Rzeczpospolita: Das Coronavirus darf die Demokratie nicht infizieren
Alles deute darauf hin, dass der Westen, um mit der Coronavirus-Pandemie fertig zu werden, auf Instrumente zurückgreifen müsse, die direkt aus dem autoritären China stammen. Es sei jedoch wichtig, keine zu voreiligen Schlussfolgerungen zu ziehen. Diese Sichtweise vertritt das konservative Tagesblatt Rzeczpospolita.
In der Ära des wütenden Coronavirus werde das totalitäre China als ein Beispiel gezeigt, dem man folgen sollte. Angesichts der gegenwärtigen Bedrohung sei ein striktes Quarantäneregime erforderlich, das die bürgerlichen Freiheiten einschränke. Genau wie eine starke Zentralmacht. All dies fehlte, als die Epidemie in Italien gerade erst zu keimen begann. Heute sei die Situation in diesem Land deshalb katastrophal. Die Grenze der individuellen Freiheit, erklärt die Zeitung, bestehe darin, dass sie die Freiheit anderer Individuen nicht verletze. Daher müsse die Freiheit, sich selbst und folglich andere zu infizieren, aus dem Katalog der bürgerlichen Freiheiten ausgeschlossen werden, überzeugt das Blatt und fügt hinzu, dass man sich in einer großen Krise nicht strikt an die Grundsätze der liberalen Demokratie halten sollte.
Diese Medaille habe aber auch eine Kehrseite. Das Wissen zur Bekämpfung des Virus verdanke die Menschheit der beispiellosen Entwicklung der Wissenschaft im 20. Jahrhundert. Diese wiederum sei weitgehend eine Ableitung der Freiheit. Freiheit sei heute zwar unter Quarantäne - aber wir sollten es tun, um sie zu retten, nicht um uns von ihr zu heilen, lautet das Fazit in der Rzeczpospolita.
Teologia Polityczna: Eine Illusion wird die Epidemie überleben
Der moderne Mensch werde nach dieser Epidemie immer noch zwei sich gegenseitig ausschließende Dinge wollen - absolute Sicherheit und absolute individuelle Freiheit - schreibt Marek A. Cichocki in dem philosophischen Magazin Teologia Polityczna. Der moderne Kapitalismus und die moderne Demokratie bauen auf dieser starken Illusion auf. Der Autor glaubt daher, dass Krisen, wie die heutigen, eher zu einer Verbesserung einiger Aspekte der Funktionsweise des Staates oder des globalen Gesundheitssystems führen als die Denkweise der Menschen auf den Kopf stellen werden. Der Autor erinnert hierbei an die Finanzkrise, die in keinster Weise zu einer Veränderung der Funktionsweise des Finanzkapitalismus in der Welt und keine radikale Reform der Finanzinstitutionen verursacht habe. Die Pandemie würde in diesem Fall, ebenfalls keine grundlegende Änderung der Funktionsweise moderner Gesellschaften mit sich ziehen. Die Illusion, zugleich Sicherheit und Freiheit zu behalten, sei im modernen Menschen, nämlich immer noch sehr stark.
Unsere Lebensweise, überzeugt Cichocki, habe sich jedoch praktisch über Nacht geändert, und wir müssten viele Dinge im Namen der Sicherheit aufgeben. Zweifellos werden die drastischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung der Epidemie in vielen europäischen Ländern mit einem sozialen Schock verbunden sein. Bei manchen könnte diese Erfahrung sogar zu einer Überprüfung der aktuellen Prioritäten, Ideen und Werte führen, die gestern der Grundbaustein im täglichen Leben westlicher, moderner, liberaler Gesellschaften waren.
Piotr Siemiński