RZECZPOSPOLITA: „Die Russen haben sich selbst hypnotisiert"
In einem ausführlichen Interview mit der konservativ-liberalen Rzeczpospolita präsentiert der Militärexperte und ehemalige Aufklärungsoffizier Oberstleutnant a.D. Maciej Korowaj vom Institut für die Ostflanke eine überraschende Analyse der gegenwärtigen Lage. Seine zentrale These: Donald Trump wolle in Wirklichkeit gar keinen schnellen Frieden in der Ukraine. Vielmehr provoziere er die Russen mit seinen Verhandlungsangeboten dazu, den Krieg fortzusetzen.
„Die Russen haben sich selbst hypnotisiert mit der Vorstellung, Trump sei auf ihrer Seite, aber in Wirklichkeit spielt Trump sie aus", erklärt Korowaj. Die USA würden Russland in anderen Bereichen – im Nahen Osten, im Kaukasus, in Zentralasien, sogar in Belarus – „ständig rupfen", und die Russen würden nachgeben. Ein andauernder Krieg liege durchaus im amerikanischen Interesse: Die USA gewönnen Rüstungsaufträge und könnten russische Interessen an den Peripherien angreifen.
Der Experte räumt zugleich mit der verbreiteten Annahme auf, es gehe Moskau primär um Gebietsgewinne im Donbass. „Dem Kreml geht es nicht so sehr
um das Territorium, sondern darum, dass die Ukraine aufhört, ein Staat zu sein, der Russland gefährden kann", betont Korowaj. Am wichtigsten sei für Russland die Aufhebung der Sanktionen, der Zugang zu den eingefrorenen Finanzreserven und eine möglichst entwaffnete, bündnislose Ukraine. Das Territorium habe zweitrangige Bedeutung und könne „verhökert" werden.
In Bezug auf die Dauerhaftigkeit eines möglichen Waffenstillstands zeigt sich Korowaj skeptisch: Russland könne sein militärisches Potenzial innerhalb von zwei Jahren wieder aufbauen. Der Kreml habe während des Krieges mehr Aufwand in den Aufbau des wirtschaftlichen und ausbildungstechnischen Hinterlands gesteckt als in die eigentlichen Kampfhandlungen. „Das ist ein Putin nahes Modus Operandi: den Krieg aufschieben, wenn es nicht geklappt hat, ein zweites Mal zuschlagen, und wenn nötig auch ein drittes Mal", so Korowaj mit Verweis auf Tschetschenien.
Der ehemalige Aufklärungsoffizier bezieht sich auch auf die jüngsten Sabotageakte in Polen. Die Entscheidung, Bürger von NATO-Staaten zu töten, sei auf Kreml-Ebene gefallen. Russland versuche, den Krieg auf NATO-Territorium zu verlagern, um die amerikanische Administration zu echten Verhandlungen zu zwingen. „Wenn es in Polen zu einer Zugkatastrophe mit Todesopfern gekommen wäre, würden wir ganz anders über den Friedensplan reden", so Maciej Korowaj im Gespräch mit der Rzeczpospolita.
DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Warum Trumps Dealmaker an Moskau scheitern
In einem ausführlichen Essay für das Wochenendmagazing des Wirtschaftsblatts Dziennik/Gazeta Prawna liefert der Politikwissenschaftler Witold Sokała von der Jan-Kochanowski-Universität in Kielce eine komplementäre Analyse. Geht es nach Sokała, seien die amerikanischen Unterhändler in eine russische Falle getappt, weil sie einen fundamentalen Fehler begangen hätten – sie behandelten Moskau wie einen nahöstlichen Geschäftspartner.
Die Verhandlungen, erinnert der Experte, seien von Personen geführt worden, die außerhalb der regulären außenpolitischen Strukturen agierten: Steve Witkoff, Trumps Jugendfreund und Golfpartner, von Beruf New Yorker Immobilienspekulant, sowie Jared Kushner, Trumps Schwiegersohn. Beide hätten sich auf der nahöstlichen Bühne als relativ effektiv erwiesen, weil sie eine gemeinsame Sprache mit den dortigen, sehr pragmatisch eingestellten Eliten gefunden hätten – Eliten, die sich vor allem für Geschäfte interessierten, nicht für Ideologie.
Doch mit Russland verhalte es sich anders, warnt Sokała. Die russische Elite bestehe zwar aus Kleptokraten, die sehr an ihren privaten Vermögen hingen. Doch sie wüssten auch, dass die Legitimation ihrer Macht davon abhänge, den nationalen, imperialen Mythos zu nähren. Im Gegensatz zur reichen jüdischen Diaspora, israelischen Politikern, arabischen Scheichs und selbst Hamas-Führern könnten weder sie selbst noch ihre Landsleute unter Friedensbedingungen leben und mit normalem Geschäft Geld verdienen.
„Russland kann kein Brot backen, deshalb zieht es vor, von Konflikten zu leben", fasst Sokała zusammen. Russlands strategisches Ziel sei die Verlängerung von Gewalt und die Aufrechterhaltung von Instabilität, denn auf einem so organisierten Spielfeld komme Moskau viel besser zurecht als im friedlichen Wettbewerb um Entwicklungsvorteile.
Putin habe Geschick bewiesen, indem er den Amerikanern mit Kirill Dmitrijew einen Verhandlungspartner unterschob, der deren Erkenntnisfehler zementierte – einen Harvard-Absolventen mit Goldman-Sachs-Erfahrung, der die Sprache amerikanischer Geschäftsleute spreche. Die Ausbildung von Witkoff und Kushner habe hauptsächlich Handelsrecht und Finanzen umfasst, nicht die Geschichte von Kriegen und Diplomatie – und schon gar nicht die Verwicklungen rund um die russische Seele und Kreml-Strategien.
Die Kreml-Elite, so Sokała, lasse sich nicht mit Zuckerbrot zum Frieden überreden. Man könne sie nur mit einem ausreichend dicken Knüppel zur Einstellung des Krieges zwingen. Erfreulich seien daher die jüngsten Erklärungen von Keir Starmer und Emmanuel Macron über eine Beschleunigung der Arbeiten zur Konfiszierung eingefrorener russischer Vermögenswerte. Erfreulich sei paradoxerweise auch, dass sich der US-Präsident am Dienstag von der Idee eines baldigen Treffens mit Selenskyj und Putin distanziert hat. Das könne nämlich bedeuten, dass er die Absichten Putins erkannt hat und sich, anstatt sich bei weiteren „Gipfeltreffen” lächerlich zu machen, darum kümmern wird, Moskau die Daumenschrauben anzulegen.
Selbst wenn dies der Fall sein sollte, müssten wir uns bewusst sein, dass es noch ein langer Weg ist, bis das endgültige, gewünschte Ergebnis erreicht sei – nämlich die Kapitulation des Aggressors und nicht des Opfers. Und die Uhr ticke.
“Wir wissen nicht, ob Russland zusammenbrechen wird, bevor es zu einer Implosion der erschöpften Ukraine kommt, bevor in Frankreich und Deutschland tatsächlich pro-russische Kräfte an die Macht kommen und die Vereinigten Staaten schließlich die für den amerikanischen Wähler exotischen Probleme des Alten Kontinents abtun.” Auf diese Szenarien setze Putin offenbar, indem er seine Gegner konsequent täusche und auf Zeit spiele, so Witold Sokała in Dziennik/Gazeta Prawna.
Autor: Adam de Nisau