Dziennik/Gazeta Prawna: Neue Front im Streit mit EU-Kommission in Sicht
Im Streit zwischen Warschau und der EU-Kommission um die Rechtsstaatlichkeit ist eine weitere Front in Sicht, lesen wir im Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. Wie das Blatt in seinem heutigen Aufmacher berichtet, wolle sich Vize-EU-Kommissionschefin Vera Jourova für die Unabhängigkeit des Ombudsmanns für Menschenrechte in Polen einsetzen.
Morgen soll, wie das Blatt erinnert, das Verfassungsgericht urteilen, ob der Bürgerbeauftragte Adam Bodnar, dessen Amtszeit abgelaufen ist, seine Funktion weiter werde ausüben können, bis das Parlament den Impass um die Wahl eines Nachfolgers durchbricht. Geht es nach Jourova, verfolge die EU-Kommission den Fall mit großer Beunruhigung, da der Ombudsmann aus ihrer Sicht das letzte Bollwerk für diejenigen ist, die “eine gerechte Bearbeitung ihres Anliegens suchen, ohne Vorurteile und Einfluss des politischen Diskurses”. Sie, so Jourova, habe sich daher entschieden, in die Debatte zu engagieren und einen Brief an die polnische Regierung geschrieben. Die Antwort von Europaminister Konrad Szymański, der versicherte das geltendes Recht respektiert werde, nehme sie zwar zur Kenntnis, aber sie habe nicht alle ihrer Zweifel behoben, so Jourova.
Die EU-Kommission verfolge, wie Jourova im Interview mit Dziennik/Gazeta Prawna erklärt, die Entwicklung in Polen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit schon seit längerem mit Sorge, auch in Bezug auf die Rechte von Frauen und der LGBTIQ-Gemeinschaft. “Im vergangenen Jahr sind Mittel für sechs Gemeinden in Polen blockiert worden, die Beschlüsse erlassen haben, laut denen sie frei von der LGBT-Ideologie sind. Denn es gilt die Regel, dass EU-Mittel in Projekte investiert werden, die nicht diskriminieren”, so Jourova im Gespräch mit Dziennik/Gazeta Prawna.
Gazeta Wyborcza: Wer wird für die "Neue Ordnung" zahlen?
Das neue Wirtschaftsprogramm der Regierungspartei PiS, dessen Details bis Ende März bekanntgegeben werden sollen, soll die immer schwächeren Umfrageergebnisse aufpeppen, schreibt in der heutigen Ausgabe die linksliberale Gazeta Wyborcza. Es sei auch ein Versuch, die auseinanderfallende Koalition zusammenzukleben. Oder eine Vorbereitung auf eine Kampagne der PiS bei eventuellen vorgezogenen Wahlen.
Auch wenn die Einzelheiten des Programms geheimgehalten werden, scheine eines sicher zu sein. Es bahnen sich beträchtliche Änderungen in den Steuern an, die dem Staat helfen sollen, das Gesundheitssystem zu finanzieren. Die weniger verdienenden würden zwar offenbar, unter anderem durch die Einführung einer steuerfreien Quote von 30.000 zł, auf Steuerermäßigungen zählen können. Wenn die Regierung jedoch das Ziel von 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für das Gesundheitssystem bis 2024 erreichen wolle und alle von der steuerfreien Quote umfasst würden, dann müsste man für die Finanzierung des Gesundheitswesens 60-70 Milliarden zł finden. Daher sei eine Steuererhöhung für andere Gruppen unausweichlich. Auf dem Fadenkreuz seien dabei die Unternehmer, die eine niedrigere Sozialabgabe zahlen, reichere Bauern und Besserverdiener. Außer der stärkeren Besteuerung dieser Gruppe sei auch die Anhebung der Gesundheitsabgabe für alle im Gespräch, lesen wir in der Gazeta Wyborcza.
Rzeczpospolita: Bilanz des Kulturkriegs
Die neueste Idee einer Gruppe von EU-Abgeordneten, die EU zur Zone der Freiheit von LGBTIQ-Vertretern zu erklären, sei für die Regierungspartei PiS problematisch, beobachtet in seiner heutigen Stellungnahme der Publizist der Rzeczpospolita Michał Szułdrzyński.
Einerseits sei ein solcher Vorschlag natürlich ein guter Anlass, um sich erneut über die linksextreme EU zu ärgern und die Wähler im Kulturkrieg gegen die Gender-Ideologie zu mobilisieren. Besonders, da derzeit unbequeme Publikationen über PKN-Orlen-Chef Daniel Obajtek die Regierenden in die Defensive drängen. Der Regierungspartei mache auch die Situation in der Pandemie und der Verdruss in der Gesellschaft über die dritte Infektionswelle und die stockende Impfkampagne zu schaffen. Ebenso wie der Skiurlaub von Staatspräsident Andrzej Duda, wenn man bedenkt, dass der Großteil der Polen in diesem Jahr in den Ferien zu Hause geblieben ist.
Aus all diesen Gründen sei die Nutzung des EU-Parlaments als Schreckgespenst ein verlockendes Szenario für die Regierenden. Aber auch riskant. Einerseits könnte der Koalitionspartner der PiS Solidarisches Polen, der gerne auf EU-feindliche Parolen zurückgreift, die Regierungspartei im Radikalismus übertrumpfen. Andererseits hätte auch der Konflikt um die Abtreibung gezeigt, wie schnell sich die polnische Gesellschaft säkularisiert. Statt ihre Wähler zu mobilisieren, könnte die Regierungspartei also auch ungewollt ihr Image einer anachronistischen Partei stärken und weitere junge Wähler verlieren, so Michał Szułdrzyński über das PR-Dilemma der Recht und Gerechtigkeit.
Autor: Adam de Nisau