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Gałczyński zwischen Berlin und Stettin – ein polnischer Dichter im deutschen Grenzgebiet

01.07.2021 13:19
Der polnische Dichter Konstanty Ildefons Gałczyński wird vor allem mit Warschau in Verbindung gebracht. Sein Berlin-Aufenthalt bleibt häufig ebenso unerwähnt wie dessen Kultstatus in Westpommern. Zu Unrecht - findet Wojciech Osiński.
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Poeten knnen noch so brillante Weltverbesserer sein, sie werden nicht verstanden, wenn sie nicht den Bildungsstand ihrer Leser bercksichtigen - lautete sein Credo.
ʺPoeten können noch so brillante Weltverbesserer sein, sie werden nicht verstanden, wenn sie nicht den Bildungsstand ihrer Leser berücksichtigenʺ - lautete sein Credo. PAP

Schreiben war für Konstanty Ildefons Gałczyński vor allem eines: Leidenschaft. Die Liebe zur Poesie erwuchs nicht aus der Notwendigkeit des Broterwerbs. Durch den Einfluss von Verwandten kulturell und politisch sehr aufgeweckt, debütierte er bereits 1923 als 17-Jähriger mit satirischen Gedichten in der Presse.

Mit seiner ausgeprägten Gabe für Fremdsprachen und Dialekte - Gałczyński studierte Anglistik und klassische Philologie - wurde er zum Chronisten eines dem Westen zugeneigten Warschaus. Das Facettenreichtum, mit dem die polnische Hauptstadt der 1920er Jahre manch einen Zugereisten beeindruckte, war für Gałczyński Alltag und Heimat. Er hatte zudem einen freien Blick für die sozialen Missstände in den ärmeren Bezirken. Spontane Straßenfeste, kleine Märkte, Karussells und Schießstände – dies waren anfänglich die Themen, die ihn besonders umtrieben. Gałczyński entzog sich dabei jeglicher Klassifizierung, wollte keiner Dichtergruppe angehören. Dennoch wird er oft der ʺKwadrygaʺ zugeordnet, die sich damals in Opposition zu den als etwas elitär geltenden ʺSkamandritenʺ formierte.

Gałczyński konzentrierte sich aber nicht nur auf die düsteren Gesichter der Stadt. Das Kulturleben Warschaus bot genug Stoff für Dutzende von Gedichten und Artikeln. Die Palette seiner Themen war groß. Ob Politik, Geschichte, Theater oder Kabarett - es gab wenig, zu dem er nicht seine kritische Stimme erhob. Mit einem scharfen Auge für das Groteske im Alltäglichen konnte Gałczyński sowohl das Großstadtflair als auch die politische Brisanz jener Jahre treffsicher beschreiben.

Zwischen 1931 und 1933 arbeitete er als Kulturattaché bei der polnischen Botschaft in Berlin. Viele Literaturkenner messen der deutschen Episode im Schaffen Gałczyńskis keinerlei Bedeutung bei, dabei war sie eine der fruchtbarsten Arbeitsphasen in seinem Leben. ʺEinige seiner in Berlin entstandenen Texte sind leider verschollen, dies mag den Eindruck verstärkt haben, dass mein Vater monatelang lediglich im Büro saß. Das stimmt aber nichtʺ - so die Tochter des Dichters Kira Gałczyńska. Der Lyriker aus Warschau fand neben seiner konsularischen Tätigkeit genug Zeit, um die Sprache Goethes zu lernen und sich in das Berliner Nachtleben zu stürzen, das Anfang der Dreißiger mit seinem kulturellen Überangebot weltweit für Aufsehen sorgte.

Zum satirischen Ziel von Gałczyńskis Kritik wurden zu dieser Zeit vor allem Kommunisten, die er bereits zuvor in der katholischen Wochenzeitung ʺProsto z mostuʺ aphoristisch bloßstellte. Seine Attacken richteten sich ebenso gegen die Nationalsozialisten, deren Einfluss in Berlin immer spürbarer wurde und das Stadtbild beträchtlich zu trüben begann. Adolf Hitler wurde von vielen Deutschen noch nicht als die schleichende Gefahr erkannt, die er tatsächlich war. Die meisten Berliner blieben in einer Gleichgültigkeit verhaftet, die Gałczyński erschaudern ließ. Anfang 1933 schrieb er ein Gedicht über die jüdische Schauspielerin Inge Bartsch, die nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler unter nie geklärten Umständen verschwand. ʺSie hielt es nicht aus in den Klammern des Systems. Schade. Hübsch war sie und ihr Rücken wie persischer Samtʺ - heißt es in den hier von Andrzej Seweryn zitierten Zeilen.

Als im Februar 1933 der Reichstag brannte, gab es für Gałczyński keine Zweifel, dass die Tat entweder auf die Nazis oder linksradikale Banden zurückzuführen war. Spätestens dann fasste er den Entschluss, vorzeitig Berlin zu verlassen Er kehrte aber noch einmal nach Deutschland zurück - wenngleich unfreiwillig. 1939 zum Kriegsdienst eingezogen, kam er bald in deutsche Gefangenschaft und wurde in ein Lager bei Magdeburg deportiert. Es mag seltsam klingen, aber dort schrieb er einige seiner besten Gedichte, wie zum Beispiel ʺSen żołnierzaʺ. Die polemischen Spitzen gegen die Kommunisten machten ihn damals auch in Moskau zu einem unbequemen Autor.

Umso kurioser ist seine Wandlung nach dem Zweiten Weltkrieg. Vertrat er zuvor noch konservative Positionen, übernahm Gałczyński in der Volksrepublik Polen auf einmal die Richtlinien der sozialistischen Literaturproduktion und wurde damit zu einem von den Machthabern umjubelten Autor. Die Partei markierte mit rigorosen Eingriffen in Kunstprozesse einen Kurs, der viele Polen schockierte. Doch Gałczyński gehörte zu jenen, die sich offenbar bereitwillig den kulturpolitischen Anweisungen der PZPR-Führung fügten. Warum eigentlich? Um eine Antwort auf diese Frage bemühte sich einst sein Landsmann und Schriftstellerkollege Czesław Miłosz. ʺEinsame Meditation mit der Feder in der Hand im stillen Stübchen, ohne Hoffnung, Leser zu finden, das war nichts für ihn. Die Laute in der Hand und eine Menge von Verehrern, das war’s, was er wünschte, was auch die alten Sänger und Dichter gewünscht hattenʺ - schreibt der Nobelpreisträger von 1980 in seinem Buch ʺVerführtes Denkenʺ.

In der Tat suchte Gałczyński den stürmischen Applaus, ließ gern den warmen Regen von Komplimenten über sich ergießen. Seine früheren Texte lassen jedoch Zweifel daran wachsen, dass er sich bewusst für den Sozialistischen Realismus entschieden hat, zumal er auch in den ersten Nachkriegsjahren viele vorzügliche Gedichte verfasste, die völlig frei waren von politischen Implikationen. In dem Balanceakt zwischen notwendiger Haltung und erduldbarem Kompromiss werden jedenfalls auch patriotische Töne erkennbar, die an den alten Konstanty Ildefons Gałczyński erinnern.

Vergessen werden in diesem Zusammenhang vor allem seine literarischen Verdienste für das polnische Szczecin. Gałczyński ließ sich 1948 in der von den Nazis zerstörten Stadt nieder und blieb dort fast zwei Jahre. Über den ʺMagnolien und Ruinenʺ wehten weiß-rote Fahnen, wobei der Dichter für eine rasche Polonisierung des noch unlängst deutschen Stettins warb. Gałczyński verwies zurecht auf den slawischen Ursprung der Odermetropole und hob viele historische Argumente hervor, die eine Rückkehr Westpommerns nach Polen legitimierten. Es ist unter anderem seiner kulturellen Aktivität in Szczecin zu verdanken, dass diese Region wieder in den Fokus der Erholungssuchenden geriet und polnische Kurorte wie Świnoujście und Kołobrzeg abermals touristischen Aufschwung erlebten. Vielleicht sollten wir ihn so in bleibender Erinnerung behalten.

 

Aus Berlin, Wojciech Osiński