Deutsche Redaktion

"Entdeutschung" deutscher Gräueltaten

10.12.2020 11:36
Ein semantisches Phänomen steht im Mittelpunkt eines Gesprächs mit dem Historiker Bogdan Musiał. Geht es nach dem Professor, sei es nach einem jahrzehntelangem semantischen Wandel heute unangebracht, die deutschen Verbrechen eben als deutsche Verbrechen zu bezeichnen.
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DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: „Entdeutschung“ deutscher Gräueltaten

Ein semantisches Phänomen steht im Mittelpunkt eines Gesprächs mit dem Historiker Bogdan Musiał. Geht es nach dem Professor, sei es nach einem jahrzehntelangem semantischen Wandel heute unangebracht, die deutschen Verbrechen eben als deutsche Verbrechen zu bezeichnen.

Als die Diskussion über die Aufnahmen der Bundesrepublik in die Nato in die Wege geleitet worden sei, habe man überlegt wie man nun mit dem verbrecherischen Vermächtnis der Deutschen in der sprachlichen Dimension umgehen solle. Da sei die Idee aufgekommen, dass es diplomatischer wäre, die deutschen Gräueltaten aus der Kriegszeit als Verbrechen der Nazis darzustellen. Diese zuerst innerdeutsche Idee hätten im Laufe der Jahre auch andere westliche Länder wie Frankreich, Großbritannien oder die Vereinigten Staaten übernommen.

In der Bundesrepublik sei man schnell zu der Ansicht gekommen, dass es für das Land vorteilhaft sei, wenn man von Naziverbrechen anstatt von Verbrechen der Deutschen spreche. Diese Änderung habe den Weg zu einer, wie es der Historiker nennt, "Entdeutschung" der Schuld geebnet. Dieser sprachlicher Wandel sei von Berlin unterstützt worden, da es das Image der Bundesrepublik positiv beeinflusst habe. Als Beispiel nennt der Historiker den Film "Operation Walküre" mit Hollywood-Star Tom Cruise, der den Hitler-Attentäter Staufenberg spiele. Als Deutschland von den Plänen erfahren habe, habe man die Dreharbeiten sofort mit einer beachtlichen Geldsumme unterstützt. Somit habe die Bundesrepublik als Koproduzent das Mitspracherecht bekommen, und konnte die Aussprache des Films mitgestalten. Eine solche Haltung bezeichnet Bogdan Musiał als konsequente Geschichtspolitik.

Der semantische Wandel habe sich über Dekaden vollbracht. Das Ergebnis der sprachlichen Rekonstruktion sei, dass die Verantwortung der deutschen für ihre Kriegsverbrechen verwischt worden sei. Zugleich würden die Deutschen heute diejenigen als Nazis bezeichnen, die während des Krieges mit dem deutschen Regime zusammengearbeitet hätten. Diese beziehe sich in erster Linie auf die Nationen Osteuropas, denn die Franzosen oder die Belgier würden so nicht bezeichnet, meint der Historiker.

Der semantische Wandel habe auch öffentliche Diskussionen in Polen geprägt, führt Musiał fort. In Zeiten des Kommunismus habe man von Nazideutschland gesprochen. Nach der Wende 1989 habe sich immer mehr die Bezeichnung Nazis durchgesetzt. Somit habe auch in Polen die „Entdeutschung“ der Schuld begonnen. Man sprach immer öfter von Verbrechen der Nazis oder Faschisten und nicht der Deutschen, lesen wir in Dziennik/Gazeta Prawna.


RZECZPOSPOLITA: Hoffnungsschimmer

Vor dem EU-Gipfel herrsche in den polnischen Regierungsreihen gemäßigter Optimismus, stellt das Blatt Rzeczpospolita fest. Der Kompromiss sei in Reichweite. Man werde aber von einem Erfolg erst dann sprechen können, wenn alle Staats– und Regierungschefs ihre Forderungen aufgeben würden, sagt ein hochrangiger Politiker der polnischen Regierungspartei PiS im Gespräch mit dem Blatt. Angela Merkel, für die der EU-Gipfel eine Krönung der 15-jährigen Amtszeit sei, habe sich für einen eher untypischen Weg entschlossen. Sie habe die Rahmenbedingungen zuerst mit Polen und Ungarn abgesprochen, bevor sie diese den restlichen EU-Mitgliedsstaaten vorstellen werde.

Inoffiziellen Informationen sei zu entnehmen, dass sich Polens Premierminister Mateusz Morawiecki und Ungarns Regierungschef Viktor Orban darauf geeinigt hätten, die Verordnung über die Bindung der EU-Finanzen an das Rechtsstaatsprinzip zu akzeptieren. In den Schlussfolgerungen des EU-Gipfels sollen aber konkrete Bedingungen festgelegt werden, die die Wirksamkeit des Mechanismus weitgehend beschränken würden.

Die Einzelheiten würden in den kommenden Tagen ausgehandelt. Gestern habe Deutschland ein Treffen der Botschafter der 27 EU-Staaten organisiert, um auszuloten, wie wahrscheinlich ein Kompromiss sei. Kommentaren sei zu entnehmen, dass der Gipfel länger als nur zwei Tage dauern könnte, lesen wir in Rzeczpospolita.



Jakub Kukla