Deutsche Redaktion

"Der Krieg in den Händen von Scholz"

20.01.2023 12:55
Auch die Augen der polnischen Presse sind heute auf Ramstein gerichtet. Wird sich Bundeskanzler Scholz dem internationalen Druck beugen? Wieso sind die Leopard-Panzer gerade jetzt so wichtig? Und: Lastet auf Deutschland eine besondere Verantwortung für die Verteidiger der freien Ukraine? Die Stimmungslage in der Presseschau.
Spotkanie w amerykańskiej bazie w Ramstein
Spotkanie w amerykańskiej bazie w RamsteinPAP/EPA/RONALD WITTEK

Rzeczpospolita: Der Krieg in den Händen von Scholz

Davon, welche Entscheidungen die Verteidigungsminister der NATO-Staaten heute treffen werden, hänge die Zukunft der Ukraine ab, schreibt in ihrem heutigen Aufmacher die konservativ-liberale Rzeczpospolita. “Nur wenn wir westliche Panzer erhalten, werden wir in der Lage sein, der nahenden Invasion russischer Panzer standzuhalten”, betonte Ukraines Staatspräsident Wolodymyr Zelenski am Mittwoch bei seiner Videoansprache in Davos. Das Ergebnis des Treffens in Ramstein, so die Zeitung, hänge jedoch von einem Land ab: Deutschland. Denn nur die in Deutschland hergestellten Leopard-Kampfpanzer könnten Selenskyjs´ Erwartungen erfüllen. Sie seien effektiv und würden sich in den Arsenalen von 13 Bündnisstaaten befinden. Kiew brauche eigenen Schätzungen zufolge 300 Panzer, um den Ausgang der nahenden Offensive zu verändern. Aber ohne die Zustimmung Berlins, würde keiner der Verbündeten Leopard-Panzer liefern können.

Der Druck auf Deutschland sei daher immens. Am Donnerstag habe der US-Verteidigungsminister Lloyd Austin den neuen deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius überzeugt, nicht nur der Lieferung von Leopard-Panzern durch Polen, Finnland oder Spanien zuzustimmen, sondern auch selbst Panzer zu liefern. Am Dienstag habe Scholz den gleichen Appell beim Telefongespräch mit Joe Biden gehört. Auf die Zustimmung Berlins würden das Europäische Parlament und der NATO-Generalsekretär drängen. Frankreich wolle eine eventuelle deutsche Initiative mit der Lieferung von Leclerc-Panzern für Kiew unterstützen. Die Briten würden Challenger-Panzer zur Verfügung stellen, Schweden Harpoon-Marschflugkörper, und Dänemark Archer-Haubitzen. Werde sich Scholz diesem Druck beugen? “Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir bis zum Ende der Woche Fortschritte in dieser Angelegenheit erzielen werden", zitiert CNN Quellen aus dem Umfeld von Austin.

Bisher habe Deutschland seine Waffenlieferungen jedoch eng mit den Amerikanern koordiniert, wie etwa bei den Patriots oder Kampffahrzeugen. Doch zur Lieferung von Abrams-Panzern seien die USA offenbar nicht bereit. Geht es nach Ex-Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak, sei daher ein Kompromiss wahrscheinlicher, bei dem die Deutschen selbst keine Panzer liefern werden, aber die Lieferung durch andere Staaten bewilligen. Die Süddeutsche Zeitung sei da zurückhaltender und glaube nur dann an ein grünes Licht, wenn auch die USA Kampfpanzer liefern. Eine solche Koordinierung der Unterstützung zwischen EU-Staaten und den USA habe sich zwar bisher gut bewährt. Doch Biden, der Militärhilfe für die Ukraine im Wert von 50 Milliarden Dollar in Gang gebracht habe, fordere Europa auf, einen größeren Teil der Unterstützung zu übernehmen. Zumal die Bedienung der Abrams-Panzer laut dem Pentagon zu kompliziert sei, so Rzeczpospolita. 

Gazeta Wyborcza: Alle Augen auf Ramstein

Das Argument, dass die Abrams-Kampfpanzer schwierig zu bedienen sind, sei eine typische Ausrede, die die Ukrainer schon viele Male gehört haben, als sie die NATO um schwere Waffen gebeten haben, schreibt in seiner Analyse für die linksliberale Gazeta Wyborcza der Publizist Bartosz Wieliński. Der wahre Grund für den Widerstand der Amerikaner sei eher, dass sie noch Argumente in der Hand behalten wollen, die sie in Zukunft nutzen könnten. Erwarte uns also ein Clinch, fragt Wieliński? Die bisherigen Treffen in Ramstein, lesen wir weiter, hätten stets zu wichtigen Zusagen geführt, wie etwa der Freigabe der Gepard-Flugabwehrpanzer oder der Lieferung von Panzerhaubitzen PzH 2000 und M270-Raketenwerfern. Nun würden die Verbündeten unter Zeitdruck agieren, da vieles auf eine baldige neue russische Offensive hindeutet. Der Angriff könnte im Februar stattfinden, falls die Minustemperaturen den Boden ausreichend festigen, um die Nutzung von Panzern zu ermöglichen. 

Falls Scholz einer Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine nicht zustimmen sollte, so der Publizist, würde die Ramstein-Konferenz mit einem Doppel-Fiasko enden. Die Ukraine würde keine modernen Panzer erhalten. Und in der NATO würde ein tiefer Riss entstehen. Scholz und Pistorius seien sich dessen sicherlich bewußt, so Bartosz Wieliński in der Gazeta Wyborcza. 

Gazeta Wyborcza: Geschichte und Strategie zwingen Deutschland, Leoparden in die Ukraine zu schicken

In der heutigen Ausgabe veröffentlicht die Gazeta Wyborcza auch einen offenen Brief des Oxford-Professors für Europäistik Timothy Garton Ash an Bundeskanzler Scholz. Auf Deutschland, so Ash, würde eine besondere Verantwortung für die Unterstützung der Verteidiger der freien, unabhängigen Ukraine lasten. Auch, um von einer eventuellen Aggression auf andere Staaten, wie etwa Taiwan, abzuschrecken. 

Ein Signal des strategischen Willens, diese Verpflichtung zu erfüllen, sollte das grüne Licht aus Berlin für die Lieferung von Leopard-2-Panzern an die Ukraine, aber auch die Lieferung von Kampfpanzern aus eigenen Beständen sein. Dies könne man als europäischen “Leopard”-Plan bezeichnen. Man dürfe nicht vergessen, dass die deutsche Rüstungsindustrie enorme Profite aus dem Verkauf von offensiven Waffen an verdächtige Regime auf der ganzen Welt schöpfe. Wieso sollte sie also nicht auch bei der Verteidigung der europäischen Demokratie vor dem neuen Hitler helfen? Eine Messlatte für den Mut Deutschlands sei die Fähigkeit Berlins, sich der nuklearen Erpressung Putins zu widersetzen, die eigenen Ängste zu überwinden und die freie Ukraine zu verteidigen. Die Rede von Bundeskanzler Scholz vom Mittwoch in Davos würde noch nicht von diesem Mut zeugen. Aber wenn sich Deutschland an die Spitze des “Leopard”-Plans stellen würde, würde Scholz die Führungsfähigkeit Deutschlands zeigen, die der ganze Westen mit Genugtuung begrüßen würde. Er würde damit auch die richtigen Schlüsse aus der neuen und neuesten Geschichte Deutschlands ziehen, so Timothy Garton Ash im offenen Brief an Bundeskanzler Scholz. 

Autor: Adam de Nisau