Deutsche Redaktion

Was Grabowski verschwiegen hat

19.10.2020 11:59
Die Diskussion über den Verlauf des Terrors des Dritten Reiches in Kleinstädten sorgt in Polen für die grösste Kontroverse. Dabei sind viele wichtige Archivdokumente nicht berücksichtigt worden, schreibt Dziennik Gazeta/Prawna.
Presseschau
PresseschauShutterstock.com

Dziennik Gazeta/Prawna (DGP) schreibt am Montag, dass das in Berlin ansässige Pilecki-Institut in deutschen Staatsarchiven eine weitere Reihe von Originaldokumenten aus Verhören gefunden habe, die die Hauptkommission für die Untersuchung von NS-Verbrechen in Polen in den 1960er, 70er und 80er Jahren an Deutschland überreicht hatte. Die Dokumente sollen Verbrechen der deutschen Besatzer gegen die jüdische und polnische Bevölkerung in den Jahren 1939–1945 betreffen. Keines dieser Zeugnisse, schreibt Hanna Radziejewska vom Institut, sei in den Arbeiten des polnisch-jüdischen Historikers Jan Grabowski enthalten.

Diese Akten enthalten vor allem Zeugnisse von Polen, aber auch von überlebenden Juden sowie Zeugnisse von Gendarmen, Soldaten und SS-Männern. Radziejewska weist darauf hin, dass keiner der in den von Grabowski beschriebenen Gebieten tätigen Deutschen jemals vor Gericht gestellt und nicht bestraft worden sei. Wie könne man somit für den skandalösen Mangel an Bestrafung in Deutschland für die NS-Verbrechen einzig und allein Polen verantwortlich machen, fragt Radziejewska.

Grabowskis Arbeiten sollen zu dem auch das tatsächliche Ausmaß der Bestrafung von Verrätern der polnischen Nation ignorieren. Der Autor gebe dem Leser ohne Angabe der Strafen, die die Kollaborateure erhalten hatten, keine Chance, seine eigene Sichtweise zu entwickeln. Die Abstemplung der Polen als "Henker, Opfer und Zuschauer" sei nur möglich, überzeugt Radziejewska, da der Zugang zu vielen Quellen jahrzehntelang eingeschränkt gewesen sei. Die Aussagen polnischer Opfer nach dem Krieg hätten es dadurch nicht in den internationalen wissenschaftlichen Kanon geschafft.

Ein faires Verfahren in Deutschland, würde diese Zeugnisse und das wahre Verhältnis zwischen den Tätern und Opfern enthüllen. In keinem der gefundenen Zeugnisse aus Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, gebe es ein Wort darüber, dass die Verbrechen von polnischen Polizisten oder Aufsehern begangen wurden, und es sei schwer vorstellbar, erklärt die Chefin des Pilecki Instituts in Berlin, dass deutsche Beamten die Gelegenheit nicht genutzt hätten, um sich zu rechtfertigen, wenn dies wirklich der Fall gewesen wäre.

Arbeiten von Historikern wie Grabowski, in denen Polen bestenfalls als Opfer dargestellt werden, vor allem aber als Zuschauer und Täter, seien das Ergebnis eines Mangels an verlässlicher Forschung über die Kosten der Hilfe für Juden, heißt es abschließend. Jeder der Überlebenden, der Polen begegnet sei, die ihnen in irgendeiner Form halfen, habe nicht nur "gewöhnliche menschliche Güte" und Mitgefühl erlebt, sondern vor allem großen Mut und Heldentum, weil diese Hilfe von deutschen Besatzungstruppen mit dem Tod bestraft wurde. Daher sei die Arbeit an der Dokumentation und Erinnerung an Polen, die wegen der Rettung von Juden ermordet wurden, keine Manifestation des polnischen Nationalismus, schreibt Radziejowska als Fazit für DGP, sondern die Wiederherstellung wahrer Bezugspunkte für die Realität des Holocaust durch die tragische Erfahrung der polnischen Bevölkerung.


dziennik/gazeta prawna/ps