Deutsche Redaktion

"Ein Zweites Jalta?"

26.07.2021 10:22
In ihrem Feuilleton zieht die Publizistin Irena Lasocka eine Parallele zwischen der Situation in Europa direkt nach Ende des II. Weltkrieges und heute durch.
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PLUS MINUS: Zweites Jalta?

In ihrem Feuilleton zieht die Publizistin Irena Lasocka eine Parallele zwischen der Situation in Europa direkt nach Ende des II. Weltkrieges und heute durch. Noblesse oblige – solle US-Präsident Roosevelt gesagt haben, als er nach der Krim-Konferenz kritisiert worden sei, er habe sich Stalin gegenüber zu nachgiebig gezeigt und den Russen mehr als nötig gegeben. Stalin würde sich nun zu einer Revanche verpflichtet fühlen und werde in anderen Angelegenheiten nachlassen, erklärte der Amerikaner seine Strategie. Eine Gegenleistung habe Roosevelt jedoch nicht erlebt. Zwei Monate nach der Konferenz sei er gestorben. Die Bestimmungen der Konferenz von Jalta hätten dagegen über ein halbes Jahrhundert funktioniert. Und der Geist der Krim-Konferenz sei darüber hinaus in Europa bis heute spürbar, stell Irena Lasota fest.

Die Idee der sowjetischen Einflusszone funktioniere in der europäischen Politik immer noch, schreibt die Publizistin weiter. Churchill und Roosevelt hätten sich darauf geeinigt, dass sich die von der Roten Armee befreiten Länder künftig „freundlich“ gegenüber Moskau hätten verhalten sollen. Stalin seinerseits habe in jenen Ländern freie Wahlen zulassen sollen. Die folgenden Jahrzehnte hätten aber gezeigt, dass der Westen die russische Herrschaft in Osteuropa toleriert habe, auch wenn viele Oststaaten sich gegen diese Dominanz gewehrt hatten. Auch nachdem publik wurde, dass die Briten und Amerikaner von Vertretern des sowjetischen Geheimdienstes beraten worden seien, habe man die Bestimmungen der Krim-Konferenz nicht infrage gestellt. Erst Ronald Reagan habe sich gegen ein durch den eisernen Vorgang geteiltes Europa kritisch geäußert.

Auch viele Jahre nach dem Fall des Sowjetunion sei die Angst vor der Berührung der russischen Einflusszone in den Köpfen der amerikanischen Diplomaten sehr stark. Die ehemaligen Sowjetstaaten würden immer noch als Teile des postsowjetischen Imperiums behandelt. Mental funktioniere das Jalta-Abkommen stets sehr gut. Besonders dramatisch sehe die Lage der Belarussen und der Ukrainer aus. Seit einem Jahr würden die Belarussen protestieren und freie Wahlen fordern. Tausende seien dafür in Gefängnissen gelandet, viele seien gefoltert. Die USA würden aber nicht reagieren. Wieso? Weil sie anscheinend Belarus als ein von Russland abhängiges Territorium wahrnehmen würden. Auch die Ukraine könne sich von dem langen Schatten Moskaus nicht lösen. Zwar sei das Land theoretisch von Russland unabhängig, aber Putin akzeptiere diesen Sachverhalt nicht und manifestiere seine Haltung sehr offen, indem er gegen Kiew einen Krieg führe. Die Verhandlungen über Nord-Stream-2 bezeichnet die Publizistin in diesem Kontext als zweites Jalta. Die USA würden mit Hilfe Deutschlands den Bau einer russischen Gasleitung zulassen, die künftig Wladimir Putin eine erfolgreiche Politik ermöglichen solle. Die Kosten für Osteuropa seien, allem Anschein nach, zweitrangig, lesen wir in Plus Minus.

NEWSWEEK: Wahl zwischen „Ja” und „Nein”

Im Gespräch mit der Wochenzeitschrift Newsweek beklagt der ehemalige Vizepremier und Wirtschaftsminister Jerzy Hausner den Mangel an sachlichen Wirtschaftsdiskussionen in der polnischen Öffentlichkeit. Ein Teil der Wirtschaftsleute sei mit dem Regierungslager mental verbunden, stellt Hausner fest. Diese Experten würden jegliche Entscheidungen der Regierenden loben, diese Meinungen würden dann in einem Teil der Medien unkritisch weitergeleitet, und das Publikum schenke dann solchen Aussagen Glauben.

Die Welt sei krank, wenn sie in jene die dafür und jene die dagegen seien, geteilt sei, führt Hausner fort. Er wünschte sich eine Situation, in der man Menschen zuhören, die abseits von irgendwelchen politischen Lagern funktionieren. Eine Situation in der die Experten entweder die Regierung oder die Opposition unterstützen und die Entscheidungen ihres Lagers zu verteidigen versuchen, untergrabe die Glaubwürdigkeit der gesamten Expertengruppe. Die Öffentlichkeit müsse dadurch in einer Welt funktionieren in der sie sich entweder dafür oder dagegen äußern könne. Es verschwinde die gesellschaftliche Kommunikation und die Fähigkeit zum kritischen Denken. Auf diese Art und Weise würden die Grundlagen eines bürgerlichen Engagements zerstört, meint ehemaliger Vizepremier Jerzy Hausner.


DO RZECZY: Keine Machtübernahme ohne Imagewechsel

Im Gespräch mit der Wochenzeitschrift Do Rzeczy überlegt der Politikwissenschaftler, Professor Waldemar Paruch ob Ex-Premierminister Donald Tusk die Opposition werde konsolidieren können. Ein solches Szenario sei zwar möglich, er sei aber nicht sicher, ob der ehemalige Regierungschef es hinkriegen werde. Sicherlich würden Anführer der kleineren Oppositionsgruppierungen die Ergebnisse von Meinungsumfragen analysieren, um zu sehen, was die Öffentlichkeit von Tusk halte. Viel wichtiger sei aber die Frage, ob Donald Tusk eine richtige Diagnose der aktuellen politischen Situation werde stellen können. Dies bezweifle er, sagt Paruch. Seine Aktivität in Brüssel habe wohl verursacht, dass er den Kontakt mit der gesellschaftlichen Situation in Polen weitestgehend verloren habe. Man wisse auch nicht, welche Ideen sein Umfeld vorstellen werde. Bislang habe Donald Tusk sein Image eines aggressiven, auf Konfrontation eingestellten Politikers bestätigt. Einer neuen Umfrage des Forschungsinstituts CBOS sei zu entnehmen, dass der ehemalige EU-Ratspräsident an der Spitze jener Politiker stehe, die nicht gemocht werden. Dies zeige, dass ohne einen Imagewechsel Tusk die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit werde nicht gefährden können.

Jakub Kukla