift unter dem umstrittenen Gesetz zur Untersuchung russischer Einflüsse auf die Beziehungen zwischen Warschau und Washington.
Piotr Mller: manifestacja w Warszawie przeczy tezom opozycji o końcu demokracji.
Piotr Müller: manifestacja w Warszawie przeczy tezom opozycji o końcu demokracji.PAP/Paweł Supernak

RZECZPOSPOLITA: Neue Energie

- 100 Tausend? Man könne vorsichtig sagen, dass das mittelmäßig sei und wahrscheinlich im Widerspruch zu den Erwartungen und Träumen stehe, die seit Wochen geschürt werden – kommentierte etwa Tomasz Poręba, Leiter des PiS-Wahlkampfstabes den gestrigen Marsch der Oppositionsanhänger in Warschau. Mateusz Morawiecki habe die Teilnehmer der Demonstration verspottet und behauptet, dass nur Wähler, Sympathisanten und Aktivisten der Bürgerplattform daran teilgenommen hätten. Laut Justizminister Zbigniew Ziobro sei es ein Marsch des Hasses, der Verachtung, und der Schimpfwörter gewesen. Trotz dieser Kommentare habe sich der Marsch als Wahlbeteiligungserfolg erwiesen und der Regierungspartei PiS Angst gemacht, lesen wir in der Tageszeitung Rzeczpospolita.
Die Worte des Premierministers, dass es sich nur um einen Marsch von PO-Anhängern und Aktivisten gehandelt habe, seien nicht wahr. Es hätten daran auch diejenigen teilgenommen, die nicht für die PO stimmen würden. Auch Vertreter anderer Parteien seinen anwesend gewesen, einschließlich der Partei Razem. Ihr Anführer Adrian Zandberg sei, gelinde gesagt, kein Tusk-Anhänger. Der Erfolg des Marsches sei unter anderem auf die Entscheidung der PiS zurückzuführen, die Kommission zur Überprüfung russischer Einflüsse ins Leben zu rufen, der Präsident Andrzej Duda übrigens zugestimmt habe. Das Staatsoberhaupt habe die Opposition vereint und viele Polen gegen die Entscheidungen der PiS mobilisiert. Doch bis zur Wahl würden noch fast fünf Monate bleiben, lesen wir.
Wenn Tusk nach dem Marsch sein Engagement nicht beibehalten und die Teilnehmer, etwa Oppositionsführer, für das PO-Lager zu rekrutieren versuchen werde, dann werde er einen riesigen Fehler begehen. Eine ähnliche Ausgangslage habe Rafał Trzaskowski nach der Präsidentschaftswahl gehabt. Er habe jedoch die Energie von über 10 Millionen Wählern schwinden lassen. Wenn der PO der Erfolg nicht zu Kopf steige, wird die Opposition im Oktober die Regierenden ins Bockshorn jagen. Die Sonderkommission zur Überprüfung russischer Einflüsse sei eine weitere schlechte Entscheidung, die die PiS an die Machtabgabe näherbringe, so Rzeczpospolita.

DO RZECZY: Wałęsas Ratschläge

Im Kommentar der nationalkonservativen Wochenzeitung Do Rzeczy ist von Zehntausenden Teilnehmern die Rede, die gestern zu dem von der Bürgerplattform PO organisierten Marsch in die Hauptstadt geströmt seien. Wie das Blatt erinnert, sei die Veranstaltung kurz nach 12.00 Uhr offiziell eröffnet worden. Bevor der Marsch begonnen habe, seien mehrere Personen auf der Bühne erschienen. Donald Tusk, der Vorsitzende der Bürgerplattform, habe als erster das Wort ergriffen, gefolgt von unter anderem dem Warschauer Stadtpräsidenten Rafał Trzaskowski und dem ehemaligen Präsidenten Lech Wałęsa.
Zu Beginn habe der Letztere an seine Lebensleistungen erinnert, lesen wir weiter. Bei diesem Treffen möchte er sagen, dass er, wie bereits bekannt sei, der erfolgreiche Mann des Jahrtausends sei. Ein Arbeiter, ein Elektriker, viele Kinder, vier Honorarprofessoren, über 100 Doktortitel und er habe mehr Medaillen als Leonid Breschnew, habe der Ex-Präsident seine Erfolge aufgezählt. Er möchte, dass die Versammelten verstehen, worin seine Erfolge bestehen, damit einige von ihnen, und am besten alle von ihnen, in diese Richtung gehen und ähnliche Erfolge erzielen können. Und die Sache sei ganz einfach: er habe alle Dinge und Probleme aus der Perspektive der Praxis betrachtet. Er habe nichts gegen Theorie, aber aus der Theorie habe er nur das ausgewählt, was ihm gepasst habe und was er praktisch umsetzen konnte. Eine einfache Regel, sagte der ehemalige Präsident den Versammelten.
Nach einigen Minuten hätten die Versammelten: „Lass uns gehen, lasst uns gehen“ zu skandieren begonnen. Offensichtlich unzufrieden habe Wałęsa festgestellt: „Wenn sie nicht auf mich hören wollen, danke ich Ihnen vielmals und wünsche Ihnen alles Gute“, berichtet die Wochenzeitschrift Do Rzeczy.

DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Den gleichen Fehler zweimal machen

Im Winter 2018 habe die mit der PiS sympathisierende Regierung von Donald Trump den polnischen Präsidenten dafür kritisiert, dass er die Änderung des Gesetzes über das Institut für Nationales Gedenken unterzeichnet hatte, schreibt die Tageszeitung Dziennik/Gazeta Prawna. Der Republikaner habe Warschau über informelle Kanäle mitgeteilt, dass weder Andrzej Duda noch Premierminister Mateusz Morawiecki mit Treffen auf höchster Ebene in Washington rechnen können, solange dieses Gesetz in Kraft sei. Für die PiS, die ihre Sicherheitspolitik auf dem Bündnis mit den USA und dem in den meisten EU-Hauptstädten stigmatisierten Trump basierte, seien das schlechte Nachrichten gewesen. Zu diesem Zeitpunkt habe sich Polen bereits im Konflikt mit der Europäischen Kommission und zwei wichtigen Ländern der Gemeinschaft - mit Frankreich und Deutschland - befunden. Nun habe sich dieser Kreis um die USA und Israel erweitert. „Meiner Meinung nach ist die Beilegung des Streits mit den USA wichtiger als der Streit mit Israel oder Gespräche mit der Europäischen Kommission über die Rechtsstaatlichkeit“ – ein solche Diagnose stellt damals ein hochrangiger Politiker des polnischen Regierungslagers. Mit der Unterzeichnung des so genannten „Lex Tusk“ sei der Staatspräsident gewissermaßen zu der Situation von 2018 zurückgekehrt. Er habe den gleichen Fehler ein zweites Mal begangen. Diesmal aber habe er es in einem Moment geschafft, in dem jenseits der polnischen Grenze Krieg herrsche. Damit sei der Staat einem viel größeren Risiko ausgesetzt als 2018, stellt Dziennik/Gazeta Prawna fest.

Autor: Jakub Kukla