Deutsche Redaktion

"Wir zahlen für Raketen, die auf uns zielen"

08.03.2022 12:08
Ein Rohstoffembargo wäre sehr kostspielig für Europa. Aber haben wir, moralisch gesehen, eine andere Wahl? Ist die russische Armee nahe daran, die taktische Initiative in der Ukraine zu verlieren? Und: Welche Änderungen erfordert der Krieg in der polnischen Innenpolitik? Mehr unter anderem dazu in der Presseschau.
Premier po rozmowie z Blinkenem: sankcje na Rosję muszą być szczelne
Premier po rozmowie z Blinkenem: sankcje na Rosję muszą być szczelneStanley Kalvan/shutterstock.com

Rzeczpospolita: Sondergesetz für Ukrainer im Parlament

Jeder ukrainische Bürger, der nach dem 24. Februar legal nach Polen eingereist ist, soll 18 Monate in Polen bleiben können. Zudem sollen Flüchtlinge auch eine Steuer-Identifikationsnummer (PESEL) erhalten und ein Konto eröffnen können, auf das der Staat dann 300 PLN einmaliger Hilfe und 500 PLN monatlich für jedes Kind einzahlen wird - das sind die wichtigsten Eckpunkte eines Sondergesetzes für Ukrainer, das die Regierung am Montag vorgestellt hat, schreibt in der heutigen Ausgabe die konservativ-liberale Rzeczpospolita. Gehe es nach Premierminister Morawiecki, sollen die Vorschriften den Flüchtlingen den Start in Polen erleichtern. Zudem sollen auch diejenigen, die Flüchtlinge auf der Grundlage eines Vertrags mit ihrer Gemeinde bei sich aufnehmen, zwei Monate lang einen Zuschuss in Höhe von 40 PLN täglich pro aufgenommene Person erhalten. Die ukrainischen Bürger werden ohne zusätzliche Bedingungen und Erlaubnisse eine Arbeit in Polen aufnehmen können. Der Arbeitgeber wird dies nur innerhalb von 7 Tagen beim Arbeitsamt melden müssen. Wenn das Parlament das Gesetz schnell verabschiedet, dann wird es noch diese Woche in Kraft treten können, so Rzeczpospolita. 

Rzeczpospolita: Wir zahlen für Raketen, die auf uns zielen

Ein wichtiges Thema in der polnischen Presse ist auch die Debatte über eine weitere Verschärfung der Sanktionen gegen Russland, insbesondere durch ein Embargo für russische Rohstoffe. Wie Rzeczpospolita in ihrem Aufmacher erinnert, seien die Energierohstoffe derzeit aus den Sanktionspaketen gegen Russland ausgeschlossen, ebenso wie die die entsprechenden Transaktionen bedienenden russischen Banken, die weiterhin im SWIFT-System funktionieren. Mehr noch, seit dem Kriegsausbruch hätten sich die Gaslieferungen an die EU vergrößert. Gazprom habe sie zuvor viele Monate lang auf einem relativ niedrigen Niveau gehalten, nun antworte der russische Staatskonzern auf jede Bestellung von Kunden. Und die würden in größeren Mengen Gas kaufen, um die Magazine für den Fall von Sanktionen zu füllen. 

Im Falle einer Entscheidung für einen Importstopp, müsse man sich laut Experten jedoch auf ein vollständiges Energie-Embargo vorbereiten. “Wenn die EU ein Ölembargo einführt, dann kann Russland in Reaktion darauf den Gashahn zudrehen”, sagt im Gespräch mit der Rzeczpospolita die Expertin des Think Tanks Bruegel Simone Tagliapietra. Daher müssten die Sanktionen sorgfältig vorbereitet und mit den anderen Partnern abgestimmt sein, besonders denen aus Nordamerika. Ein solcher transatlantischer Pakt müsste zumindest die drei wichtigsten Energieträger Öl, Gas und Kohle umfassen, lesen wir in Rzeczpospolita. 

Gleichzeitig habe der Westen moralisch eigentlich keine andere Wahl, schreibt in seinem Kommentar zum Thema der Publizist des Blattes Tomasz Pietryga. Am Samstag, erinnert der Autor, hätten die russischen Medien gespottet, dass der Westen Russland jeden Tag eine Milliarde Dollar für Rohstoffe zahlt und ohne sie wirtschaftlichen Selbstmord begehen würde. Das Problem, so Pietryga, sei, dass dieses Geld jeden weiteren Tag des Barbarentums in der Ukraine finanziert. Und wer weiß, vielleicht auch Geschosse, die bald auf uns zielen werden. Es sei höchste Zeit, dies zu stoppen und sich entschieden auf die Seite der Werte zu stellen, auf denen unsere Zivilisation beruhe. Verhandlungen mit Barbaren hätten nie gut geendet, so Tomasz Pietryga in der Rzeczpospolita. 

TVN24: Russische Armee nah daran, die taktische Initiative zu verlieren

Die russische Armee ist nah daran, die taktische Offensive in der Ukraine zu verlieren, sagt im Gespräch mit dem Informationssender TVN24 der ehemalige Chef des Generalstabs der polnischen Streitkräfte, General Mieczysław Gocuł. “Heute”, so Gocuł, “beobachten wir auf den Landkarten so etwas, wie ein auseinanderdriften der russischen Soldaten. Die rote Farbe auf den Landkarten könnte suggerieren, dass die Russen Gebietsgewinne erzielen. Dem ist aber nicht so. In Wirklichkeit beherrschen die Russen die Umgebung von Straßen. Sie bewegen sich auf diesen Straßen fort, besetzen Ortschaften, vor allem kleinere, kämpfen um größere Städte und herrschen auf den Straßen. Dort werden ihre Kolumnen auch angegriffen”, so der General. Es sehe also auf den Karten schlimmer für die ukrainische Seite aus, als es in Wirklichkeit ist. Wir, so Gocuł, müssten uns auch bewusst sein, dass wir heute den 12. Tag der Invasion haben, es würden aber auch vier Monate seit der Verlegung der russischen Truppen an die Grenze zur Ukraine vergehen. “Diese Soldaten sind psychisch und physisch ermüdet. Ihnen fehlt fundamentale logistische Unterstützung, sie haben taktische und strategische Vorräte aufgebraucht”.  Davon würden etwa die stehenden Kolumnen zeugen, so der General. Daher sei die russische Armee seiner Meinung nach nahe daran, die taktische Initiative zu verlieren. Russland würden noch 5 Prozent der Truppen bleiben, die noch nicht in den Krieg engagiert seien. Das sind etwa 10 Tausend Soldaten, so Mieczysław Gocuł im Gespräch mit tvn24. 

Polityka: Stärkung des Staates von höchster Priorität

In Zeiten der Instabilität und Unsicherheit müssen wir uns auch an die eigene Nase fassen, betont in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung “Polityka” der Publizist Rafał Kalukin. Polen, so der Autor, werde in der neuen Wirklichkeit zu einem Frontstaat, der noch stärkeren Spannungen und Krisen ausgesetzt sein werde. Und daher müsse sich auch innenpolitisch viel ändern. Die Strategie, Verteidigungspolitik, Wirtschaft und Infrastruktur müssten alle an die neue Wirklichkeit angepasst werden. Ebenso, wie das von der Regierungspartei zerstörte politische System, das seit Langem nicht so sehr die Interessen des Staates, sondern die seiner habgierigen Eliten bediene. Das resultiere nicht nur in pathologischen Beziehungen, aber auch in der Atrophie von Langzeitplanung, Zusammenarbeit, konstruktiver Debatte und von zivilgesellschaftlichem Engagement. Mit einem solchen Staat, so Kalukin, würden wir besonders empfindlich für Erschütterungen und externe Manipulation sein. Auch die neulichen Appelle um Einheit, so der Autor, sollten uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese im Grunde genommen nur einer Seite der Debatte dient. Und von der Opposition nicht nur die Anerkennung der Führungsrolle der Regierungspartei PiS verlangt, sondern auch die Autorisierung des von ihr geschaffenen pathologischen Machtmodells. Mit dessen Partikularismus als einem nicht mehr auslöschbaren Makel. Auch wenn derzeit die Empörung über die russische Aggression so gut wie alle europäischen Staaten teilen, könne man leider nicht ausschließen, dass die Kosten der Sanktionen mit der Zeit im Westen neu kalkuliert werden und die sich durch unsere Region ziehende Grenze zwischen Ost und West fließender wird. Polen sollte es daher daran gelegen sein, seine Zugehörigkeit zum Westen systematisch zu bekräftigen und den Konflikten mit Brüssel ein Ende zu setzen, so Rafał Kalukin in “Polityka”. 

Autor: Adam de Nisau