Deutsche Redaktion

"Unbewusster Antipolonismus"

02.06.2021 11:27
Mit dem Slogan „Omas neue Polin“ wirbt eine deutsche Pflegevermittlung auf Bussen. Einzelne Politiker sehen darin eine Form von Rassismus. In einem Gespräch mit dem Internetportal wPolityce.pl bezieht der Historiker, Profesor Bogdan Musiał Stellung zu dem kontroversen Werbeslogan. Außerdem geht es auch um die politischen Perspektiven von Premierminister Mateusz Morawiecki und um die Frage: stehen Polen vorgeschobene Parlamentswahlen bevor?
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zdj. ilustracyjneAritra Deb / PR

wPOLITYCE.PL: Unbewusster Antipolonismus

Mit dem Slogan „Omas neue Polin“ wirbt eine deutsche Pflegevermittlung auf Bussen. Einzelne Politiker sehen darin eine Form von Rassismus. Das werbende Unternehmen bewertet das aber ganz anders. In einem Gespräch mit dem Internetportal wPolityce.pl bezieht der Historiker, Profesor Bogdan Musiał Stellung zu dem kontroversen Werbeslogan. Er zeige, so der Historiker, ein tief im deutschen Unterbewusstsein verankertes Überlegenheitsgefühl gegenüber Polen. Man diskutiere aktuell eingehend über Rassismus in der Bundesrepublik. Es gebe immer mehr Stimmen, die dazu aufrufen würden, die Einstellung zu Menschen mit dunkler Hautfarbe kritisch zu hinterfragen. Im Grunde genommen sei es aber ein Ersatzthema in der Bundesrepublik. Der deutsche Rassismus sei anders als der amerikanische, englische oder insbesondere der belgische – die Belgier hätten doch Millionen dunkelhäutige Menschen auf dem Gewissen. Der deutsche Rassismus sei traditionell vor allem gegen Länder des Ostens gerichtet, meint der Historiker. Polen nehme in diesem Kontext einen ganz besonderen Platz ein. Die Deutschen seien sich dessen aber überhaupt nicht bewusst. Sie würden das Problem überhaupt nicht sehen, weil es so tief verankert sei, sagt Professor Musiał.

In Deutschland habe es nie eine redliche Debatte über den Antipolonismus gegeben, man habe das Problem einfach verdrängt. Bis auf einzelne Gremien funktioniere dieses Thema in öffentlichen Debatten in der Bundesrepublik gar nicht. Deshalb seien auch solche Slogans, wie der obengenannte möglich. Hätte jemand mit dem Spruch „Omas neuer Schwarzer/Afrikaner“ für seine Firma geworben, gäbe es sofort einen Riesenskandal. In dem Text „Omas neue Polin“ würden aber die meisten keine negative Intention erkennen. Sie hätten einfach keine Ahnung, dass es eben eine Form von Rassismus sei. In vielen antipolnischen Kommentaren würde es übrigens alte Klischees geben, die besagen, dass die Polen primitiv, ungebildet, rassistisch und antisemitisch seien. Diese Vorstellungen seien einfach ein Teil des deutschen DNA, sagt Bogdan Musiał.

Diese Einstellung übe einen gewaltigen Einfluss auf das deutsch-polnische Zusammenleben in der Europäischen Union aus, fügt der Historiker hinzu. Viele Deutsche würden davon ausgehen, dass sich Berlin in den beiderseitigen Kontakten korrekt verhalte. Es herrsche die Überzeugung, dass Polen von der deutschen Nachbarschaft stark profitiere, und man den östlichen Nachbarn sehr väterlich behandle. Deshalb sei es beinahe ein Skandal, wenn eine polnische Regierung Forderungen stelle und mit den Entscheidungen der Politiker in Berlin nicht immer übereinstimme. Es sei aber halt die Einstellung einer Gesellschaft, die sich mit ihrer Vergangenheit nur teilweise auseinandergesetzt habe. Man habe den Antisemitismus zwar verarbeitet, den Antipolonismus aber nicht, meint der Historiker, Professor Bogdan Musiał.

 

RZECZPOSPOLITA: Geimpfter Premierminister            

Polens Premierminister baue sein Image langsam wieder auf, schreibt in seinem Kommentar in der Tageszeitung Rzeczpospolita der Publizist Michał Szułdrzyński. Der Jahresbeginn sei für Mateusz Morawiecki eine katastrophale Zeit gewesen. Die zweite und dritte Pandemiewelle habe zu einer drastischen Verschlechterung der Stimmung in der Bevölkerung geführt. Und Morawiecki sei das Gesicht jener Regierung gewesen, die man für die schwierige Situation in erster Linie verantwortlich gemacht habe. Es schien, als ob sich die Morawiecki-Ära rasch dem Ende nähern würde. Den Meinungsumfragen sie zu entnehmen gewesen, dass die Pandemie den meisten Polen Sorgen bereitet habe. Morawiecki habe deshalb gepokert und eine Verbesserung der Lage versprochen, sobald die Impfaktion in die Wege geleitet werde. Zwar habe die Ankündigung von vor einem Jahr, dass die Pandemie bereits vorbei sei, seine Glaubwürdigkeit stark geschwächt. Doch viele Polen hätten dem Regierungschef noch einmal geglaubt. Nicht weil er so glaubwürdig gewesen sei, sondern weil sie einfach sehr an seine positive Vision glauben wollten, lesen wir.

Inzwischen hätten über 13 Millionen Polen ihre erste Impfdosis bekommen, man habe die Mundschutzpflicht im Freien aufgehoben, man könne wieder in ein Restaurant oder ins Kino gehen. Die Normalität kehre sehr langsam zurück. Man könne davon ausgehen, dass dies zur Verbesserung der allgemeinen Stimmung führen und die Impfaktion nicht nur die Gesellschaft sondern auch den Regierungschef stärken werde.

Im Sommer werde es einen Parteikongress der PiS geben. Dort werde Morawiecki höchstwahrscheinlich zum Vizechef der Partei Recht und Gerechtigkeit ernannt. Laut Umfragen würden ihn die meisten als den Nachfolger von Parteichef Jarosław Kaczyński sehen, was bedeuten könne, dass ihn die Mehrheit der Wähler in dieser Position bereits akzeptiert habe, so Publizist Michał Szułdrzyński in der Tageszeitung Rzeczpospolita.

 

GAZETA POLSKA CODZIENNIE: Vorgezogenen Wahlen gut möglich

Vorgezogenen Wahlen in Polen seien gut möglich, schreibt die Tageszeitung Gazeta Polska Codziennie. Im Rahmen der regierenden Koalition komme es immer wieder zu Reibungen. Die Atmosphäre werde darüber hinaus durch Aussagen der hochrangigen Politiker erhitzt. In einem Interview habe zum Beispiel der Vizepremier und Chef der kleinsten Koalitionsgruppierung Porozumienie/Verständigung zugegeben, dass seine Partei auf eventuelle Frühwahlen vorbereitet sei. Zugleich habe Jarosław Gowin versichert, dass seine Gruppierung die Koalition nicht verlassen werde. Die Vereinte Rechte sei momentan das einzige politische Gebilde, das über eine stabile Parlamentsmehrheit verfüge. Wer das Bündnis aufzulösen versuche, schade Polen, sagte Gowin und wies damit auf die Haltung des größten Koalitionspartners Recht und Gerechtigkeit hin, so GPC.

Jakub Kukla