Dziennik/Gazeta Prawna: Putin sucht Casus Belli
Wenn Russland die Ukraine angreift, dann werden die US-Truppen für länger in Polen und auf der NATO-Ostflanke bleiben. Der Begriff “ständige Präsenz” werde nicht fallen. In der Praxis werde es sich jedoch um eine solche handeln, schreibt in seinem heutigen Aufmacher das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. Im Falle eines Kriegs, so die Zeitung, werden die entsprechenden Entscheidungen sicherlich auf dem für Ende Juni in Madrid geplanten NATO-Gipfel fallen. Allein vergangene Woche seien, wie die Zeitung erinnert, zusätzliche 4,7 Tausend Soldaten von jenseits des Atlantiks in Polen eingetroffen. Insgesamt seien hierzulande mittlerweile knapp 9 Tausend Soldaten stationiert, die Hälfte von ihnen in so genannter ständiger Rotation. “Es ist die viertgrößte Gruppe von US-Soldaten in Europa”, habe am Freitag US-Verteidigungssekretär Lloyd Austin während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Polens Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak betont, erinnert Dziennik/Gazeta Prawna.
In der Zwischenzeit eskaliere Putin weiterhin die Spannungen. Am Wochenende habe er Militärübungen der strategischen Nuklearstreitkräfte beaufsichtigt. Auch die Manöver in Belarus seien nicht beendet worden. Und es würde ständig zu neuen Provokationen an der Grenze zwischen den separatistischen Republiken und der Ukraine kommen.
Russland zähle auf das Gleiche, das ihr 2008 in Georgien gelungen sei. Es gehe darum, eine Reaktion der Ukraine zu erzwingen und einen Vorwand für Kriegshandlungen zu erhalten. Ein Teil der Kommentatoren befürchte, dass der Kreml sich sogar für eine Attacke mit Chemiewaffen in den Separatistengebieten entscheiden könnte, für die er die Schuld dann auf Kiew schieben würde, so Dziennik/Gazeta Prawna.
Gazeta Wyborcza: Die Provokationen Moskaus
Die bisherigen Provokationen in den Separatistengebieten seien erstaunlich ungeschickt vorbereitet worden, beobachtet in der heutigen Ausgabe der linksliberalen Gazeta Wyborcza der Publizist Wacław Radziwinowicz. So hätten die Anführer der Donezk- und der Lugansk-Republik am Freitag etwa eine Evakuierung von Kindern, Frauen und Senioren aus den Gebieten angeordnet. Laut Analysen von Aric Toler von der berühmten Gruppe von Investigativ-Journalisten Bellingcat, seien die entsprechenden Video-Botschaften noch am Mittwoch aufgenommen worden, als es in dem Gebiet noch relativ ruhig gewesen sei. Ein anderes Beispiel seien die vermeintlichen “Terrorattacken”, die die ukrainische Seite verübt haben soll, wie etwa die Sprengung des Jeeps des Miliz-Chefs der Donezk-Republik Denis Sinienkow. Der Kommandant sei tatsächlich in einem Geländewagen mit der entsprechenden Registrierungsnummer fotografiert worden, aber nicht in einem abgenutzten, alten Jeep, sondern in einem viel neueren und moderneren Modell, das er offenbar nicht auf dem Altar der Heimat habe opfern wollen. Der angebliche Anschlag sei also an einem Schrottwagen verübt worden, an einem abgelegenen und menschenlosen Ort. Niemand sei zu Schaden gekommen, beobachtet Radziwinowicz.
All dies könne Russland dennoch nun leicht zum Anlass nehmen, die separatistischen Republiken für unabhängig zu erklären und ihnen sogenannte brüderliche Unterstützung zu leisten. Alles sei für diesen Schritt schon vorbereitet. Die Truppen würden bereit stehen. Für Dienstag sei eine Sondersitzung der Duma und des Rats der Föderation anberaumt worden. Beide Parlamentskammern könnten also blitzschnell die eventuelle Entscheidung des Präsidenten bestätigen, die “Unabhängigkeit” beider Provinzen und damit ihre Abspaltung von der Ukraine anzuerkennen. Dann würde einem russischen Militäreinsatz auf Anfrage der Anführer der beiden Separatisten-Republiken nichts mehr im Wege stehen, um - so der offzielle Vorwand - einen “Völkermord” zu verhindern. Wenn die Ukraine dem etwas entgegensetzen wollte, müsste sie es mit der russischen Armee aufnehmen. Und ein solches Gefecht lasse sich auch leicht provozieren, so Wacław Radziwinowicz in der Gazeta Wyborcza.
Dziennik/Gazeta Prawna: Isolation, die es nicht gegeben hat
In Bezug auf die Eskalation der Spannungen mit der Ukraine, werde häufig behauptet, dass es Putin damit gelungen sei, die Isolation seines Staats zu durchbrechen und zur Gruppe von Staatschefs zurückzukehren, mit denen sich der Westen zu den wichtigsten Themen abspreche. Dies sei aber nur eine Halbwahrheit, denn eine Isolation habe es de facto nicht gegeben, schreibt in Dziennik/Gazeta Prawna der Publizist Michał Potocki. Wie aus einer Analyse von Putins persönlichen Treffen, Telefongesprächen und Telekonferenzen im Jahr 2019 hervorgehe, so der Autor, habe Putin in dieser Zeit an 197 Treffen mit Vertretern anderer Staaten teilgenommen und 500 Telefongespräche sowie Telekonferenzen abgehalten. An jedem fünften Treffen und jedem dritten Gespräch seien Politiker der westlichen Staaten beteiligt gewesen. Der häufigste Gesprächspartner sei mit 52 Kontakten die Türkei. Ungefähr einmal pro Monat spreche Putin mit dem französischen Staatspräsidenten und dem deutschen Bundeskanzler. Wobei es Olaf Scholz nicht gelungen sei, so enge Kontakte mit Putin zu knüpfen, wie Merkel. Seitdem er Regierungschef geworden sei, habe Scholz mit Putin zwei Mal gesprochen, Macron dagegen sieben Mal. Seit 2019 habe der russische Staatspräsident auch über ein Dutzend Mal mit Politikern aus den USA, Italien und Finnland gesprochen. Und 10 Mal mit Vertretern von EU-Behörden, schreibt Dziennik/Gazeta Prawna.
Autor: Adam de Nisau