Deutsche Redaktion

Botschafter Cichocki: Russland strebt „taktische Pause“, keinen Frieden

26.11.2025 11:32
Der ehemalige polnische Botschafter in der Ukraine, Bartosz Cichocki, bezweifelt, dass Russland an einem tatsächlichen Frieden interessiert ist. Moskau wolle „taktisch einen möglichen Waffenstillstand“, strategisch aber die Zerstörung der ukrainischen Staatlichkeit fortsetzen, sagte Cichocki im Gespräch mit dem Portal money.pl. Ziel sei ein politisch kontrolliertes, vom Westen abgekoppeltes Land „wie Belarus oder Georgien“.
Bartosz Cichocki
Bartosz CichockiFoto: Adam Koniecki / Polskie Radio

Cichocki, der von 2019 bis 2023 polnischer Botschafter in Kiew war, bewertete die laufenden Verhandlungen über einen möglichen Friedensplan zurückhaltend. Ein Frieden, wie ihn US-Präsident Donald Trump zuletzt ins Gespräch gebracht hatte, sei „nicht realistisch“. Zu großer Zeitdruck sei ohnehin kontraproduktiv. Ohne den Einsatz Trumps hätte es jedoch „noch lange keine Chance auf einen Waffenstillstand“ gegeben, sagte er.

Kritik am ursprünglichen 28-Punkte-Plan 

Der Diplomat übte deutliche Kritik am ersten US-Russland-Entwurf eines 28-Punkte-Plans. Das Dokument sei ein „chaotisches Sammelsurium widersprüchlicher Ideen“ und in dieser Form nicht verhandelbar. Vorgesehene Zugeständnisse wie der Rückzug der Ukraine aus Teilen des Gebiets Donezk, Verfassungsänderungen zur NATO-Frage oder die Reduzierung der ukrainischen Streitkräfte würden Russland übermäßige Vorteile verschaffen.

Solche Punkte erinnerten an „Fallstricke wie in den Minsker Vereinbarungen“, deren Nichterfüllung 2014/2015 Moskau später als Vorwand für eine erneute Aggression genutzt habe. Territoriale Abtretungen, so Cichocki, würden zudem die Verteidigungslage Kiews dramatisch schwächen: „Für Russland wäre das eine Autobahn nach Kiew.“ 

Russland wirtschaftlich unter Druck – aber nicht gestoppt 

Cichocki verwies auf die wirtschaftlich angespannte Lage Moskaus. Die Preise für russisches Rohöl seien zuletzt stark gefallen, teilweise sei die Ware überhaupt nicht verkauft worden. Das erinnere an die wirtschaftliche Krise der Sowjetunion vor dem Zerfall. Dennoch bleibe Russland militärisch aktiv, verfüge aber weder über „unbegrenzte Reserven an Rekruten, Raketen oder Panzern“.

Ein möglicher Waffenstillstand könne Russland nutzen, um seine militärischen Fähigkeiten wieder aufzubauen. Der Westen müsse die gleiche Zeit nutzen, um die ukrainische Armee, Energieversorgung und Wirtschaft zu stabilisieren. In großen Teilen des Landes gebe es derzeit nur wenige Stunden Strom pro Tag – ein Zustand, der die wirtschaftliche Existen zerstöre. 

Skepsis gegenüber wirtschaftlichen Teilen des Friedensplans 

Einige wirtschaftspolitische Vorschläge – darunter Entschädigungen für die USA oder ein Wiederaufbaufonds, aus dem Washington die Hälfte erhalten solle – seien aus seiner Sicht Ideen aus Moskau. Russland wolle die Debatte über die Verwendung eingefrorener russischer Vermögenswerte im Westen sabotieren und zugleich eine Lockerung der Sanktionen erreichen.

Positiv bewertete Cichocki dagegen den europäischen Gegenentwurf, der der Ukraine vor einem möglichen EU-Beitritt Zugang zum europäischen Binnenmarkt einräumen soll. Das sei zwar „die einzige realistische Option auf absehbare Zeit“, aber aus polnischer Sicht unzureichend. Polen habe ein strategisches Interesse an einer umfassenden Transformation der Ukraine. „Freihandel mit Hühnern oder Getreide allein reicht nicht“, sagte er und verwies auf bestehende Importkonflikte bei Stahl, Zement und Zucker.

Polen im Friedensprozess außen vor

Cichocki kritisierte, dass Polen bei den derzeitigen Verhandlungen keine Rolle spiele. Der Wiederaufbau der Ukraine werde jedoch stark von der Unterstützung seines Nachbarn abhängen. Der ukrainische Vizeministerpräsident Taras Kaczka habe ihm gesagt, Polen könne „eine ähnliche Schlüsselrolle spielen wie während der ersten Kriegsmonate“, dank seiner Häfen, Grenzübergänge und logistischen Infrastruktur.

Dass Polen dennoch nicht am Verhandlungstisch sitze, sei „völlig unverständlich“, so Cichocki. Verantwortlich seien sowohl die Spannungen zwischen Regierung und Präsident als auch der fehlende Dialog zwischen Präsident Andrzej Nawrocki und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

Waffenstillstand möglich – echter Frieden nicht in Sicht

Cichocki erwartet, dass binnen Wochen ein Waffenstillstand möglich werden könnte, vielleicht noch im Dezember oder Anfang Januar. Dieser würde jedoch „nur ein neues Kapitel öffnen“, keinesfalls den Konflikt beenden. Ein belastbarer Friede sei derzeit nicht denkbar: „Es gibt keine Bedingungen für einen Frieden – nur für ein mögliches Einfrieren der Front.“

Russlands geopolitische Ziele seien unverändert: eine Rückkehr zu Einflusssphären wie in den 1990er Jahren, eine Schwächung der US-Präsenz in Europa und eine erneute Dominanz in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. „Wenn wir Russland Zeit zum Aufrüsten geben und selbst nichts tun, schicken wir dem Kreml eine Einladung, unsere Schwächen auszunutzen“, warnte Cichocki.


PAP/money.pl/jc