Deutsche Redaktion

Polnische Kirche auf Abwegen

14.10.2020 12:21
Oberflächlich scheine im polnischen Kirchenleben alles wie beim Alten zu sein. Wenn man jedoch die ganze Sache unter die Lupe nehme, so sehe man ein Bild eines Kolosses auf Lehmbeinen, schreibt das Nachrichtenportal Wirtualna Polska. 
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Rzeczpospolita: Wir müssen die Überreste der alten Lebensweise retten

Die einzige Auswirkung der Quarantäne sei der langsame Abbau der Zivilisation, glaubt Dr. Paweł Basiukiewicz, ein Internist und Kardiologe, im Gespräch mit der Rzeczpospolita. Von Beginn der Pandemie an, sei der Arzt vor allem von einer Sache betroffen - der allgegenwärtigen Panik. Sowohl der Aufregung von Patienten als auch der Ärzte. Basiukiewicz habe daraufhin versucht zu verstehen, wovor genau man Angst habe, denn laut Literatur, unterscheide sich das Coronavirus nicht wesentlich von anderen Viren, wie z. B. der Grippe. Bislang seien viele Menschen immer an Grippe gestorben. Nach Angaben der Behörde des US-amerikanischen Gesundheitsamtes, so der Kardiologe, liege die Sterblichkeitsrate aufgrund von Grippe bei infizierten Personen bei etwa 0,15 Prozent, also ähnlich wie bei SARS-CoV-2.

Die einzige Auswirkung des gegenwärtigen Modells zur Bekämpfung des Virus sei, dem Arzt nach, deshalb nur der langsame Abbau der modernen Zivilisation. Dies betreffe nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die soziale Interaktion, auch zwischen Familie oder Freunden. Menschen, erklärt er, gingen nicht mehr dorthin, wo sie sich normalerweise aufgehalten haben. Sogar Familien träfen sich nicht mehr. Die Angst sei gewachsen, habe Wurzeln geschlagen, überzeugt der Arzt, und es werde sehr schwer sein, sie wieder rauszureißen. Dieses Unglück sei leider bereits passiert und der Arzt glaube, dass die Überreste des alten Lebens so schnell wie möglich gerettet werden sollten.

Zu seiner Auffassung über die Pandemie höre Basiukiewicz sowohl unterstützende als auch kritische Worte von seinen Kollegen vom Fach. Wie er am Schluss des Gesprächs mit der Tageszeitung betone, könnten diejenigen, die ihn beschuldigen, die Bedrohung zu missachten, allerdings nicht nachweisen, dass die Einführung einer Quarantäne in einem solchen Ausmaß die Sterblichkeit auf lange Sicht verringern werde.

 

Wirtualna Polska: Polnische Kirche auf Abwegen

Oberflächlich scheine im polnischen Kirchenleben alles wie beim Alten zu sein, schreibt indes Marcin Makowski für eines der größten Nachrichtenportale WP. Getaufte Menschen machen in Polen nach wie vor fast 90 Prozent aus. Polen und die katholische Kirche seien zweifellos die größte Religionsgemeinschaft des Landes. Wenn man jedoch die ganze Sache unter die Lupe nehme, so sehe man ein Bild eines Kolosses auf Lehmbeinen. Die Haltung der Polen gegenüber der Kirche sei Statistiken nach nämlich die schlechteste seit einem Vierteljahrhundert. In Meinungsumfragen hätten demnach sogar 41 Prozent aller Befragten eine negative Meinung über die Kirche. Der Mythos eines katholischen Polens gehöre deshalb, glaubt Makowski, seit langem zur Geschichte. Von den getauften polnischen Bürgern besuche durchschnittlich nur jeder vierte Gläubige die Sonntagsmesse. Etwa 15 Prozent empfingen die Kommunion.

Bei der Frage nach der katholischen Lehre, soll die überwiegende Mehrheit der Polen mehr oder weniger über die katholische Orthodoxie hinausgehen und eine Art religiösen Synkretismus, eigenen Glauben, praktizierten. Die Zahl der Scheidungen und Kirchenaustritte nehme ebenfalls zu. Die polnische Kirche habe auch mit einem anderen Problem zu kämpfen, das im Westen seit langem bekannt sei. Dem Rückgang der Priesterberufungen. Was sei die Ursache für diese generelle Einbuße, fragt sich der Autor? Was habe sich seit den Zeiten der polnischen Volksrepublik geändert, als die Kirche als unbestreitbare Autorität und als Ort der Freiheit und Zuflucht vor einem autoritären Staat angesehen wurde?

Makowski nach, sei der polnische Katholizismus - wenn auch langsamer und in geringerem Maße - durch das geschädigt, was der Säkularisierung auf der ganzen Welt zugrunde liege. Der Zerfall des traditionellen Familienmodells, der zunehmende Wohlstand, die hohe Mobilität junger Menschen, eine zu starke Verbindung mit säkularen Werten. Aber auch die Einmischung der Kirche in die Politik und die Vertuschung pädophiler Skandale.

Priester hätten auch aufgehört, heißt es weiter, in einer Sprache zu sprechen, die für einen gewöhnlichen Menschen verständlich wäre. Sie hätten aufgehört die realen Problemen anzusprechen, würden sich von der Gegenwart trennen, trotzdem aber immer noch riesige Pfarreien und Immobilien verwalten, die außerhalb ihrer Einnahmen liegen. Die einzige Hoffnung für eine Zukunft der Kirche in Polen, glaubt Makowski abschließend, könne nur eine Rückkehr zu den Wurzeln des Christentums sein, das zu Beginn sowohl ernst als auch volkstümlich gewesen sei. Der Glaube sei direkt in die Lebensweise übersetzt worden. Gleichzeitig sei er aber auch für einfache Menschen verständlich gewesen.

DoRzeczy: Wir haben es mit der Sowjetisierung des Westens zu tun

Der Chefredakteur des konservativen Wochenblatts DoRzeczy schreibt, dass der heutige Westen unnatürliche Ideologien vertrete, die Menschen verändern und allen Bürgern aufgezwungen werden sollen. Lisicki nennt diese Anomalie die "Sowjetisierung des Westens", der einst ein Modell für Freiheit und Normalität für die Polen gewesen sei. Vergangene westliche Prinzipien und der Glaube, dass es so etwas wie die Würde der Person gab, seien für Polen ein Element der zivilisatorischen Überlegenheit gewesen. Deshalb soll es in Polen und in den mitteleuropäischen Ländern einen so scharfen Aufstand gegen den Kommunismus gegeben haben, überzeugt Lisicki.

Ihm zufolge sei der Kommunismus das Gegenteil der Natur gewesen. Wenn man heute den Westen betrachte, überzeugt er, sehe man dort leider immer mehr dieser unnatürlichen Ideologien. Sie seien nicht mehr mit Waffen eingeführt, sondern hauptsächlich durch gigantische Medienkampagnen und großes Kapital, die den Menschen neu gestalten sollen, glaubt Lisicki. Die Kirche hingegen, lesen wir, befinde sich angesichts dieser Bedrohung in einem Zustand der dogmatischen Lähmung, weil sie ihre Lehren nicht klar und präzise formulieren könne. Sei es Religion, Themen wie LGBT, Sterbehilfe oder Abtreibung.

Das Problem sei, so der Autor abschließend im Wochenblatt, dass die Akzeptanz dieser neuen Verhaltensweisen - mit Hilfe des Staates - allen Bürgern aufgezwungen werde. Falls kein Widerstand entstehe, lautet Lisickis Warnung als Fazit, müsse sich früher oder später jeder damit abfinden.


Piotr Siemiński