Auf Telegram und wenig später auch in polnischsprachigen sozialen Medien ist ein Video aufgetaucht, das angeblich die Festnahme von Polen in der Ukraine wegen des Besitzes polnischer Nationalsymbole zeigt.
Ein Logo in der linken oberen Ecke des Videos soll den Eindruck erwecken, es handle sich um offizielles Material des ukrainischen Sicherheitsdienstes SBU. Der Film zeigt uniformierte und bewaffnete Beamte, die ein Haus oder eine Wohnung betreten und zwei Männer festnehmen. Neben der Dokumentation des Einsatzes konzertiert sich die Aufnahme auf zwei Details: eine Tafel mit dem Text der „Mazurek Dąbrowskiego“ (polnische Nationalhymne) sowie eine polnische Flagge an der Wand.
Seit Dienstag verbreitet sich das Video rasant in polnischsprachigen sozialen Netzwerken. Es erzielt hohe Reichweiten und löst lebhafte Reaktionen aus – vor allem Empörung über das angebliche Vorgehen ukrainischer Behörden gegen ihre nationale Identität offen zeigende Polen. Auf einem populären Facebook-Profil wurde das Video über 616.000 Mal angesehen.
In der Ukraine ist im vergangenen Monat kein einziger Hinweis auf eine Festnahme von Polen durch den SBU erschienen – weder wegen des absurden Vorwurfs des Besitzes nationaler Symbole, noch wegen krimineller Delikte oder einer angeblichen Beteiligung an Sabotageaktionen im Auftrag Russlands.
Experte: Russische Propagandisten verstehen nicht, was in Polen wirklich passiert
Nach Ansicht von Prof. Dr. habil. Roman Bäcker, Dozent an der Fakultät für Politik- und Sicherheitswissenschaften der Nikolaus-Kopernikus-Universität in Toruń, wurde das Video von russischer Seite produziert. Es soll Spannungen schüren und negative Stereotypen gegenüber dem ukrainischen Volk unter Teilen der polnischen Gesellschaft erzeugen. Bäcker zufolge „passe nichts in diesem Film zusammen, es gibt viele Elemente, die keinen Sinn ergeben.“
Der Experte machte auf fehlende Kontinuität in der Aufnahme aufmerksam: Als die uniformierten Personen den Raum betreten, liegen die angeblich Festgenommenen bereits am Boden. Im gesamten Video fällt kein einziges Wort auf Polnisch. „Ich vermute, dass die ‚Verkleideten‘ die polnische Sprache nicht beherrschten“, so Bäcker. Die polnische Flagge und die Tafel mit dem Text der Nationalhymne seien bewusst in Szene gesetzt worden. „Wer von den Polen hängt sich zu Hause eine Flagge und den Text der Hymne in Postergröße an die Wand?“, fragte der Experte kritisch.
Russisches Staatsfernsehen im Hintergrund
Dem Experten fiel zudem ein an der Wand hängender Fernseher auf, auf dem während der angeblichen „Festnahme“ ein Auftritt von Tina Turner zu sehen war. Das Logo in der rechten oberen Ecke des Bildschirms verriet, dass die Sendung im landesweiten Programm Swesda lief – einem Kanal des russischen Verteidigungsministerius. „Aber russische Fernsehsender sind in der Ukraine doch längst nicht mehr empfangbar“, erklärt Prof. Bäcker.
Der Experte wies auch auf die Plattform hin, auf der das Video veröffentlicht wurde – Telegram. „Das ist ein weit verbreiteter russischer Messenger, der von Polen eher selten genutzt wird. Das zeigt nicht nur, dass die russischen Propagandisten kaum verstehen, was in Polen vor sich geht, sondern auch, dass es ihnen um Reichweite geht – also darum, einen guten Berichtswert zu erzielen“, erklärte Roman Bäcker.
Er fügte hinzu, dass dies umso bemerkenswerter sei, als die gesamte Inszenierung – wie die Kulisse erkennen lässt – mit sehr geringem Aufwand produziert worden sei.
PAP/polsatnews/pl