Deutsche Redaktion

Moskauer Lektion in Demokratie

29.07.2019 13:31
Ein wichtiges Thema in der Presse ist die Zerschlagung der Oppositions-Demonstration nach einer Kundgebung in Moskau am vergangenen Samstag. Außerdem geht es auch um den Hot Seat im Finanzministerium.
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Ein wichtiges Thema in der Presse ist die Zerschlagung der Oppositions-Demonstration und die Verhaftung von über 1000 Oppositionellen nach einer Kundgebung in Moskau am vergangenen Samstag.  

 

Rzeczpospolita: Unverständliche Gewalt

Der Publizist der konservativen Tageszeitung Rzeczpospolita, Andrzej Łomianowski bezeichnet die Welle der Verhaftungen, nächtlichen Verhöre und das brutale Vorgehen der Polizei gegen die Demonstranten als völlig unverständlich. Die Behörden, so der Publizist, hätten sich so verhalten, als ob die Opposition mindestens den Vorsitz bei Gazprom oder den Präsidenten-Posten für sich beansprucht hätte. Dabei sei es den Protestierenden nur um Posten im moskauer Stadtrat gegangen. Damit, so Łomianowski, würde der Kreml die Opposition (also einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung) von jeder Form des öffentlichen Lebens abschotten. Das jedoch könne zu einer Radikalisierung der Stimmung und zur Aktivierung unterschiedlicher extremistischer Gruppen führen. Wieso die russischen Machthaber bereit seien, einen solchen Preis zu bezahlen, sei unklar. Vielleicht, so der Autor, sei dies das natürliche Verhalten autoritärer Systeme. Vielleicht möchte der Kreml auch schon jetzt, vor den Parlamentswahlen 2021 und dem Ende der Amtszeit von Staatspräsident Vladimir Putin 2024 die moralisch-politische Einheit des Volkes sichern, um später keine Problem bei den Wahlen zu haben, spekuliert Andrzej Łomianowski in der Rzeczpospolita. 

 

Gazeta Wyborcza: Moskauer Lektion in Demokratie

Für Wacław Radziwinowicz von der linksliberalen Gazeta Wyborcza ist die Situation indes klar. Putins Macht und Popularität, lesen wir in seinem Kommentar, habe sich jahrelang darauf gestützt, dass er alle seine Untergebenen großzügig beschenkt habe. Die einen mehr, die anderen weniger, aber für jeden habe er etwas parat gehabt. In den ersten Jahren der Ära Putin, lesen wir, hätten sich die Russen daher schnell bereichert. Die großzügig bezuschussten Medien hätten überzeugt, dass Moskau in der Lage ist, jeden Nachbarn mundtot zu machen, die Amerikaner an der Nase herumzuführen und sich die Füße an den Weichlingen aus Gay-Europa abzuwischen. Mit einem Wort: dass Moskau sich die Welt Untertan gemacht habe. Dank all dem seien die Popularitätswerte Putins in die Höhe geschossen. 

Gleichzeitig, so Radziwinowicz, habe sich Russland unter Putin zunehmend von der Welt isoliert und sei Richtung Rezession geschlittert. Das Füllhorn sei erschöpft. Trotz Versprechen, dass sie es nicht tun werde, hätte die Regierung das Renteneintrittsalter wieder anheben müssen. Das sechste Jahr in Folge würden die reellen Einnahmen der russischen Bürger sinken. Die Popularitätswerte der Regierung seien daher heute nicht mehr aus Teflon, weil die Mittel dazu fehlen würden, die Wähler zu kaufen. Daher habe die Tatsache, dass es gleich 57 seiner Gegner gelungen sei, die auf den ersten Blick unüberwindbare Hürde zu knacken und 3 Prozent Wählerstimmen in ihren Bezirken zu sammeln, um in den Kommunalwahlen kandidieren zu können, Putin zurecht erschrocken. Es sei gelungen, denn die Menschen würden Änderungen wollen. Vielleicht eine Kleinigkeit, eine lokale Episode, aber Putin spüre darin den Geruch des von ihm gefürchteten Maidans. Aus dem Kreml sei also ein klares Signal gesendet worden, auf keinen Fall Oppositionelle zu den Wahlen zuzulassen. Russland habe seinen Ausgeh-Anzug der Demokratie, in dem es vor der Welt auftritt an den Nagel gehängt und sich mit bewährten Methoden, mit Pauken, an die Demonstranten gemacht, so Wacław Radziwinowicz in der Gazeta Wyborcza. 

 

Dziennik/Gazeta Prawna: Polen will diesmal einen Mann

Wieso hat sich Polen für einen männlichen Kandidaten für den Kommissars-Posten in der EU entschieden? Dieser Frage geht in der heutigen Ausgabe das Wirtschaftsblatt Dziennik Gazeta Prawna nach. Die Antwort? Geht es nach dem Blatt, befinde sich Polen, wenn es um die Zahl der weiblichen Kommissare geht, EU-weit auf dem dritten Platz. Bessere Statistiken hätten nur Bulgarien und Schweden vorzuweisen, die in der EU-Kommission bisher nur von Frauen repräsentiert worden seien. Polen hätte, von bisher drei Kommissaren, zwei Frauen nach Brüssel geschickt, Belgien 1 von 10, Frankreich 2 von 17 und Italien  2 von 22. Sieben Mitgliedsländer hätten bisher überhaupt keine weibliche Repräsentation in der Europäischen Kommission gehabt. Die guten Statistiken Polens seien einer der Gründe gewesen, die die PiS dazu bewogen hätten, letztendlich den Chef der Präsidialkanzlei Krzysztof Szczerski für den Posten vorzuschlagen, so Dziennik/Gazeta Prawna. 

 

Rzeczpospolita: Toilettenpapier frisst 500 + 

Zur Abrundung zwei Wirtschaftskommentare aus der Rzeczpospolita. Publizist Paweł Rożyński macht auf die steigenden Lebensmittelpreise aufmerksam. Die Gemüsepreise seien, im Vergleich zum vergangenen Jahr, um ein Drittel gestiegen, Zucker um ein Viertel und Brot um 10 Prozent. Zum Objekt von Witzen sei inzwischen Petersilie geworden, deren Preis auf den Märkten 20 zł/kg erreicht habe und die damit teurer sei, als manch exotische Frucht. Nicht alles, so der Autor, könne man auf die Dürre zurückführen. Die Arbeits- und Energiekosten seien extrem hoch, die Gemüsepreise würde auch die Mode für gesunde Ernährung aufpumpen. Die Schweinepest ziehe hohe Fleischpreise nach sich und wegen dem hohen Import von Zellulose durch China würde auch das Toilettenpapier teurer. All das treffe die Ärmsten - laut einem aktuellen Bericht der Hauptstatistik-Behörde GUS, sei die Ausdehnung extremer und relativer Armut, trotz 500 Plus  im vergangenen Jahr wieder gestiegen - jeweils von vier auf fünf und von 13 auf 14 Prozent, schreibt Paweł Rożyński von der Rzeczpospolita.

 

Rzeczpospolita: Minister flüchtet aus der Regierung

Und Wirtschaftspublizist Krzysztof Adam Kowalczyk macht darauf aufmerksam, dass Polen innerhalb von knapp vier Jahren den fünften Finanzminister haben werde. Der aktuelle Ressortchef Marian Banaś, der den Posten nur anderthalb Monate innehat, sei von der Regierungspartei für den Vorsitz in der Obersten Kontrollkammer NIK vorgeschlagen worden. Alles wäre schön und gut, so der Autor, wären da nicht zwei “aber”. Erstens werde der neue NIK-Chef… sich selbst kontrollieren, denn die Kammer werde, als Wächter öffentlicher Mittel dem Parlament eine Analyse der Staatsausgaben vorstellen und kontrolliere auch die Aktivität der staatlichen Administration. Er könne sich irgendwie keine kritischen Kommentare von NIK-Chef Banaś zur Arbeit des Fiskus unter Ressortchef Banaś vorstellen. Zweitens, handle es sich schon um den vierten Finanzchef seit der Machtübernahme durch die PiS. Das sei insofern merkwürdig, als dass die Staatsfinanzen, laut der Regierung in bester Verfassung seien. Wenn die Situation so gut sei, wieso habe sich der Sessel des Finanzministers in einen Hot Seat verwandelt? Erwarte uns eine Zeit heftiger Budgetspannungen? Oder wolle der künftige NIK-Chef die Wahlgeschenke der PiS im Wert von dutzenden von Milliarden von Złoty nicht mit eigenem Namen signieren, fragt Krysztof Adam Kowalczyk in der Rzeczpospolita.

Autor: Adam de Nisau