Deutsche Redaktion

“Deutschland sollte die Hilfe Polens, Großbritanniens und der USA für die Ukraine jetzt übertreffen”

22.09.2022 13:25
Wie wird die Teilmobilisierung von russischen Soldaten den Kriegsverlauf beeinflussen? Diese Frage ist auch ein führendes Thema in der polnischen Presse.
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Rzeczpospolita: Putin setzt alles auf eine Karte

Putin überrascht die westlichen Analytiker leider immer wieder auf's Neue, urteilt in seinem Kommentar für die konservativ-liberale Rzeczpospolita der Publizist Rusłan Schoschyn. Im Februar 2014, erinnert Schoschyn, hätten zahlreiche Russland-Experten nicht geglaubt, dass Putin die Krim annektieren wird. Wie sich einige Wochen später herausgestellt habe, zu Unrecht.  

Auch Anfang Februar 2022 habe man trotz besorgniserregender Berichte der US-Geheimdienste immer wieder hören können, dass Putin keinen großen Krieg mit der Ukraine wagen wird. Die wenigen, pessimistischeren Stimmen seien als "Panikmache" ignoriert worden. Die Folge: Die Ukraine habe keine schweren Waffen erhalten, bis die Ukrainer die Russen selbst aus Kiew vertrieben hätten. 

Später, lesen wir weiter, hätten wir gehört, dass Putin aus Angst vor der Reaktion seiner Bürger keine Mobilisierung ankündigen wird. Nun habe der russische Staatschef an nur einem Tag die Vorschriften geändert und die Flucht vor einer Einberufung strafbar gemacht. Einen Tag später sei die Teilmobilisierung verkündet worden. Viele Experten hätten zudem gemeint, dass Putin nicht in der Lage sein werde, Pseudo-Wahlen in den besetzten Gebieten abzuhalten. Und doch würden diese bereits am Freitag beginnen.

Schließlich habe Putin in seiner Rede zur landesweiten Teilmobilmachung auch erneut mit Atomwaffen gedroht. Und wieder, so der Autor, würden viele Experten voraussichtlich beruhigen, dass Putin der Welt nur Angst machen wolle.

Die bisherigen falschen Annahmen und Analysen, so Schoschyn, würden zeigen, wie unberechenbar Putin sei. Und dies bedeute, dass jedes Szenario möglich sei. Denn aus Syrien könne sich der Kremlchef jederzeit unbemerkt zurückziehen. Im Krieg gegen die Ukraine, setze er jedoch alles auf eine Karte. Mit der Teilmobilisierung  habe Putin einen höheren, vielleicht sogar bereits vorletzten Gang eingelegt, so Rusłan Schoschyn in der Rzeczpospolita.

PAP: “Deutschland sollte die Hilfe Polens, Großbritanniens und der USA für die Ukraine jetzt übertreffen”

Die Entscheidung des Kreml-Regimes, russische Reservisten teilweise zu mobilisieren, könnte die Haltung der Mehrheit der russischen Bevölkerung zur laufenden Invasion verändern, sagt der Soziologe und Präsidentenberater Andrzej Zybertowicz in einem Gespräch mit der polnischen Presseagentur PAP. Das Interview wird von zahlreichen polnischen Medien zitiert.

Als Soziologe, so Zybertowicz, frage er sich, ob Putin nicht zufällig über sein Ziel hinausgeschossen sei. Viele Russen hätten bis jetzt Angst gehabt, ihren Widerstand zu äußern, weil sie mit Verhaftungen und dem Verlust ihres Jobs rechnen mussten. Mit der Mobilisierung habe Putin jetzt aber mehrere hunderttausend Russen in Lebensgefahr gebracht. Die Russen würden damit nun zwischen der Angst vor Protesten stehen und der Angst, in einem dummen Krieg zu sterben.

Die Entscheidung der Behörden der Marionettenrepubliken in Donezk und Luhansk, "Referenden" über den Anschluss an Russland abzuhalten, deute er wiederum als Beweis für die Niederlage der imperialen Pläne Russlands und die positive Entwicklung der ukrainischen Offensive. Es sei auch ein Signal, dass weitere militärische Hilfe für die Ukraine notwendig sei. Vor allem Deutschland, Frankreich und Italien müssten nun aufholen und die Unterstützung Großbritanniens, der USA und Polens vielleicht gar überholen. Das Argument, dass die Bundeswehr ihre Fähigkeiten zum Waffentransfer ausgeschöpft hat, nehme er Berlin nicht ab. Deutschland habe keine gemeinsame Grenze mit Russland und könne daher seine gesamte militärische Ausrüstung weitergeben.

Der Westen müsse den Preis für den Sieg über Russland zahlen. Dazu würden auch höhere Heizkosten für Wohnungen gehören. Wenn wir die vorübergehende Abkühlung von Wohnungen in Kauf nehmen müssen, dann müsse dieser Preis um des Friedens Willen gezahlt werden, so der Berater des Staatspräsidenten Präsidenten im Gespräch mit PAP.

Autor: Piotr Siemiński