Deutsche Redaktion

Das Erwachen Deutschlands

21.12.2022 10:49
Es sei erstaunlich, aber Deutschland verhalte sich in letzter Zeit wie einst Polen. Die Bundesrepublik erkenne sehr spät eigene Fehler und lerne daraus nur sehr mühselig, schreibt in der Tageszeitung Rzeczpospolita die Journalistin Iwona Trusewicz. 
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RZECZPOSPOLITA: Das Erwachen Deutschlands

Die Bundesregierung sei erst dann aufgewacht, als die Russen die Gaslieferungen eingestellt hätten. Bis zu diesem Zeitpunkt habe Berlin die steigende Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft vom russischen Gas nicht erkannt. Auf eine solche Entdeckung sei Deutschland aber völlig unvorbereitet gewesen, denn es habe an jegliche Infrastruktur gefehlt, die es ermöglichen würde, Gas aus anderen Richtungen zu kaufen. Erst wenn es kritisch wurde, habe die Bundesrepublik in nur sechs Monaten ein LNG-Terminal gebaut. Die in der DDR erzogene Bundeskanzlerin habe nach Ansicht von Trusewicz so stark an ihre zivilisatorische Mission gegenüber Moskau geglaubt, dass sie während ihrer 13-jährigen Amtszeit den Bau eines LNG-Terminals blockiert habe. In dieser Zeit hätten sich für eine solche Investition Länder wie die Niederlande, Großbritannien, Frankreich, aber auch Litauen und Polen entschlossen. Deutschland aber habe weiterhin an russische Röhre geglaubt. Durch Nord-Stream sei billiges Gas in die Bundesrepublik geflossen. Die Preise seien selbstverständlich viel niedriger gewesen, als jene, die die gegenüber Russland unhöflichen Länder wie Litauen oder Polen zahlen mussten. Der niedrige Preis sei offensichtlich eine Falle gewesen, Deutschland habe nach und nach die eigene energetische Unabhängigkeit verloren. Und gerade dann habe sich Angela Merkel entschieden, die AKW’s in der Bundesrepublik zu schließen. Die Deutschen hätten sich gefreut, dass sie so umweltfreundlich handeln. Und Putin konnte mit Freude zusehen, wie sich sein Plan wie von selbst realisiere. Um die Abhängigkeit von Moskau zu krönen, habe Berlin noch den Vertrag über den Bau von Nord-Stream-2 unterzeichnet. Schöner hätte es sich Putin nicht ausdenken können.

Erst nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, hätten viele westeuropäische Politiker, darunter auch deutsche, das wahre Gesicht des russischen Tyrannen erkannt. Plötzlich habe Berlin das nötige Geld gefunden, um LNG-Terminals zu bauen. Interessant sei, fügt die Autorin abschließend hinzu, dass die deutsche Gesellschaft die Situation nüchterner und bewusster eingeschätzt habe, als die politischen Eliten. Den neusten Meinungsumfragen sei zu entnehmen, dass ein Großteil der Deutschen sich dessen bewusst sei, dass die energetische Unabhängigkeit, die Freiheit der Ukraine und die Abrechnung mit den russischen Kriegsverbrechen ihren Preis haben müssten. Und diesen Preis sei auch ein großer Teil der Deutschen bereit zu zahlen. Diejenigen, die diese Ansicht nicht teilen und nicht mögen im Winter zu frieren können doch nach Kaliningrad umziehen. Dort sei es bestimmt billiger, wärmer und netter. Wie immer in Russland spottet Iwona Trusewicz in der Rzeczpospolita. 

DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Russland sollte komplett isoliert werden 

In einem Gespräch mit dem Blatt Dziennik/Gazeta Prawna nimmt der Vize-Außenminister, Professor Piotr Wawrzyk Stellung zu einer eventuellen Rückkehr zu der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland. Viele westeuropäische Politiker würden sich eine schnelle Rückkehr zu „Business as usual“ wünschen, stellt der Politiker fest. Polen vertrete aber die Meinung, dass eine Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Beziehungen erst dann möglich sei, wenn Russland das ukrainische Territorium, inklusive der Halbinsel Krim verlassen habe. Nach Ansicht von Wawrzyk gäbe es vor allem in Frankreich und Deutschland einige Politiker, die immer noch nicht verstanden hätten, was am 24. Februar eigentlich passiert ist. Diese Politiker würden stets davon ausgehen, dass Putin Russlands Präsident sei, und dass man mit ihm so sprechen sollte, als ob nichts passiert wäre. Die polnische Haltung sei in dieser Hinsicht eine andere, und zwar, dass man mit Verbrechern nicht diskutieren dürfe.

Wawrzyk habe auch Stellung zu der Wirksamkeit der von der EU eingeführten Sanktionen bezogen. Man müsse in den Diskussionen auf der europäischen Ebene nach einem Kompromiss suchen, daher seien die eingeführten Regelungen sanfter, als es sich die Regierung in Warschau eigentlich wünschen würde. Mit seinen Handlungen habe Russland bewiesen, dass es in wirtschaftlichen Beziehungen komplett isoliert werden sollte, so Vize-Außenminister Piotr Wawrzyk in der Tageszeitung Dziennik/Gazeta Prawna. 

TYGODNIK POWSZECHNY: Demografisches Desaster 

Eine polnische Frau werde im Leben eher ein Kind als zwei zur Welt bringen – dies geht aus neuen soziologischen Studien hervor, lesen wir in der neuen Ausgabe der Wochenzeitschrift Tygodnik Powszechny. Die sozialen Programme der aktuellen Regierung hätten den beunruhigen Trend nur kurzfristig gestoppt. Die zusammengefasste Fruchtbarkeitsziffer betrage momentan in Polen 1,32, eine optimale Entwicklung sichere einer Gesellschaft aber erst der Stand von 2,1. Höchstwahrscheinlich werde sich auf die polnische Demografie die Tatsache positiv auswirken, dass ein Teil der ukrainischen Kriegsflüchtlinge in Polen für immer bleiben werde. Doch die sozialen Programme hätten sich in einer Langzeitperspektive als unwirksam erwiesen. Die Zahl der Minderjährigen im Rahmen der Gesellschaft sei in den vergangenen 50 Jahren um die Hälfte zurückgegangen. So dramatisch sei die Lage noch nie gewesen, stellt das Magazin fest.

Beunruhigend sei auch die Situation der jungen Menschen. Viele würden Gewalt entweder zu Hause oder in der Schule erfahren. Sehr hoch sei die Zahl der Selbstmordversuche unter Jugendlichen – im vergangenen Jahr seien es um die 1500. Im europäischen Vergleich sei die Situation nur in der Bundesrepublik schlechter als in Polen, alarmiert Tygodnik Powszechny.


Jakub Kukla