Rzeczpospolita: Ukrainer werden Johnson vermissen
Der angekündigte Rücktritt von Premierminister Boris Johnson könnte sich negativ auf die Situation der Ukraine im Krieg gegen Russland auswirken, prognostiziert in seinem Kommentar für die konservativ-liberale Rzeczpospolita der Publizist Jędrzej Bielecki. Es, so der Autor, sei nicht ausgeschlossen, dass Polen bald der einzige große europäische Staat sein wird, der einen harten Kurs gegenüber Russland forciert. Boris Johnson habe die Ukrainer in seiner Rede zwar versichert, dass Großbritannien nicht auf die Führungsrolle im Kampf des Westens gegen den russischen Imperialismus verzichten werde. Doch ob dies tatsächlich stimme, bleibe offen.
Es sei wahr, so Bielecki, dass Johnson die Briten in Bezug auf den Brexit enttäuscht, mitten in der Pandemie, trotz Lockdown, gefeiert und permanent gelogen habe. Doch in Bezug auf die Ukraine habe Johnson eine außergewöhnlich konsequente und weitsichtige Politik geführt, Kiew mit ernsthaften Waffenlieferungen unterstützt und den Westen zu härteren Sanktionen mobilisiert. Im Gegensatz zu Macron oder Scholz habe er nicht versucht, mit Putin zu sprechen. Eine Änderung dieser Politik Londons, so Bielecki, hätte umso schwerwiegendere Folgen, da sich auch in Washington die Zweifel mehren, ob man mit Moskau weiterhin so hart spielen sollte.
Vieles hänge nun also davon ab, wer Johnson auf dem Posten des Regierungschefs ersetzen werde. Außenministerin Liz Truss etwa, habe gegenüber Russland einen noch schärferen Kurs vertreten als Johnson. Sie sei allerdings nur eine von mehreren Kandidaten, die den Vorsitz in der Partei der Konservativen übernehmen könnten. Ihre Rivalen, wie der mittlerweile ehemalige Schatzminister Rishi Sunak oder sein Nachfolger Nadhim Zahawi, hätten da schon andere Prioritäten, wie etwa den Kampf gegen die nahende Wirtschaftskrise. Und dies würde sie gegenüber Moskau kompromissbereiter machen.
So oder so, werde Großbritannien nun vor allem mit sich selbst beschäftigt sein. Zudem werde der neue Regierungschef viel Zeit brauchen, um sich so stark zu profilieren wie Johnson, wenn er es überhaupt je schaffe. Das Schicksal der Ukraine werde sich indes in den kommenden Monaten entscheiden.
All dies bedeute, dass Polen in seiner harten Linie gegenüber Russland immer einsamer werden könnte. Die Krise auf den Inseln bringe jedoch auch eine andere Lektion für Warschau mit sich. Angesichts der nahenden Wirtschaftsturbulenzen seien die Wähler offenbar immer weniger tolerant gegenüber Politikern, die sie betrogen und statt der versprochenen goldenen Berge einen Einbruch des Lebensstandards herbeigeführt hätten. Dies könne der Anfang einer Welle sein, die auch andere Regierungen in Europa wegfege, darunter vielleicht auch die aktuelle Regierungskoalition an der Weichsel, so Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita.
Gazeta Wyborcza: Wenn Lügen nur jeden Premier zum Sturz bringen würden…
Geht es indes nach dem Publizisten der linksliberalen Gazeta Wyborcza, Bartosz Wieliński, zeige der Sturz der Regierung Johnson einen wichtigen Unterschied zwischen Polen und Großbritannien. Sowohl Johnson, als auch Polens Premierminister Mateusz Morawiecki, schreibt Wieliński, würden ihre Gesellschaften systematisch belügen. Doch in Großbritannien habe es der populistische Regierungschef nicht geschafft, das politische System so umzubauen, dass dessen Fähigkeit zur Selbstreinigung eliminiert wird. Der britische Premier, lesen wir, habe seit Monaten versucht, den Konsequenzen seiner Fehltritte zu entgehen. Letztendlich hätten sie ihn jedoch eingeholt. In Polen sei seit Jahren klar, dass die Recht und Gerechtigkeit die Sicherungen aus dem System eliminiert, um sich Straflosigkeit zu sichern. So sei beispielsweise niemand für das Chaos rund um die abgesagten Fernwahlen in der Pandemie, den Kauf von Beatmungsgeräten von einem Waffenhändler oder die Niederlage des Staats im Kampf gegen die Pandemie zur Rechenschaft gezogen worden. Unter dem Schutzschirm der gleichgeschalteten Medien und der Institution, die einst Verfassungsgericht genannt wurde, könne die Regierungspartei in Ruhe auf die nächsten Parlamentswahlen warten, so Bartosz Wieliński in der Gazeta Wyborcza.
Gazeta Polska Codziennie: Putins Marionetten attackieren im Cyberraum
Und die regierungsnahe Gazeta Polska Codziennie widmet den Aufmacher ihrer heutigen Ausgabe russischen Cyberangriffen auf Polen. ‘Es würden ständig neue Angriffe und Desinformationskampagnen identifiziert, hinter denen russische Geheimdienste stehen würden, so das Blatt auf seiner Titelseite. Ziel seien sowohl polnische Medien, Politiker, als auch normale Internetnutzer. In dem Artikel stellt das Blatt auch die neuerliche Veröffentlichung einer E-Mail des Chefs der Kanzlei des Premierministers, Michał Dworczyk an den Regierungschef als Teil einer gegen Polen gerichteten Kampagne der GRU dar. Die E-Mail, in der von Konsultationen mit der Vorsitzenden des Verfassungsgerichts die Rede ist, hatte erneut die Debatte rund um die Rechtsstaatlichkeit und die Gewaltenteilung in Polen angeheizt. “Das ist Teil dieses Szenarios, das die russischen Geheimdienste geschrieben haben. Das ist ganz offensichtlich. Ich verstehe, dass es die Rolle von Journalisten ist, zu fragen, aber im Falle von Politikern sollte das Bewusstsein dieser Problematik viel ausgeprägter sein. Es gibt nur einen Feind. Und dieser Feind ist heute Russland. Wenn jemand ein Sprachrohr für das ist, was russische Dienste sagen, dann schadet er eindeutig Polen”, zitiert Gazeta Polska Codziennie den Staatssekretär in der Kanzlei des Premierministers Janusz Cieszyński.
Autor: Adam de Nisau