Deutsche Redaktion

"Karikatur der Rechtsstaatlichkeit"

09.12.2020 10:51
Wir seien Zeugen einer weiteren Etappe des Verfalls der Europäischen Union, stellt in seiner Analyse für die Wochenzeitschrift Do Rzeczy der Experte Kamil Goral fest.
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DO RZECZY: Karikatur der Rechtsstaatlichkeit

Wir seien Zeugen einer weiteren Etappe des Verfalls der Europäischen Union, stellt in seiner Analyse für die Wochenzeitschrift Do Rzeczy der Experte Kamil Goral fest. Er sei sich bewusst, dass er sich einer sehr scharfen Formulierung bediene, doch in seinen Augen entspreche diese Bezeichnung der Wirklichkeit, schreibt Goral. Ein weiterer Beweis für die falsche Richtung, in die sich die Staatengemeinschaft in den letzten Jahren bewege, sei die angekündigte Bindung der europäischen Finanzen an das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, lesen wir. Das Ziel sei es, die Auszahlung von EU-Fonds von dem Stand der Rechtsstaatlichkeit im konkreten Land anhängig zu machen. Darüber, ob ein EU-Staat die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit befolge oder nicht, sollen andere Mitglieder der Europäischen Union entscheiden. Dies bedeute, dass diese Prozedur beliebig eingesetzt werden könne. In dem Projekt selbst gebe es keine klaren Kriterien, nach denen man die Rechtsstaatlichkeit messen könnte. Das zeige, dass die Auszahlung von EU-Geldern von rein politischen und nicht rechtlichen Faktoren abhängen würde.

Man könnte also ein konkretes Land der EU mit der Einstellung der Auszahlung von europäischen Geldern bestrafen, weil es gerade politisch den anderen Ländern so passe. Eine Regierung, die sich dem Mainstream in der Staatengemeinschaft habe nicht unterordnen wollen, könnte man somit bestrafen und unter Druck setzen, solange sie sich dem Chor der Mehrheit nicht anschließe.

Für eine solche Lösung gebe es übrigens keine Erklärung in den europäischen Traktaten, fügt Goral hinzu. Im Gegenteil, der Traktat selbst enthalte eine ähnliche Lösung, die aber erst dann eingeführt werden könne, wenn sich alle EU-Mitglieder einstimmig dafür aussprechen würden. Man wolle daher mit Hilfe einer Verordnung, die im Traktat enthaltenen Regeln umgehen, meint der Experte. In seinen Augen könne man in diesem Kontext nur von einer Karikatur der Rechtsstaatlichkeit sprechen. Was zähle, sei der politische Wille der Stärkeren, der von einer finanziellen Erpressung begleitet werde. Entweder tun die schwächeren EU-Länder das, was von ihnen erwartet werde, oder es werde kein Euro aus Brüssel in ihren Haushalt fließen. Wir seien Zeugen einer Entwicklung, die in der Geschichte der europäischen Integration beispiellos sei. Die Bindung der EU-Finanzen an die Rechtsstaatlichkeit ruiniere das Vertrauen der Mitgliedsstaaten in das europäische Recht und bislang geltende Prozeduren. Was zähle, sei nicht die Stärke der Argumente, sondern das Argument der Stärke. Polen sei in der Europäischen Union zu einem Prügelknaben geworden. Um die Gewalt gegenüber Polen zu rechtfertigen, versuche man nun die Fundamente der europäischen Integration zu untergraben, so Kamil Goral in der Wochenzeitschrift Do Rzeczy.

RZECZPOSPOLITA: Neuer Vorschlag auf dem Tisch

Die Tageszeitung Rzeczpospolita berichtet indes vom Besuch des ungarischen Premierministers Viktor Orban in Warschau. Geht es nach dem Blatt, habe die deutsche Ratspräsidentschaft beiden Ländern eine neue Kompromisslösung vorgestellt, die sich auf die kontroverse Verordnung über die Bindung der EU-Gelder mit der Rechtsstaatlichkeit beziehe. Demnach sollte der Mechanismus nur dann eingeführt werden, wenn die Verstöße gegen den Rechtsstaat die Finanzen der Europäischen Union gefährden würden. Die Visite des ungarischen Regierungschefs in der polnischen Hauptstadt hänge eben mit diesem Vorschlag zusammen, lesen wir.

Vor dem EU-Gipfel Ende dieser Woche bereite die Europäische Kommission darüber hinaus einen Plan B vor, lesen wir weiter. Es handle sich um einen Wiederaufbaufond, der im Rahmen der 25 EU-Staaten, außer Polen und Ungarn,  funktionieren sollte. Ein Tabu sei gebrochen worden, konstatiert das Blatt. Bislang habe man eine solche Eventualität nicht öffentlich diskutiert, so Rzeczpospolita.

DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Ein Zentimeter zum Kompromiss

Auf die Visite des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban in Warschau bezieht sich auch die Tageszeitung Dziennik/Gazeta Prawna in der neuen Ausgabe. Es habe in den vergangenen Tagen zahlreiche polnisch-ungarische Treffen gegeben. Die Ausarbeitung einer gemeinsamen Strategie sei kein Problem gewesen. Sowohl Ungarn als auch Polen würden die Situation identisch bewerten, sagte Orban bei einer Pressekonferenz in Warschau.

Es sei nun ein wichtiges Anliegen, die Haltung der beiden Länder zu verteidigen. Geht es nach Orban, stehe die Konditionalitätsformel im Widerspruch zum Traktat der EU. Die Auszahlung der europäischen Finanzen stünde in keinerlei Zusammenhang mit der Rechtsstaatlichkeit.

Der ungarische Regierungschef gehe dennoch davon aus, dass es diese Woche bei dem Gipfel der Europäischen Union zu einer Einigung komme werde, lesen wir weiter. Es gebe zwar keine Garantie, aber ein Zentimeter teile beide Seiten von einem Kompromiss, so Orban.

Die Staats- und Regierungschefs der EU treffen sich am Donnerstag und Freitag in Brüssel. Die Tagesordnung des Gipfels umfasst zwei Hauptthemen: den Klimawandel, zu dem der Europäische Rat seine Leitlinien festlegen will, und die laufenden Verhandlungen über den langfristigen EU-Haushalt.  

  

Jakub Kukla