Rzeczpospolita: Putin setzt Deutschland unter Druck
Putin holt zu einem Schlag gegen Deutschland aus, schreibt im Aufmacher der aktuellen Ausgabe der konservativ-liberalen Rzeczpospolita der Publizist Jędrzej Bielecki. Offiziell, erinnert der Autor, soll die heute beginnende Wartung von Nord Stream 1 und der damit verbundene Gaslieferstopp 10 Tage dauern. Doch in Berlin wachse die Überzeugung, dass die Pipeline auch nach dieser Frist geschlossen bleibt. Putin, so Bielecki, wolle jetzt zuschlagen, da er wisse, dass Deutschland, das den Anteil von russischen Gasimporten seit Jahresbeginn von 52 auf 35 Prozent gesenkt habe, einen solchen Schlag mit jedem Monat weniger spüren würde. Ein sofortiger Gaslieferstopp würde Berlin indes die Auffüllung der Gasmagazine für den Winter, die derzeit zu nur 62 Prozent gefüllt seien, erheblich erschweren. Zudem würde der Abbruch von Gaslieferungen an Deutschland nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa eine große Belastung darstellen. Bisher, so Bielecki, hätten schon 10 EU-Staaten Brüssel benachrichtigt, dass sie wegen Russland einen Einbruch ihres Energiemarktes befürchten. Und auch für Polen wäre ein Lieferstopp an Deutschland eine Herausforderung. Denn Warschau würde Deutschland zwar nicht ohne Grund für dessen auf billigen russischen Rohstoffen basierendes Entwicklungsmodell kritisieren. Doch gleichzeitig habe Polen als wichtigster Zulieferer der deutschen Exportmaschine indirekt jahrelang von eben diesem Modell selbst profitiert. Fast 29 Prozent der polnischen Exporte würden an Deutschland gehen. Nun könne dieser Mechanismus einbrechen und auch Polen in eine tiefe Wirtschaftskrise stürzen. Den höchsten Preis könnte aber die Ukraine zahlen, falls Deutschland auf Frieden mit Russland auf Kosten von territorialen Konzessionen drängen sollte, um die drohende Wirtschaftskrise abzuwenden, so Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita.
Gazeta Polska Codziennie: Berlin macht erneute Bresche in EU-Sanktionen gegen den Kreml
Die regierungsnahe Gazeta Polska Codziennie prangert in der heutigen Ausgabe indes die Lieferung der in Kanada gewarteten Turbinen für Nord Stream 1 an Deutschland an. Es, so die Zeitung, sei eine weitere Bresche in den Sanktionen gegen Russland, die Kanada auf ausdrücklichen Druck aus Berlin geschlagen habe. Zudem setze sich Deutschland auch für die Lockerung von Sanktionen gegen Russland in anderen Bereichen ein, was unter anderem beim Streit um den Warentransit aus Russland nach Kaliningrad über litauisches Staatsgebiet zu sehen sei. Litauen, lesen wir, habe die Einschränkungen in Übereinstimmung mit den zuvor verabschiedeten Sanktionen eingeführt. Nun appelliere Bundeskanzler Scholz an Vilnius und Brüssel jedoch, den Transit nach Kaliningrad plötzlich von der Liste zu streichen. Wie Vize-Außenminister Piotr Wawrzyk betont, verdiene Litauen in dieser Frage die volle Unterstützung der EU, da es nur das einführe, worauf sich alle zuvor geeinigt hatten. Solche Versuche, weitere Ziegel aus der Sanktions-Mauer zu ziehen, würden Russland nur dazu ermutigen, sein Engagement in den Krieg in Osteuropa zu vergrößern, fügt im Gespräch mit dem Blatt der Europaabgeordnete der Regierungspartei PiS Ryszard Czarnecki hinzu.
Rzeczpospolita: Einstimmigkeit oder Mehrheit?
Und noch eine Analyse aus der Rzeczpospolita. Vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine würden in der EU in letzter Zeit die Rufe danach lauter, im Entscheidungsprozess das Prinzip der Einstimmigkeit durch das der Mehrheit zu ersetzen, beobachtet der Politologe Marek Cichocki. Laut den Befürwortern einer solchen Lösung, so der Autor, würde dies beispielsweise helfen, Russland schneller mit Sanktionen zu belegen, da einzelne Staaten die Entscheidung nicht mehr blockieren könnten. Doch die Situation sei nicht so einfach, betont Cichocki. Das Prinzip der Einstimmigkeit, lesen wir, sei der Ausdruck des eingeschränkten gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Außen- und Sicherheitspolitik und diene daher auch als ein Garant für die Einheit der Gemeinschaft. Die Einführung des Mehrheitsprinzips in sensiblen Bereichen könnte dagegen den Anstoß zu Desintegrationsprozessen geben. Nur ein Beispiel dafür sei die Durchsetzung einer Mehrheitsabstimmung zur Relokation von Flüchtlingen durch Deutschland im Jahre 2015. Dies habe zu so großen Spaltungen zwischen den EU-Staaten geführt, dass es bis heute schwer sei, diese wieder zuzuschütten. Die versprochene Effektivität könne sich also schnell vor allem als effektive Destruktion entpuppen. In gewissen Bereichen brauche die EU eben das Prinzip der Einstimmigkeit. Es sei sicherlich ein schwierigerer Weg der Entscheidungsfindung. Doch nur so lasse sich das erhalten, was für die EU von Schlüsselbedeutung sei. Und zwar die Einheit, so Marek Cichocki in der Rzeczpospolita.
Autor: Adam de Nisau