Deutsche Redaktion

"Polen sollten sich nicht über die Ukraine ärgern"

17.11.2022 12:02
Falls sich bestätigen sollte, dass der Grund für den Tod von zwei polnischen Zivilisten an der Ostgrenze des Landes eine ukrainische Flugabwehrrakete gewesen sei, liege es nicht im nationalen Interesse, dadurch das Bündnis zwischen Warschau und Kiew zu gefährden, schreibt Michał Szułdrzyński am Donnerstag in der Rzeczpospolita.
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Rzeczpospolita: Polen sollten sich nicht über die Ukraine ärgern 

Falls sich bestätigen sollte, dass der Grund für den Tod von zwei polnischen Zivilisten an der Ostgrenze des Landes eine ukrainische Flugabwehrrakete gewesen sei, liege es nicht im nationalen Interesse, dadurch das Bündnis zwischen Warschau und Kiew zu gefährden, schreibt Michał Szułdrzyński am Donnerstag in der Rzeczpospolita.

Wie sollten somit Polen auf diese Tragödie reagieren? Geht es nach dem Autor müsse man vor allem daran denken, dass sich diese Tragödie nicht ereignet hätte, wenn Russland keinen Angriffskrieg gegen die Ukraine führen würde. Dort herrsche regelrechter Krieg. Täglich fallen dort Bomben und Raketen. Die Ukrainer hätten deshalb das Recht, sich mit allen Mitteln gegen einen Angriff Russlands zu verteidigen. Am Dienstag, lesen wir, hätten die Russen zudem ihren größten Raketenangriff auf die Ukraine gestartet. Darunter auf Städte nahe der polnischen Grenze. Eine feige Rache, so der Autor, für die Befreiung der wichtigen Stadt Cherson durch die ukrainische Armee.

Die Tatsache, dass eine Rakete der Ukraine auf Polen gefallen sei, bleibe eine schreckliche Tragödie. Genau wie der Tod von Zivilisten. Polen könne diese Tragödie natürlich nicht verdrängen. Dies wäre aber nicht passiert, wenn die Russen es nicht gewagt hätten, heißt es weiter, einen massiven Angriff auch auf Regionen nahe der polnischen Grenze zu wagen.

Geht es nach Szułdrzyński gebe es in Polen leider bereits Stimmen, die diese Tragödie nutzen wollen, um Polen und die Ukraine zu spalten. Sowas würde Polens Staatsraison absolut schaden, heißt es im Blatt. Und zwar aus zwei Gründen. Erstens käme es nicht zu solchen Zwischenfällen, wenn Russland sich endgültig aus dem ukrainischen Gebiet zurückziehen würde.

Zweitens bleibe es im Interesse Polens, die Ukraine in ihrem Krieg gegen Russland auf jede erdenkliche Weise zu unterstützen. Indem die Ukrainer ihre Unabhängigkeit verteidigen, schützen sie auch den Westen, einschließlich Polen. Deshalb sollte Polens Reaktion auf die Tragödie in Przewodów nicht darin bestehen, der Ukraine Vorwürfe zu machen, glaubt der Autor, sondern sie noch stärker zu unterstützen.

Sollte sich das von den polnischen Behörden am Mittwoch vorgestellte Szenario über eine ukrainische Flugabwehrrakete letztlich bestätigen, sollte die Ukraine aber auch in der Lage sein, die Verantwortung für diese Tragödie zu übernehmen. Auf diese Weise würde sie den anti-ukrainischen Stimmen in Polen keinen Zündstoff liefern, so Szułdrzyński abschließend in der Reczpospolita. 

DGP: Warum die Version der NATO und der Ukraine so unterschiedlich ist 

Dass eine „verirrte" Rakete irgendwann auftauchen würde, sei den Behörden in Warschau seit dem 24. Februar klar gewesen, schreibt indes Dziennik/Gazeta Prawna.

Der Vorfall an der Ostgrenze Polens habe die Diskussion darüber, wie man dies verhindern könne, nur beschleunigt. Fliegende Raketen - egal von wem - seien schon allein für die zivile Luftfahrt gefährlich, schreibt Zbigniew Parafianowicz in seinem Kommentar für das Blatt.  Experten zufolge sollte die polnische Luftverteidigung deshalb auch einen Teil des ukrainischen Territoriums schützen, lesen wir.

Bis heute laute die offizielle Version der NATO, es handle sich um Eigenbeschuss verbündeter Streitkräfte. Man könne jedoch nicht vor dem Problem weglaufen. Es könnte noch mehr solcher Vorfälle geben, überzeugt Parafianowicz. Und sie könnten auch russische Raketen betreffen, die Moskau nicht bestreiten würde.

Solange die Aufmerksamkeit der Welt auf Polens Ostgrenze gerichtet sei, bestehe auch die Chance, fährt der Autor fort, die NATO-Verbündeten davon zu überzeugen, dass Polen nicht nur mehr Truppen aus den Bündnisländern, sondern auch Flugabwehrsysteme brauche. Am Dienstag hätten dort alle den Atem angehalten. Der Zwischenfall, lesen wir, hätte für sie möglicherweise zu einem Krieg führen können. Dem Autor zufolge könne das Risiko aber leicht verringert werden. Russische Raketen könnten mit NATO-Systemen auch über dem Territorium eines Landes zerstört werden, lesen wir, das nicht der NATO angehört.

In dem ganzen Durcheinander gebe es nur ein Problem, schreibt Parafianowicz. Kiew fordere Beweise dafür, dass die Rakete aus der Ukraine stammt. Präsident Wolodymyr Selenskyj, der Leiter des Verteidigungsministeriums und der Leiter des Außenministeriums würden immer noch behaupten, dass die Russen die Rakete abgefeuert hätten. Der Autor frage sich deshalb, ob die wichtigsten Personen des ukrainischen Staates ihre Autorität nicht aufs Spiel setzen, um eine Lüge zu reproduzieren. Falls sie lügen oder manipulieren, heißt es, würden sie es riskieren, ihre Glaubwürdigkeit ganz zu verlieren. Der Nachweis, dass eine russische Rakete in Polen eingeschlagen sei, würde der Ukraine andererseits sehr helfen.

Wie Parafianowicz erinnert, fordere Kiew seit Monaten vom Westen, den Luftraum über ukrainischem Territorium zu schließen. Der Vorfall an der Ostgrenze Polens sei deshalb auch eine ideale Gelegenheit, heißt es am Schluss, um auf dieses Thema zurückzukommen. Trotz der Zusicherungen der polnischen Behörden sei der Vorfall an der Grenze Polens zur Ukraine alles andere als eindeutig, lautet das Fazit in der DGP.

 

Piotr Siemiński