Rzeczpospolita: Rechtsstaatlichkeit an zweiter Stelle
Der Kompromiss zwischen westlichen EU-Staaten und Polen werde eine Mauer zwischen der Rechtsstaatlichkeit und dem Schutz der finanziellen Interessen der EU setzen, schreibt am Freitag Tomasz Pietryga für die Rzeczpospolita. Nach der Ankündigung eines Abkommens, das Polen und Ungarn mit der deutschen Ratspräsidentschaft vereinbart haben, könne der Schluss gezogen werden, dass die polnische Regierung sozusagen von einer langen Reise zurückkehre. Natürlich vorausgesetzt, dass der Kompromiss von allen EU-Ländern auf dem Gipfel akzeptiert werde.
Einerseits bleibe im Kompromiss, trotz des Rücktritts Polens und Ungarns vom Veto, die Regelung der sog. Konditionalität erhalten, die die Aussetzung der Auszahlung von Geldern ermögliche, falls das finanzielle Interesse der EU in einem bestimmten Land verletzt werde. Auf der anderen Seite stumpfe er die zuvor am meisten umstrittenen Rechtsvorschläge ab. Brüssel könnte das Verfahren über die Rechtsstaatlichkeit nur noch dann einleiten, falls der Verdacht bestehe, dass EU-Mittel künftig von einem fehlerhaften Justizsystem unterschlagen werden könnten.
Und das soll die PiS am meisten befürchtet haben. Die Regierungspartei, überzeugt der Autor, könnte nämlich irgendwann vor der Wahl stehen, Milliarden von EU-Geldern zu verlieren oder kontroverse Justizreformen rückgängig zu machen. Aus politischer Sicht, lesen wir, wären beide Schritte für den Vorsitzenden Jarosław Kaczyński katastrophal. Der Verlust von Milliarden würde den Ärger von Millionen Polen und Tausenden von Unternehmen hervorrufen, die auf die EU-Mittel warten. Der Rückzug aus der Justizreform wiederum würde die Wut der treuesten Wählerschaft hervorrufen. Pietryga nach, scheine der derzeitige Kompromiss somit für die PiS optimal zu sein, weil die frühere, allgemeine Auffassung einer "Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit" in dem erlangten Kompromiss nicht berücksichtigt werde.
Der Kompromiss hat zwar den Streit um den EU-Haushalt ausgelösscht, aber gleichzeitig den Konflikt innerhalb der Regierungskoalition verschärft. Der Justizminister und Koalitionspartner Zbigniew Ziobro sei nämlich überzeugt, dass der Kompromiss nicht garantiere, dass der Rechtsstaatlichkeitsmechanismus, der seiner Meinung nach gegen die EU-Verträge verstoße, aus rein politischen Gründen nicht gegen Polen aktiviert werde. Und daher werde Ziobro versuchen das Scheitern von Premierminister Mateusz Morawiecki zu zeigen. Und das bedeute, dass innenpolitisch noch nichts entschieden sei.
wPolityce: Nicht Polen und Ungarn sondern Holland gefährdet die EU-Integration
In dem regierungsnahen Nachrichtenportal polemisiert die Politologin Alexandra Rybińska mit einen Artikel aus dem britischen Tagesblatt "The Guardian". Wie die Autorin bemerkt, sollen, dem Blatt nach, ungarische und polnische Staatsmänner deutschen und niederländischen Steuerzahlern drohen ihre Steuergelder für Länder des südlichen Euro-Währungsgebiets, wie Italien und Spanien zu blockieren. Rybińska wirft dem britischen Tagesblatt vor, die weit verbreiteten Vorurteile, zwischen guten Nettozahlern im Westen und schlechten Nettoempfängern im Osten, auszunutzen. Sie verstehe nur nicht, weshalb die Niederlande als Land gezeigt werden, das seine Steuergelder nach Südeuropa transferieren möchte? Hier habe das Blatt, so die Autorin, definitiv übertrieben.
Wie Rybińska erinnert, habe Holland, das neben Schweden, Österreich und Dänemark zu dem sog. "Klub der Geizigen" gehöre, während der Verhandlungen über den EU-Finanzrahmen und Wiederaufbaufonds in diesem Sommer die Übertragung von Zuschüssen an den Süden entschieden abgelehnt. Der niederländische Premierminister Mark Rutte soll der Anführer dieses Klubs gewesen sein und sogar mit einem Veto gedroht haben. "Ein Veto ist ein demokratischer Preis für Solidarität", soll seine Parole gelautet haben, wobei er sogar vom niederländischen Parlament unterstützt worden sei.
Die Tatsache, dass Rutte das Veto letztendlich nicht verwendet hat, sei auf die Tatsache zurückzuführen, dass eine andere Lösung gefunden wurde - der Mechanismus der Rechtsstaatlichkeit. Polen und Ungarn sollten in der ersten Schusslinie stehen, überzeugt Rybińska, gefolgt von den Ländern des Südens. Es sei nicht der Ost-West-Konflikt, der die Hauptkluft in der EU darstelle, sondern die Nord-Süd-Kluft. Die sog. Rechtsstaatlichkeit sei nur Ruttes Vorwand gegenüber seinen Wählern, dass die Finanzmittel zwar fließen werden, aber Den Haag und andere Hauptstädte eine gewisse Kontrolle darüber haben würden, wem diese Gelder zustehen und wie sie ausgegeben werden sollten.
Wenn Polen und Ungarn wirklich ein Veto gegen den Haushalt und den Wiederaufbaufonds einlegen würden, glaubt die Autorin, so wäre Rutte sehr erfreut gewesen. Eine Transferunion sei aber notwendig, lesen wir, um die Kluft zwischen dem reichen Norden und dem ärmeren Süden zu überbrücken, wenn die Eurozone weiterhin bestehen solle. Der vorgeschlagene Rechtsstaatlichkeitsmechanismus könnte diese notwendigen Finanzmittel für Griechen oder Italiener künftig sperren. Und viele Südeuropäer, so ihr Fazit, sollen sich schon sowieso als Verlierer fühlen.
Piotr Siemiński