Deutsche Redaktion

"Sanktionen definieren Grenzen des Westens aufs Neue"

01.03.2022 12:56
Die EU habe “A” gesagt, indem sie sich erstmals in der Geschichte für eine Finanzierung von Waffen für ein Land im Krieg entschieden und harte Sanktionen gegen Russland eingeführt hat. Nun sollte sie auch “B” sagen und der Ukraine einen verkürzten Weg in die EU bieten, nachdem der Staat seine Unabhängigkeit verteidigt habe, schreibt der Publizist der Rzeczpospolita Krzysztof Adam Kowalczyk. Die Teilnahme an Sanktionen definiert die Grenzen des Westens aufs Neue. Wie dauerhaft wird die deutsche Wende in der Ostpolitik sein? Und: Bankrott Russlands ist ein reales Szenario. Die Einzelheiten in der Presseschau.
Minister Zbigniew Rau poinformował o  rozpoczęciu rozmowy nad kolejnymi sankcjami gospodarczymi wobec Rosji i Białorusi
Minister Zbigniew Rau poinformował o rozpoczęciu rozmowy nad kolejnymi sankcjami gospodarczymi wobec Rosji i BiałorusiPAP/EPA/OLIVIER HOSLET / POOL

Rzeczpospolita: Neuer Marshall-Plan für die Ukraine

In einem offenenen Brief haben sich die Staatspräsidenten von 8 EU-Staaten, darunter auch Polens für einen sofortigen EU-Kandidatenstatus für die Ukraine ausgesprochen. Die EU habe “A” gesagt, indem sie sich erstmals in der Geschichte für eine Finanzierung von Waffen für ein Land im Krieg entschieden und harte Sanktionen gegen Russland eingeführt hat. Nun sollte sie auch “B” sagen und der Ukraine einen verkürzten Weg in die EU bieten, nachdem der Staat seine Unabhängigkeit verteidigt habe, schreibt dazu der Publizist der Rzeczpospolita Krzysztof Adam Kowalczyk. Nach dem Krieg, so der Autor, werde die Ukraine einen kostspieligen Wiederaufbau von Infrastruktur, Häusern und Fabriken vor sich haben. Daher sollte die freie Welt schon jetzt so etwas, wie einen Marshall-Plan skizzieren, der über 40 Millionen Ukrainern helfen werde, ihre Wirtschaft aus den Trümmern wieder aufzubauen. Dieser Plan könne etwa mit den eingefrorenen Aktiva Russlands finanziert werden. Der Aggressor müsse die Konsequenzen tragen, so der Autor. 

Verteidigung, so Kowalczyk, sei kostspielig, nicht nur aus menschlicher, aber auch aus finanzieller Perspektive. Die Ukraine werde nach dem Krieg stärker verschuldet sein, als 2015, als die Schuldenlast, nach der Annexion der Krim, von Luhansk und Donbass, auf 79 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen ist. Daher sollten die Gläubiger, sowohl die staatlichen, als auch die privaten sich für eine Reduktion der Schulden entscheiden. So, wie die Welt Polen die Hälfte seiner Schulden nach der Wende 1989 geschenkt habe. Nun befinde sich auch die Ukraine in einem historischen Moment, der von der freien Welt historische Entscheidungen verlange, so Krzysztof Adam Kowalczyk in der Rzeczpospolita.

Rzeczpospolita: Sanktionen definieren neue Grenzen des Westens

Die Bereitschaft sich an drastischen Sanktionen sowie an der Verurteilung Russlands in der UNO zu beteiligen werde die Grenzen des Westens aufs Neue definieren. Des weit verstandenen Westens, nicht nur der EU und der NATO, schreibt ebenfalls in der Rzeczpospolita Jerzy Haszczyński. Zu diesem, so der Autor, würden schon Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland gehören. Auch ein großer Teil Südamerikas würde die Aggression verurteilen. Und ein kleinerer Teil Afrikas. An der Grenze dieser westlichen Neuen Welt würde dafür Ungarn balancieren, das der Ukraine nicht nur keine Waffen liefern wolle, sondern auch Waffentransporte durch sein Staatsgebiet verweigere. Bis jetzt habe sich ihr auch Israel nicht angeschlossen. Israel habe sich nicht an vorherigen Sanktionen gegen Moskau beteiligt, die die Krim-Annexion nach sich gezogen habe. Es habe auch gehofft, dass es auch jetzt abwarten werde, um Putin nicht zu ärgern. Aber 2022 sei nicht 2014. Es gebe kein entweder-oder. Es gebe kein ein wenig hier, ein wenig dort. Es gebe den Westen, die Neue Welt und die Russische Provinz, so Jerzy Haszczyński in der Rzeczpospolita. 

DGP: Putins Freunde sind nicht verschwunden, nur vorübergehend untergetaucht

Die 180-Grad-Wende in der deutschen Politik gegenüber Russland werde nicht ohne Grund als Kopernikanische Wende bezeichnet, schreibt in seinem Kommentar für das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna der Publizist und Analytiker des konservativen Think Tanks Klub Jagielloński Dr Michał Kuź. Die Sondersitzung des Bundestags und die Rede von Bundeskanzler Scholz seien ein präzedenzloses Ereignis in der deutschen Nachkriegsgeschichte gewesen. Auch wenn dies, wie viele Kommentatoren beobachten, extrem lange gedauert habe. Am Samstag-Vormittag sei Deutschland noch der einzige EU-Staat gewesen, der sich gegen eine Blockade von SWIFT für Russland ausgesprochen habe. Daher, so der Autor, müsse man sich die Frage stellen, wie dauerhaft diese Wende sein werde. In Deutschland, erinnert Kuź, gebe es viele Putinversteher. Darunter Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, die vor Kurzem auf Facebook ein Foto des gelb-blau beleuchteten Schlosses in Schwerin veröffentlicht habe. Der ukrainische Botschafter in Berlin Andriej Melnyk habe darauf geantwortet, dass man “bei dieser Scheinheiligkeit kotzen” will. Dieselbe Schwesig habe, wie Kuź erinnert, vor einem Jahr die Stiftung für Klimaschutz ins Leben gerufen, die de facto den Bau von Nord Stream 2 finalisieren sollte, um die US-Sanktionen auf mit der Pipeline verbundenen Privatunternehmen zu umgehen. Die Geschichten des führenden russischen Lobbyisten  in Deutschland, Gerhard Schröder und die Bemühungen von Bundeskanzler Scholz in Bezug auf die Minderung der US-Sanktionen gegen NS2, fährt Kuź fort, seien nur allzu gut bekannt. Auch die Christdemokraten seien nicht ohne Schuld. Im April habe der sächsische Premierminister Michael Kretschmer einen vor Russophilie triefenden Artikel in der “Welt” veröffentlicht. Beispiele gebe es mehr als genug. 

Stellen wir uns also vor, so der Autor, was geschehen werde, wenn Putin plötzlich doch einen Teil seiner Truppen zurückziehe und sich mit einer symbolischen Beute rund um die zwei selbsternannten “Volksrepubliken” zufrieden gebe. Stellen wir uns vor, dass er, kurz vor seinem 70. Geburtstag, wie sein Vorgänger Jelzin auf politische Rente gehe. Dass die Geheimdienste den neuen Staatschef küren, wie sie es im Falle von Putin und de facto seit über 100 Jahren schon gemacht haben. Dass dieser neue Anführer zwar die Auslieferung Putins an den Menschengerichtshof in Hag blockiere, dafür aber mit einer geschickten Charme-Offensive beginne, vielleicht sogar ein paar Militärs feuere. Wie werde sich Deutschland dann verhalten? Werde die Bundesrepublik nicht zu den ersten gehören, die verkünden, dass wir nun ein neues Russland haben, dass man die Sanktionen so schnell es gehe abschaffen und dieses neue Russland in Europa willkommen heißen müsse?

Bei dem Vergleich Putins zu Hitler, so Kuź, gehe es schließlich um viel mehr als um billige Dämonisierung. Die Ähnlichkeit sei viel tiefgreifender und subtiler. Denn beide Politiker seien das Produkt eines gewissen politischen Umfelds und einer gewissen Denkweise über den Staat. Es sollte uns daher nicht nur um einen Sieg über Putin gehen, sondern um die Bekämpfung des modernen russischen Imperialismus. Und dies werde kein einfacher Kampf sein. Ähnlich wie in Deutschland die Auslöschung der Überreste des ehemaligen deutschen Imperialismus, den Hitler geschaffen habe, nicht einfach gewesen sei. 

Gehe es nach dem inzwischen verstorbenen deutschen Investigativjournalisten Jürgen Roth, sei die Korrumpierung der deutschen politischen Klasse und einflussreicher Manager durch Putins Russland weitgehend und könne einer allgemeinen Deputiniesierung bedürfen, Ermittlungen der Staatsanwaltschaft inbegriffen. Bis dahin sei es jedoch noch leider ein weiter Weg, so Dr Michał Kuź in Dziennik/Gazeta Prawna. 

Rzeczpospolita: Russische Wirtschaft versinkt

Erstmals seit über 20 Jahren ist der Bankrott Russlands zu einem realen Szenario geworden, schreibt in ihrem heutigen Aufmacher die konservativ-liberale Rzeczpospolita. Infolge der amerikanischen Sanktionen seien die in den USA aufbewahrten Reserven der russischen Zentralbank de facto eingefroren. Gleiches werde in Kürze für die Reserven in der EU gelten. Daher sei es zu einem Paradox gekommen: die russische Zentralbank, die über gigantische Reserven verfüge (etwa 643 Milliarden Dollar) werde den Großteil dieser Reserven nicht nutzen können. Auch der Rubel habe am Montag sogar bis zu 30 Prozent gegenüber dem Dollar verloren, worauf die Zentralbank mit einer radikalen Anhebung der Zinssätze von 9,5 Prozent auf 20 Prozent reagiert habe. Schließlich würde ein Teil der russischen Banken gleich vom SWIFT-System abgekoppelt. “Der Bankrott Russlands ist jetzt eine reale Möglichkeit. Es ist schockierend, wie schnell ein so starker Staat untergehen kann”, sagt Timothy Ash, ein Ökonom der Firma Blue Bay Asset Management. Auch viele Unternehmen, wie Apple oder Daimler Truck, sowie Konsumenten würden sich vom russischen Markt distanzieren. 

Auch aus diesen Gründen, würden immer mehr russische Oligarchen zu einem Beendigung des Konflikts aufrufen. Am Montag habe sich auch die Schweiz den Sanktionen der EU angeschlossen, in der sich ein Drittel der russischen, im Ausland aufbewahrten Vermögen befinden, so Rzeczpospolita. 

Autor: Adam de Nisau