Deutsche Redaktion

"Aus der Geschichte Schlüsse ziehen"

24.01.2023 09:49
Aus dem 160. Jahrestag des dramatischen Januaraufstandes kann man mindestens zwei positive Tendenzen ablesen, schreibt der Philosoph Marek Cichocki. Und: Unterscheiden sich die Konservativen überhaupt noch grundsätzlich von ihren liberalen politischen Konkurrenten? Die Einzelheiten in der Presseschau.
Wołodymyr Zełenski w rocznicę wybuchu Powstania Styczniowego: dziś ponownie zjednoczyliśmy się przeciwko zbrodniczej agresji rosyjskiej.
Wołodymyr Zełenski w rocznicę wybuchu Powstania Styczniowego: dziś ponownie zjednoczyliśmy się przeciwko zbrodniczej agresji rosyjskiej.TT @prezydentpl

RZECZPOSPOLITA: Aus der Geschichte Schlüsse ziehen

Die Polen begehen den 160. Jahrestag des Januaraufstandes von 1863. Es war der größte und längste bewaffnete Aufstand gegen die russische Herrschaft auf polnischem Boden. Die in den Nacht vom 22. auf den 23. Januar ausgebrochene Rebellion war ein Meilenstein in der polnischen Geschichte und hatte die Wiederherstellung der polnisch-litauischen Gemeinschaft zum Ziel. Im darauffolgenden Jahr wurde der Aufstand von den zaristischen Truppen brutal niedergeschlagen. Die Ereignisse von vor 160 Jahren würden es ermöglichen, das eigentliche Gewicht der aktuellen Geschehnisse zu erkennen, schreibt in seinem Kommentar in der Tageszeitung Rzeczpospolita der Philosoph, Professor Marek A. Cichocki. Immer wieder komme er zu dem Schluss, dass der Umgang mit wichtigen Ereignissen aus unserer Geschichte sehr unbeholfen und reflexionslos verlaufe. Dabei könne man aus dem Jahrestag des dramatischen Januaraufstandes mindestens zwei positive Tendenzen ablesen. Die erste, so der Autor, beziehe sich auf die polnisch-ukrainischen Kontakte. Den Geschichtsbüchern sei zu entnehmen, dass der Januaraufstand der letzte Versuch gewesen war, sich dem russischen Imperialismus im Geiste der multiethnischen Republik zu widersetzen. Die Niederschlagung der Erhebung habe verursacht, dass die Polen, Litauer, Ukrainer und Belarussen separate Wege eingeschlagen hätten. Nationale Egoismen hätten später oft zu starken Spannungen und Konflikten zwischen den einzelnen Völkern geführt. Es hätten viele Jahrzehnte vergehen müssen, damit der Gedanke einer wiederbelebten Zusammenarbeit zwischen den Polen und Ukrainern wieder aufkeimen konnte.

Die zweite Dimension beziehe sich auf die Geopolitik, schreibt Cichocki weiter. Das polnische mit dem Aufstand von 1863 verbundene Trauma hänge mit der damaligen, kompletten politischen Vereinsamung Polens zusammen. Nach dem Aufstand habe man das Volk für ein halbes Jahrhundert isoliert, das Land sei in ein politisches Vakuum gestürzt, ohne Hoffnung auf jegliche Hilfe. In Europa habe der eiserne Realismus der Großmächte die Oberhand gewonnen. In den Plänen der Mächtigen habe es keinen Platz für ein unabhängiges Polen gegeben. Der polnischen Tragödie habe erst der I. Weltkrieg ein Ende gesetzt, erinnert der Philosoph. Heute erfahre die Ukraine einen brutalen Krieg. Aber die geopolitische Lage des Landes sei eine völlig andere, als die Polens von vor 160 Jahren. Dank der westlichen Hilfe sei die Ukraine nicht vereinsamt. Anders sehe auch die Stellung Polens aus - das Land werde nach und nach Teil der westlichen Geopolitik. Polen werde endlich nicht als ein Gegenstand der politischen Spiele der Mächtigsten verstanden. Man sollte also heute an den blutigen Aufstand der Polen aus dem Jahr 1863 erinnern, um die komplizierte Entwicklung der letzten Jahrzehnte besser zu verstehen und die neue Lage Polens in einem neuen Licht zu sehen. Und damit man auch besser erkennen könne, was wegen des russischen Angriffskrieges auf dem Spiel stehe, schreibt Marek A. Cichocki im Blatt Rzeczpospolita.

 SIECI: Politische Kurzsichtigkeit

Polen stehe vor einer fundamentalen Wahl, urteilt in seinem Feuilleton in der Wochenzeitschrift Sieci der Publizist und Schriftsteller Bronisław Wildstein. Die weitgehend durch das deutsch-französische Tandem bestimmte Politik der Europäischen Union habe sich als ein Fiasko erwiesen. Sie habe den russischen Angriffskrieg möglich gemacht und die daraus folgenden wirtschaftlichen Turbulenzen herbeigeführt. Die Verantwortlichen würden nun aber versuchen, durch eine Flucht nach vorne ihre Position zu retten. Dieses Manöver würde ihnen übrigens einen noch stärkeren Einfluss auf die Politik der EU ermöglichen. Der Publizist beziehe sich damit auf den Vorschlag, das Vetorecht in der Europäischen Union abzuschaffen. Dies würde laut Wildstein nicht zu einer Föderalisierung sondern zu einer totalen Zentralisierung der Staatengemeinschaft führen, in deren Folge man die Peripherie gänzlich dem Zentrum unterordnen würde. Es wäre dann aber keine Gemeinschaft mehr, sondern ein Neoimperium, das die Staaten Mittelost-Europas ihrer Unabhängigkeit berauben würde.

Der Publizist nimmt auch die emotionalen Diskussionen der letzten Monate um die Polen zustehenden Gelder aus dem Wiederaufbaufonds unter die Lupe. In dem Wirrwarr sei den meisten Kommentatoren die Tatsache entgangen, dass es sich bei den Hilfegeldern um Anleihen handle, die man früher oder später werde zurückzahlen müssen. Zum großen Teil werde man sie für die Beschränkung des CO2-Ausstosses verwenden müssen. Ihr Einfluss auf die Konkurrenzfähigkeit der polnischen Wirtschaft sei daher nach Ansicht von Wildstein fraglich. Darüber diskutiere man aber nicht. Denn alle Parteien würden den Wiederaufbaufonds als eine politische Waffe verwenden. Die Opposition sehe darin eine Chance, die Macht wiederzuerlangen, die Regierenden wiederum als einen möglichen Grund für ihre politische Niederlage. Die Haltung beider Seiten resultiere aus einer Überschätzung der ökonomischen Bedeutung von EU-Geldern für die polnische Wirtschaft, urteilt der Publizist.  Premierminister Morawiecki und sein Umfeld würden davon ausgehen, dass sie die anstehenden Wahlen verlieren würden, sollte Polen das Geld nicht bekommen. Deshalb seien sie bereit, im Streit mit Brüssel einen Kompromiss zu schließen. Um Wahlsiege zu erreichen, hätten sich die Konservativen in Westeuropa an die gängigen Meinungen in den letzten Jahren angepasst, auch wenn es keine Mehrheitsstimmen gewesen seien. Dies habe dazu geführt, dass sich diese Gruppierungen momentan von ihren einstigen politischen Konkurrenten gar nicht mehr unterscheiden würden. Die Konservativen seien zu einem Bestandteil des Mainstreams geworden, den sie noch vor kurzem doch so scharf angegriffen hätten. Allem Anschein nach würden die Konservativen in Polen gerade vor einem ähnlichen Problem stehen, urteilt Bronisław Wildstein in der Wochenzeitschrift Sieci.

Autor: Jakub Kukla