Deutsche Redaktion

Patriots für die Ukraine: "Blamage der Opposition" vs. "Lügen der Regierungspartei"

09.01.2023 13:14
Die neue Qualität in den westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine ist natürlich auch in Polen ein wichtiges Thema der Pressekommentare. Und ein weiterer Zankapfel zwischen regierungsnahen und oppositionsnahen Kommentatoren. Außerdem geht es auch um aus polnischer Sicht teils schockierende Einsichten aus einem aktuellen Bericht zur Erinnerung an den Nationalsozialismus in Deutschland. 
- Doprowadziliśmy do tego, że Ukraina otrzyma system Patriot - mówił w sobotę w Warszawie szef MON Mariusz Błaszczak. Naszym celem jest to, żeby na południowym wschodzie graniczyć z niepodległą Ukrainą, a nie z Rosją - dodał.
- Doprowadziliśmy do tego, że Ukraina otrzyma system Patriot - mówił w sobotę w Warszawie szef MON Mariusz Błaszczak. Naszym celem jest to, żeby na południowym wschodzie graniczyć z niepodległą Ukrainą, a nie z Rosją - dodał.Shutterstock/Mike Mareen

Dziennik/Gazeta Prawna: Wettlauf um die Aufrüstung der Ukraine

Schon in wenigen Wochen werde Berlin drei Patriot-Batterien nach Polen schicken. Dabei werde es sich voraussichtlich um 12 Raketenwerfer handeln, schreibt das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. Gleichzeitig, so das Blatt, sei auch der Wettlauf um die Aufrüstung der Ukraine in vollem Gange, dessen Ziel die Stärkung der ukrainischen Streitkräfte sei, bevor Russland neue mobilisierte und ausgebildete Soldaten an die Front schicken könne. Die Franzosen, gefolgt von den Amerikanern und den Deutschen, erinnert die Zeitung, hätten bereits die Übergabe von Spähpanzern, Schützenpanzern und Patriot-Batterien angekündigt. Auch der griechische Verteidigungsminister Nikolaos Panajotopoulos habe erklärt, dass Athen, um das Tempo der Lieferungen an Kiew zu erhöhen, auf eine rasche Auslieferung der von Griechenland bestellten deutschen Fahrzeuge verzichten kann. Gehe es nach “Wall Street Journal”, sei die Beschleunigung und neue Qualität der Lieferungen eine Folge des gestiegenen Vertrauens in die Ukraine und in ihre Fähigkeit, die gespendete Ausrüstung effektiv einzusetzen. Auch Polen erwäge, wie das Blatt berichtet, in Kooperation mit den Bündnispartnern Leopard-2-Panzer an die Ukraine zu übergeben. Näheres könnte, laut Premierminister Mateusz Morawiecki, in den kommenden Tagen bekannt werden. Ukraines Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj habe die Ankündigungen der westlichen Partner in seinem täglichen Video-Auftritt als Folge seiner USA-Visite bezeichnet. Weitere wichtige Entscheidungen könnten vielleicht noch in diesem Monat beim 8. Treffen im Rammstein-Format fallen, in das 49 Staaten engagiert seien, die Kiew unterstützen, so Dziennik Gazeta Prawna. 

Gazeta Polska Codziennie: Blamage der Opposition in Bezug auf Patriots

Die Entscheidung der USA und Deutschlands, nun doch Patriot-Raketen in die Ukraine zu liefern, sorgt in Polen auch für Sticheleien zwischen regierungsnahen und regierungskritischen Kommentatoren. So schreibt die regierungsnahe Gazeta Polska Codziennie im heutigen Aufmacher von einer Blamage der “totalen Opposition” in Bezug auf die Patriots. Dem Untertitel zum Aufmacher kann man entnehmen, dass die USA mit der Lieferung von Patriots die Idee von PiS-Chef Kaczyński realisieren. Im dazugehörigen Artikel erinnert die Zeitung an all die Stimmen aus der Opposition, die überzeugt hätten, dass der Gegenvorschlag der Regierungspartei, laut der Deutschland seine Patriot-Batterien statt nach Ostpolen besser in die Westukraine verlegen sollte, in der NATO für Verstimmungen gesorgt hat und Polens Sicherheit gefährdet. Nun, so die Zeitung, würden sich all diese Politiker und Experten in Schweigen hüllen und Interviewanfragen ignorieren. “Alles, was die deutsche Seite sich ausdenkt, nimmt unsere Opposition als Dogma an und polemisiert nicht damit”, kommentiert den Streit der PiS-Abgeordnete und Vizechef des parlamentarischen Ausschusses für Verteidigungsfragen Piotr Kaleta. Für ihn, so Kaleta, sei es erschreckend, dass diese Politiker einst für die Sicherheit unserer Heimat verantwortlich waren. Diese Menschen würden nicht verstehen, worin Polens Staatsinteresse bestehe, so der Politiker. Geht es nach dem Politikwissenschaftler, Dr. Krzysztof Kawęcki, würde die Funkstille von Seiten der Opposition zeigen, dass diese Probleme mit selbstständigem Denken habe. Sie würde sicherlich ihre vorherige Haltung erklären wollen, aber erst nachdem sie sich auf eine Verteidigungslinie festgelegt habe, so Kawęcki im Gespräch mit Gazeta Polska Codziennie. 

Gazeta Wyborcza: PiS lügt erneut in Bezug auf Patriots

Die PiS lügt erneut in Bezug auf Patriots, schreibt indes in seiner Stellungnahme zu dem Konflikt für die linksliberale Gazeta Wyborcza der Publizist Bartosz Wieliński. Die Regierung, so Wieliński, versuche, die Wende bei den Waffenlieferungen aus dem Westen in “politisches Gold” im Kampf um Wählerstimmen umzumünzen. So hätten Regierungschef Morawiecki und Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak gestern verkündet, dass die Lieferung von Patriots an die Ukraine ihr Verdienst sei und die Opposition, die argumentiert habe, dass eine solche Lösung nicht möglich sei, sich blamiert habe. Dies, so der Publizist, sei eine vielschichtige Lüge. 

PiS-Chef Kaczyński, erinnert Wieliński, habe das deutsche Angebot zunächst abgelehnt, da die Verleumdungskampagne gegen Deutschland zu den wichtigsten Motiven der Wahlstrategie der PiS gehöre. Verteidigungsminister Błaszczak, der das Angebot in einer ersten Reaktion angenommen habe, habe anschließend versucht, sich aus der Zusage mit dem Vorschlag herauszuwinden, die Patriots in die Ukraine zu verlegen. Zur Erinnerung: Es handle sich um Raketenbatterien mit deutscher Besatzung. Die Regierung PiS habe gewusst, dass die Entsendung von Soldaten in die Ukraine für Deutschland den Kriegseintritt bedeuten würde. Und daher seien die Vorwürfe der Opposition, die PiS würde Unmögliches verlangen und Polen schwächen, gerechtfertigt gewesen. Erst nach einer Intervention der USA, lesen wir weiter, habe Staatspräsident Andrzej Duda schließlich, nach einem Treffen mit seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier in Berlin grünes Licht für die Verlegung der Patriots mit Besatzung nach Polen verkündet. 

Und dann erst, sei Ukraines Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj zwei Wochen später in Washington gewesen und habe dort offenbar die Zusage von US-Präsident Biden für Späh- und Schützenpanzer, Raketen westlicher Bauart, die von Raketenwerfern sowjetischer Produktion abgeschossen werden können sowie eben für die Patriot-Batterien erhalten. Diese würden von den NATO-Staaten ausgebildete Ukrainer bedienen. Morawiecki und seine Helfer würden also lügen, wenn sie sagen, dass man schon im November Patriots an die Ukraine hätte übergeben können. Und dass die Entscheidung von Biden sein Verdienst sei. Es sei Selenskyj gewesen, der Biden im Weißen Haus zu dieser Lösung überzeugt habe, nicht Morawiecki oder Błaszczak, so Bartosz Wieliński in der Gazeta Wyborcza. 

Rzeczpospolita: Vergessenes Leiden

Die emotionalen Reaktionen einiger deutscher Medien würden in starkem Kontrast zur in eisigem Ton gehaltenen offiziellen deutschen Antwort auf Polens diplomatische Note zu Kriegsentschädigungen stehen, beobachtet in seinem Autorenkommentar für die Rzeczpospolita der Politikwissenschaftler und Philosoph Marek Cichocki. So habe etwa Jacques Schuster in der “Welt” die polnische Regierung der Anstiftung zur Germanophobie und Heuchelei beschuldigt. Es, so der deutsche Publizist, sei fast eine Schurkerei seitens der polnischen Regierung, zu unterstellen, dass seine Nachbarn westlich der Oder das Leiden Polens vergessen haben. 

Es lohne sich, so Cichocki, über diese Stellungnahme nachzudenken, insbesondere im Lichte der so genannten MEMO-Berichte zu den Einstellungen der Deutschen gegenüber der Nazi-Vergangenheit, die jährlich die Universität Bielefeld veröffentliche. Die Lektüre sei wirklich interessant und stellenweise auch schockierend. So zeige der letzte Bericht aus dem Jahr 2021, dass die überwältigende Mehrheit der Deutschen der Meinung ist, relativ gut über die nationalsozialistische Vergangenheit ihres Landes informiert zu sein. Obwohl viele zugeben, dass ihre Vorfahren unter Hitlers Herrschaft gelebt haben, würden nur 35 Prozent anerkennen, dass diese Tatsache einen erheblichen Einfluss auf ihr Leben hat. Die meisten seien der Ansicht, dass das Wissen über die Straftaten unter den Deutschen während des Kriegs nicht verbreitet gewesen ist und dass sie vielmehr Opfer des Nationalsozialismus und nicht Täter waren. Zu den Opfern des Nazismus würden die Befragten verständlicherweise vor allem Juden (82,1 Prozent) zählen, gefolgt von Sinti und Roma (44,5 Prozent), Homosexuellen (28,8 Prozent), Vertretern der politischen Opposition (27,8 Prozent) sowie kranke Menschen und Personen mit Behinderungen (23,1 Prozent). Ungefähr 11 Prozent würden nicht wissen, was sie sagen sollen. Aber nur 4,8 Prozent der Teilnehmer würden auf Opfer des deutschen Nationalsozialismus unter Vertretern anderer nationaler Gruppen hinweisen. Dieser letzte Punkt sei ebenso schockierend wie aufschlussreich. Das Problem mit der Erinnerung an den Nationalsozialismus in Deutschland sei, dass sie zu einem eisenharten Punkt der Umerziehung der deutschen Gesellschaft in Bezug auf ihre eigenen internen politischen Haltungen geworden sei. Daher seien die Deutschen auch so empfindlich in Bezug auf Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit oder Diskriminierung. Doch diese Erinnerung würde, mit Ausnahme einer sehr kleinen Elite, fast überhaupt nicht in den Beziehungen zu Deutschlands Nachbarn, insbesondere gegenüber Polen existieren, so Marek Cichocki in der Rzeczpospolita. 

Autor: Adam de Nisau