Rzeczpospolita: Verweile doch, Du bist so schön!
Nach den gestrigen Gesprächen zu Belarus in der Kanzlei des Premierministers, an denen Vertreter aller Parteien beteiligt waren, zeigt sich sowohl die Regierung, als auch die Opposition mit dem Verlauf des Austausches zufrieden.
Niemand, beobachtet in seinem Autorenkommentar der Publizist der konservativen Rzeczpospolita, habe niemanden als Verräter oder Kommunisten beschimpft. Plötzlich habe sich herausgestellt, dass man den Abgeordneten der linken Partei Frühling Robert Biedroń würdigen kann, der als Chef der Delegation des EU-Parlaments zu Belarus den polnischen Standpunkt während der Treffen der Deputierten verschiedener Fraktionen repräsentieren könne. Plötzlich habe sich herausgestellt, dass man sogar ein paar freundliche Worte über die ehemaligen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski und Bronisław Komorowski und ihre Haltung während der Krisen in der Ukraine äußern könne.
Man, so Szułdrzyński, könne natürlich jetzt spotten, dass die PiS heute auf einmal die Kontinuität des polnischen Staates seit 1989 anerkennt, obwohl die Politiker dieser Partei oft gesagt haben, dass Polen die Unabhängigkeit erst 2015, nach der Machtübernahme durch die PiS wiedererlangt hat. Man könne natürlich ironisieren, dass die Regierenden den unabhängigen Medien in Belarus heute finanzielle Hilfe anbieten, obwohl ihnen von der Regierung unabhängige Medien in Polen ein Dorn im Auge seien, besonders wenn sie ausländischen Unternehmen gehören. Schließlich könne man sich darüber lustig machen, dass die Partei, die jedwede Kritik von außen als unberechtigte Ingerenz in unsere Souveränität kritisiert, nun zu Handlungen aufrufe, die der belarussische Diktator als unberechtigte Ingerenz in die belarussische Souveränität bezeichnet.
Dies sei jedoch keine Zeit für Sticheleien. Die Situation sei eine besondere und es sei gut, dass die polnischen Politiker sie auch als solche angehen. Es bleibe nur zu hoffen, dass es nicht nur ein innenpolitisches Spiel im internen Konflikt der Vereinigten Rechten um die politische Linie der Koalition für die kommenden 3,5 Jahre sei. Wie dem auch sei. Zunächst einmal heiße es, sich über die neue Normalität in der Politik zu freuen. Denn es gehe nicht um irgendeine kitschige Geste der Versöhnung, sondern um eine verantwortungsvolle Haltung gegenüber dem polnischen Staat, seiner Sicherheit und seinen Interessen. Man könne also für´s erste nach Faust wiederholen: Verweile doch, Du bist so schön!, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita.
Dziennik/Gazeta Prawna: Vereinigte Rechte, dass die Späne fliegen
Apropos Konflikt im Regierungslager. Wie Dziennik/Gazeta Prawna auf seiner Titelseite schreibt, habe sich die Situation auf der Linie PiS-Solidarisches Polen (der Partei von Justizminister Zbigniew Ziobro) soweit zugespitzt, dass in der Regierung sogar Diskussionen über vorgezogene Wahlen und den Versuch, eine Mehrheit ohne Ziobro aufzubauen, begonnen haben. Laut einigen PiS-Politikern, lesen wir, seien die Umstände dafür relativ günstig. Einerseits habe die Partei von Kaczyński stabile Umfragewerte und eine sichere Distanz zur oppositionellen Bürgerkoalition. Andererseits sei die Bürgerplattform damit beschäftigt, sich aus der Imagekrise aufzurappeln und werde von internen Konflikten geplagt. Alles hänge daher davon ab, ob PiS-Chef Kaczyński sich mit Ziobro werde verständigen können, der vor dem anstehenden Regierungsumbau immer mehr Fronten öffne und den größeren Koalitionspartner irritiere.
Wie könnte man vorgezogene Wahlen provozieren? Die PiS, so das Blatt, könnte dafür etwa die Nichtverabschiedung des Staatshaushalts für das kommende Jahr nutzen. Laut Verfassung könne der Präsident, falls das Parlament vier Monate, nachdem der Sejm das Haushaltsprojekt erhalten hat, das Gesetz nicht an das Staatsoberhaupt weiterleitet, die Kürzung der Amtszeit des Sejms anordnen, so Dziennik/Gazeta Prawna.
Gazeta Wyborcza: Virus stellt Regierende auf den Prüfstand
Und die linksliberale Gazeta Wyborcza setzt sich in der heutigen Ausgabe weiter mit dem Konflikt zum Schulbeginn in Zeiten der Pandemie auseinander. Wie Publizist Jacek Żakowski in seinem Autorenkommentar betont, gehe es in dieser Debatte nicht nur um dieses oder das kommende Jahr, sondern mindestens um das kommende halbe Jahrhundert. Das, so der Autor, sehe man etwa an der Arbeit von Professor Douglas Almond von der Columbia University, der die Biographien derjenigen analysiert habe, die während der Pandemie der spanischen Grippe (1919) zur Welt gekommen seien. Noch 60 Jahre danach habe diese Gruppe durchschnittlich weniger verdient, einen niedrigeren Sozialstatus gehabt, in schlechteren Vierteln gewohnt, sei schlechter ausgebildet gewesen und habe häufiger auf Sozialhilfe zurückgegriffen, als die benachbarten Jahrgänge. Das zeige den Verantwortungshorizont der Regierung Morawiecki und vor allem von Bildungsminister Piontkowski. Denn es gehe nicht nur darum, ob gleich jemand erkranke oder nicht, sondern um die Situation Polens und der Polen Ende des XXI. Jahrunderts.
Für Politiker, die gerne mit der Nationalfahne posieren, fährt der Autor fort, sei die Haltung im Kampf mit der Pandemie ein praktischer Test ihres Patriotismus. Diesen könne man etwa einschätzen, indem man prüfe, wie die Regierung die Sommerferien genutzt habe, um das Bildungssystem auf eine Eskalation der Pandemie im Herbst vorbereitet habe, wenn Lehrer und Schüler beginnen, einander anzustecken und zu erkranken.
Einige einfache Fragen, die dabei helfen können: Habe sich der Minister mit Telekommunikationsanbietern verständigt, um Lehrern und Schülern ohne Internet-Abo, Internetzugang zu sichern? Habe der Minister dafür gesorgt, dass alle Schüler und Lehrer die notwendige Technologie haben, falls die Schulen erneut in Fernmodus umschalten müssen? Existiere ein Schutzsystem für Lehrer aus Risikogruppen?
Fragen gebe es natürlich mehr, aber allein diese würden ausreichen, um einzuschätzen, ob wir es mit einer verantwortungsvollen Regierung zu tun hätten, oder mit goldmündigen Dilettanten, die darauf zählen, dass es schon irgendwie werden wird.
Irgendwann werde sich natürlich jemand dessen annehmen, was die mit Kampf gegen Minderheiten und internen Spielchen beschäftigte Regierung vernachlässigt habe. Doch den Preis für die Sorglosigkeit werden wir alle über Generationen hinweg ausbaden müssen, so Jacek Żakowski in der Gazeta Wyborcza.
Autor: Adam de Nisau