"Die Europäische Kommission schaut sich das Urteil derzeit genau an", sagte von der Leyen am Dienstag vor dem Europäischen Parlament in Straßburg mit Blick auf eine Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts. "Und ich kann Ihnen sagen, ich bin sehr besorgt." Das Urteil untergrabe das Fundament der Europäischen Union. "Es ist ein direkter Angriff auf die Einheit des europäischen Rechts." Die EU-Kommission werde daher handeln, sagte sie in einer teils hitzig geführten mehr als vierstündigen Debatte, an der auch Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki teilnahm.
Das Verfassungsgericht in Warschau hatte kürzlich entschieden, dass Teile des polnischen Rechts über der EU-Gesetzgebung stehen, was nach Auffassung der Kommission ein Verstoß gegen die europäischen Verträge darstellt. Der Streit hat Befürchtungen ausgelöst, es könne zu einem Polexit kommen, einem Austritt Polens aus der EU.
Von der Leyen beschrieb drei nun gangbare Optionen der EU-Kommission. So könne die Entscheidung des Verfassungsgerichts mit einem Vertragsverletzungsverfahren geahndet werden, an dessen Ende Strafzahlungen stehen könnten. Zweite Option wäre die Einbehaltung von EU-Strukturhilfen für Polen. Drittens könnte Polen nach Artikel Sieben des EU-Vertrags auch Stimmrechte entzogen werden.
Polens Ministerpräsident Morawiecki verteidigte das Urteil des obersten Gerichts vor dem Straßburger Parlament und warf der EU vor, ihre Kompetenzen zu überschreiten. Den Europäischen Gerichtshof (EuGH) beschuldigte er, "schleichend" die EU-Zuständigkeiten auszuweiten. Zugleich betonte er, sein Land wolle Mitglied der EU bleiben.
Im Rahmen des Corona-Wiederaufbaufonds hat Polen Hilfen im Volumen von 23,9 Milliarden Euro und vergünstigte Kredite von 12,1 Milliarden Euro beantragt. Dass das Geld fließt, solange der Streit über die Rechtsstaatlichkeit anhält, gilt als unwahrscheinlich. Im Finanzrahmen von 2021 bis 2027 stehen Polen zudem rund 70 Milliarden Euro an EU-Kohäsions- und Strukturfonds zu.
reuters/IAR/jc