Deutsche Redaktion

"Russland könnte seine Kräfte im Vergleich zu 2022 bald verdoppeln"

18.01.2023 12:03
Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu hat die Aufstockung der russischen Armee auf 1,5 Millionen Soldaten angekündigt. Und damit wohl auch eine weitere Mobilisierung, schreibt im heutigen Aufmacher der linksliberalen Gazeta Wyborcza der Publizist Bartosz Wieliński. Außerdem: Die Zahl von NATO-Soldaten und modernen Waffensystemen in Polen wächst systematisch. Und: Berlin sei offen für Polens Vorschläge, die Reparationsforderungen würden den beiderseitigen Beziehungen jedoch nicht helfen, sagt der deutsche Botschafter in Polen Dr. Thomas Bagger. Die Einzelheiten in der Presseschau.
Władimir Putin chce zreformować rosyjskąarmię - powiększyć ją i zmienić strukturędowodzenia
Władimir Putin chce zreformować rosyjską armię - powiększyć ją i zmienić strukturę dowodzeniaZuma Press/ FORUM

Gazeta Wyborcza: Anzeichen für neue russische Offensive

Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu hat die Aufstockung der russischen Armee auf 1,5 Millionen Soldaten angekündigt. Und damit wohl auch eine weitere Mobilisierung, schreibt im heutigen Aufmacher der linksliberalen Gazeta Wyborcza der Publizist Bartosz Wieliński. Es, so der Autor, sei das zweite Mal seit dem Beginn der Aggression gegen die Ukraine, dass Russland eine deutliche Stärkung seiner Streitkräfte ankündigt. Ende August habe Präsident Wladimir Putin, wie Wieliński erinnert, die Zahl der Soldaten per Dekret um 137 Tausend auf 1,15 Millionen Personen angehoben. Kurz darauf seien etwa 300 Tausend Männer in die Armee einberufen worden. Gestern habe Schoigu den Ausbau der Armee um weitere 450 Tausend Soldaten in Aussicht gestellt. Werde diese Ankündigung eine weitere Mobilisierungswelle nach sich ziehen? Die Pläne des russischen Verteidigungsministers würden sich zwar auf die kommenden Jahre beziehen, doch der ukrainische Geheimdienst würde schon seit Wochen warnen, dass Russland etwa eine halbe Million Männer in die Armee einziehen will. Falls diese Schätzung stimme, würde der Kreml bald über doppelt so große Kräfte verfügen, wie am Anfang der Invasion am 24. Februar 2022. Der Unterschied würde darin bestehen, dass Russland vor einem Jahr über vollständig geschulte Soldaten und Elite-Einheiten verfügte. Nun werde sich Moskau in hohem Maße auf Rekruten stützen. 

Von der Unvermeidbarkeit einer weiteren russischen Offensive würde laut dem amerikanischen Institute for the Study of War (ISW) unter anderem die Tatsache zeugen, dass Russland sowohl Soldaten, als auch Ausrüstung und Munition schone und spare. Die Einnahme von Soledar, einer kleinen Ortschaft im Donbass - also der einzige russische Erfolg an der Front seit Sommer letzten Jahres - sei dank den Söldnern der Wagner-Gruppe gelungen. Die Söldner, bei denen es sich mehrheitlich um uniformierte Häftlinge gehandelt habe, seien in Wellen auf die ukrainischen Positionen geschickt worden, ohne Rücksicht auf Verluste. Gehe es nach ISW, werde Russland im Donbass zuschlagen, um die Ankündigungen vom April letzten Jahres einzulösen und die ganze Region einzunehmen. Offen bleibe, ob Moskau die Ukraine, so wie im letzten Jahr, auch von belarussischem Staatsgebiet aus angreifen werde, wo es sein Militärkontingent stärke und Übungen mit belarussischen Soldaten durchführe. Ein Teil der Experten sei der Meinung, dass Russland auf diese Weise nur die Aufmerksamkeit der Ukraine davon ablenken wolle, was im Süden des Landes vor sich gehe, so Bartosz Wieliński in der Gazeta Wyborcza.

Dziennik Gazeta Prawna: NATO an der Weichsel immer stärker

Die NATO-Kontingente in Polen belaufen sich inzwischen auf etwa 12 Tausend Soldaten. An die Weichsel gelangen systematisch sowohl neue Truppen, als auch Ausrüstung, schreibt im heutigen Aufmacher das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. Den Großteil der NATO-Truppen, so die Zeitung, würden Amerikaner ausmachen. Aber es fehle auch nicht an britischen Soldaten. Zudem seien auch schon die ersten deutschen Soldaten, die die drei Patriot-Batterien bedienen sollen, ebenfalls in Polen eingetroffen. Insgesamt sollen bis Ende des Monats mindestens 150 Bundeswehrsoldaten nach Polen verlegt werden. Alle diese Truppen würden mindestens ein paar Monate, manche auch viele Jahre in Polen bleiben. Obwohl die NATO das NATO-Russland-Abkommen von 1997 nicht offiziell angefochten habe, laut dem auf dem Staatsgebiet der neuen NATO-Staaten, darunter Polen keine bedeutenden Streitkräfte stationieren sollten, würde sich de facto keine der Seiten mehr an den Vertrag halten. Zuerst habe Russland ihn verletzt, der Einmarsch in die Ukraine sei die Kulmination dieses Prozesses gewesen. Nun stocke auch die NATO ihre Kapazitäten an der Ostflanke auf. So könne man außer den Patriot-Luftabwehrsystemen in Polen auch immer mehr moderne Waffensysteme sehen: F22-Raptor-Kampfflugzeuge und schwere Waffen, wie die britischen Challenger 2 oder die amerikanischen Abrams-Panzer. Man könne annehmen, dass die alliierten Soldaten mindestens bis zum Ende des Kriegs in der Ukraine in Polen bleiben, vermutlich auch länger, so Dziennik/Gazeta Prawna. 

Polskie Radio 24: Deutscher Botschafter in Polen über Reparationen

In einem Interview für Polskie Radio 24 bezieht sich der deutsche Botschafter in Polen, Dr. Thomas Bagger unter anderem auf die neuesten Spannungen zwischen Polen und Deutschland rund um die Entschädigungsforderungen für den Zweiten Weltkrieg der polnischen Regierung. Geht es nach Bagger, würde der Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Zeitenwende auch eine gewisse Chance für die Verbesserung der beiderseitigen Beziehungen zwischen Polen und Deutschland nach sich ziehen. Deutschland würde kein Gas und Öl mehr aus Russland importieren und sich in die Militärhilfe für die Ukraine engagieren. In vielen Bereichen werde sich die Denkweise Deutschlands an die Polens daher annähern. In Berlin, so der Botschafter, habe man eingesehen, dass die Warnungen aus Polen und den baltischen Staaten, die seit Jahren an Deutschland appelliert hatten, sich nicht noch mehr in die Zusammenarbeit mit Russland zu verstricken, richtig gewesen seien, aber ignoriert wurden. Es gebe daher auch eine neue Bereitschaft in Berlin, der Stimme Polens und Polens Erwartungen sowie Vorschlägen, vor allem in Bezug auf die gemeinsame Sicherheitspolitik, Gehör zu schenken. Hier könnten beide Staaten große Erfolge erzielen. Er, so der Botschafter, sei jedoch nicht der Meinung, dass die beiderseitigen Beziehungen davon profitieren werden, dass die polnische Regierung jetzt eine neue Rechnung für historische Leiden ausstellt und dieses Thema ins Zentrum der deutsch-polnischen Beziehungen rückt. 

Und es gehe hier nicht nur darum, dass das Thema, nach Ansicht der Bundesregierung, juristisch abgeschlossen ist, sondern auch darum, dass seit diesem schrecklichen Krieg und der deutschen Besatzung drei Generationen vergangen sind. Heute würden wir, als Mitglieder der Europäischen Union und der NATO, in einer anderen Welt leben. Wir können das, was damals geschehen sei, nicht ungeschehen machen. Aber wir können zusammen unsere gemeinsame Zukunft gestalten. Es sei dieser Fokus auf die Zukunft, der einen Weg zu guten Beziehungen und einer guten Nachbarschaft darstelle. Er glaube nicht, dass das Beharren auf der Reparationsfrage diese Beziehungen verbessern könne. 

Es würde auch nicht reichen, zu sagen “wir hatten Recht”. Deutschland würde sich infolge des Kriegs in der Ukraine verändern und es sei Zeit, mehr miteinander zu sprechen, aber auch dafür, dass Polen seine Erwartungen definiert und sagt, was für einen Nachbarn und Verbündeten es haben wolle. Denn die Türen und Ohren in Berlin seien offen. Diese Chance könne jedoch auch verpasst werden. Statt also auf beiden Seiten die Karikatur des jeweils anderen zu zeichnen, sollten Polen und Deutschland mehr miteinander reden. Für ihn würde die aktuelle Krise eine Gelegenheit bieten, die Asymmetrie zu überwinden, in der Polen Deutschland oft aufmerksam beobachtet, Deutschland Polen indes nur als einen seiner Nachbarn betrachtet habe, so der deutsche Botschafter in Polen, Dr. Thomas Bagger im Gespräch mit Polskie Radio 24.

Autor: Adam de Nisau