Deutsche Redaktion

Polnisches Veto noch nicht sicher

08.12.2020 13:20
Drei Tage vor dem Gipfel in Brüssel verschärfen die Politiker in Polen und der EU den Ton. Aber ein Kompromiss scheine immer noch möglich, schreibt in ihrem heutigen Aufmacher die konservative Rzeczpospolita. Außerdem geht es auch um erneute Spannungen in der Regierungskoalition und einen kontroversen Eigentümerwechsel auf dem polnischen Medienmarkt.
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Rzeczpospolita: Polnisches Veto noch nicht sicher

Drei Tage vor dem Gipfel in Brüssel verschärfen die Politiker in Polen und der EU den Ton. Aber ein Kompromiss scheine immer noch möglich, schreibt in ihrem heutigen Aufmacher die konservative Rzeczpospolita. Die Unterhändler aus Polen und dem den EU-Ratsvorsitz innehabenden Deutschland, lesen wir, würden derzeit sehr intensive, vertrauliche Gespräche führen, deren Atmosphäre nicht die schlechteste zu sein scheine. Es sei daher nicht auszuschließen, dass sich die polnische Regierung mit dem Rechtsstaatlichkeitsmechanismus abfinden wird. Im Gegenzug könnte die EU ein juristisch ebenso verbindliches Dokument annehmen, das die Anwendung der Strafen für die Verletzung der Rechtsstaatlichkeit auf bewiesene Fälle von Veruntreuung von EU-Mitteln eingrenzt und so Polens Sorgen über einen möglichen politischen Missbrauch des Mechanismus durch Brüssel adressieren. Der Ton in der öffentlichen Debatte indes bleibe scharf, da beide Seiten ihre Verhandlungspositionen stärken wollten, so die Einschätzung der Rzeczpospolita. 

 

Gazeta Polska Codziennie: Gowins’ riskantes Manöver

Wie die Kommentatoren beobachten, zeichnen sich vor dem Hintergrund der Debatte über die Rechtsstaatlichkeit auch immer stärkere Spannungen innerhalb der Regierungskoalition ab. Am Montag hatte der Chef der Koalitionspartei Solidarisches Polen, Justizminister Zbigniew Ziobro dem Vorsitzenden des zweiten kleinen Koalitionspartners der PiS “Verständigung”, Jarosław Gowin vorgeworfen, dass dieser nicht in Übereinstimmung mit der polnischen Staatsräson agiert. Gowin hatte zuvor die Möglichkeit eines Kompromisses mit Brüssel angedeutet. 

Krzysztof Karnkowski von der nationalkonservativen Gazeta Polska Codziennie nutzt den Konflikt, um in einer ausführlichen Analyse Gowin anzugreifen und die Leser an dessen früheres illoyales Verhalten gegenüber der Regierungspartei zu erinnern. Schon in der vorherigen Parlamentsperiode, als Gowin Hochschulminister gewesen sei, lesen wir, habe man oft den Eindruck gehabt, dass der ehrwürdige Krakauer Professor sich mehr als in der Rolle des Ressortchefs in der eines Super-Rezensenten der Arbeit seiner Regierungskollegen sehe. Und das, obwohl seine eigene Flaggschiff-Reform des Hochschulsystems ein Schlag ins Wasser gewesen ist. In der aktuellen Amtszeit, so Karnkowski habe Gowin offenbar entschieden, nicht nur Kommentator, sondern auch Gestalter der großen Politik zu werden, was schon in seinem individuellen politischen Spiel um den Termin der Präsidentschaftswahlen zu sehen gewesen sei. “In einer angespannten Verhandlungssituation, in der wir uns heute befinden, müssen die Verhandlungs-Botschaften aus einer Quelle stammen. Diese Quelle ist Premierminister Mateusz Morawiecki”, zitiert der Autor den Chef der Präsidialkanzlei Krzysztof Szczerski zur neulichen Kritik von Gowin am Regierungskurs im Streit um die Rechtsstaatlichkeit. Nur, sollte Professor Gowin das nicht selbst wissen, fragt Karnkowski? Der Vizepremier, so der Publizist abschließend, stehe erneut, wie schon im Frühjahr, mit einem Fuß in Opposition zur eigenen Regierung. Eine riskante Figur, bei der wir diesmal alle stürzen können. Und auf dem Spiel stehe nicht nur die Regierungskoalition und ein paar hochbezahlte Jobs, sondern die Souveränität Polens in der EU.

 

Rzeczpospolita: Wie man Geld und Souveränität verliert

Michał Szułdrzyński von der Rzeczpospolita nimmt in seiner Analyse indes Justizminister Ziobro ins Visier. Die zunehmend eigenständige Politik des Justizministers, so der Autor, sorge auch in der Recht und Gerechtigkeit für wachsende Irritation. Kaczyński scheine inzwischen verstanden zu haben, dass der Anti-EU-Reiterangriff und der eventuelle Verlust von EU-Mitteln seine sowieso schon durch die Frauenstreiks angeschlagene Partei weitere Prozentpunkte in den Umfragen kosten könnten. Besonders, da man die Argumente von Ziobro auch umkehren könne. Wie Vizepremier Gowin bemerkt habe, hänge Souveränität stark mit ökonomischer Stärke zusammen. Ohne die Milliarden aus der EU, von der die Konkurrenzfähigkeit der polnischen Wirtschaft nach der Corona-Krise abhängen werde, werde die Position Polens schwächer sein. Daher könne das Veto gegen den EU-Haushalt, statt die Souveränität zu stärken, dazu führen, dass untergehende polnische Unternehmen von - o Graus - ausländischem Kapital aufgekauft werden. Somit könne Polen durch das ganze Manöver des Justizministers sowohl ohne Geld als auch ohne Souveränität enden, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita.

 

Gazeta Wyborcza: Orlen Repolonisierung  

Und die linksliberale Gazeta Wyborcza berichtet in ihrem heutigen Aufmacher von der angekündigten Übernahme des größten Herausgebers lokaler Presse in Polen durch das staatliche Energieunternehmen Orlen, das derzeit von einem vertrauten der Regierung PiS geleitet wird. Die Entscheidung von Orlen, die polnische Filiale der deutschen Verlagsgruppe Passau Capital Group abzukaufen, so das Blatt, komme praktisch der Umsetzung der Repolonisierung der Medien gleich, die die Regierungspartei schon seit 2015 plane. Zu Polska Press, erinnert die Gazeta Wyborcza, würden 20 von 24 in Polen erscheinenden Regionalblättern gehören. Der polnische Medienmarkt sei heute sehr pluralistisch, schreibt in ihrem Kommentar zur Transaktion die Publizistin Dominika Wielowieyska - viele der meinungsbildenden Medien in Polen hätten schon polnische Eigentümer, es gebe auch Medien, die zu ausländischen Investoren gehören. Es gebe kein besseres Modell. Daher sei es wichtig, nun genau zu beobachten, was im Verlag Polska Press nach der Übernahme passieren wird. Und bei ersten Anzeichen von Zensur zu protestieren und Widerstand zu leisten, um ein abgleiten Polens in das Modell von Orbans Ungarn zu verhindern, so Dominika Wielowieyska in der Gazeta Wyborcza.


Autor: Adam de Nisau