Deutsche Redaktion

Experte für Finanzkriminalität: "Der Westen hat die Bataille um das Image des Kriegs verloren"

31.01.2023 11:57
Es sei nicht Russland, sondern der Westen, der im Kampf um das Image des Kriegs den Kürzeren gezogen habe, sagt Keatinge im Interview mit der konservativ-liberalen Rzeczpospolita. Außerdem erfahren Sie auch, welche Strategie die polnische Regierung in der Entschädigungsdebatte mit Deutschland verfolgen will und wieso die fehlenden Rechtsgrundlagen für Entschädigungsgesuche an Deutschland aus der Sicht des Auswärtigen Amtes keine unüberwindbare Hürde ist.
Okupanci chcą od 1 maja wprowadzić ruble do obiegu gotówkowego w Melitopolu.
Okupanci chcą od 1 maja wprowadzić ruble do obiegu gotówkowego w Melitopolu.Shutterstock/Emotions studio

Rzeczpospolita: Der Westen hat die Bataille um das Image des Kriegs verloren

In den Kommentaren zum Krieg in der Ukraine kann man oft lesen, dass Russland den Informationskrieg verloren hat. Der Chef des Londoner Zentrums für Studien zu finanzieller Kriminalität Tom Keatinge ist entgegengesetzter Meinung. Es sei der Westen, der im Kampf um das Image des Kriegs den Kürzeren gezogen habe, sagt Keatinge im Interview mit der konservativ-liberalen Rzeczpospolita. Dank solcher Verbündeter, wie Abu Dhabi, werde der Kreml seine Kriegsmaschine noch lange finanzieren können. Im Frühling vergangenen Jahres, erinnert der Experte, hätten die westlichen Anführer angekündigt, dass die Sanktionen Russland in den Bankrott treiben werden. So sei es jedoch nicht gekommen. Zuerst habe der Rubel tatsächlich rapide an Wert verloren, aber danach habe er sich erholt und heute sei er im Vergleich zum Złoty um 15 Prozent stärker als vor der Invasion. Die russische Wirtschaft schrumpfe zwar, aber nur etwa 2 Prozent jährlich. Der russische Staat habe auf Kriegswirtschaft umgestellt und die Branchen, die für die Fortsetzung des Angriffs wichtig seien, würden auf Kosten derjenigen unterstützt, die weniger bedeutend seien. Statt Autos zu produzieren, würden dieselben Fabriken nun beispielsweise Raketenwerfer herstellen. 

Wenn er die Effektivität der Sanktionen benoten müsste, dann würde er 6 von 10 Punkten vergeben. Der Grund? Vor allem habe der Westen es nicht geschafft, die ganze Welt zur Teilnahme an den Sanktionen zu überzeugen. Hier hätten wir es mit drei Kategorien von Staaten zu tun, die sich den Sanktionen entziehen. Die Ex-Sowjetrepubliken würden als Vermittler fungieren, dank dem Russland die Produkte und Komponenten importiere, die es brauche. Es gebe auch Staaten, die, wie Indien, den Import von russischen Rohstoffen übernommen hätten, die vorher nach Europa geflossen seien. Schließlich gebe es auch Staaten, die die auf Russland auferlegten Sanktionen offen brechen würden. Hier würden vor allem die Vereinigten Emirate eine wichtige Rolle spielen, die sich zu einem Schlüsselvermittler zwischen Russland und dem Rest der Welt entwickelt hätten. Wenn also nun jemand Geld für an Russland verkaufte Produkte erhalten wolle, öffne er ein Konto in den Vereinigten Emiraten. Die dort deponierten Mittel können anschließend nach Singapur, New York oder London treffen. Es sei sehr schwer, diese Geldflüsse zu verfolgen. Um dies zu ändern, müssten die USA und die EU effektive Methoden finden, um Druck auf Abu Dhabi auszuüben. Schließlich seien immer noch nicht alle russischen Banken vom SWIFT-System ausgeschlossen worden. Und dies werde auch so bleiben, solange die Sanktionen des Westens nicht den ganzen Import aus Russland umfassen werden. Für diese, diesmal legalen Transaktionen müsse man irgendwie zahlen. 

Man dürfe auch nicht vergessen, dass die Gelder der russischen Zentralbank nur eingefroren worden seien. Um sie für den Wiederaufbau der Ukraine nutzen zu können, sei eine Änderung des internationalen Rechts notwendig.

Er, so Keatinge glaube nicht, dass die russische Wirtschaft irgendwann zusammenbrechen werde. Kuba würde, wie der Experte erinnert, seit den 60. Jahren unter den US-Sanktionen funktionieren. Ebenso wie Nordkorea oder Iran. Und die Zahl der Staaten, die sich in den Vereinten Nationen in Bezug auf die Verurteilung des Angriffs auf die Ukraine der Stimme enthalten oder Russland stützen, sei bedrückend. Sie zeige, dass der Westen die Bataille um das Image des Kriegs verloren hat. Russland sei es gelungen, viele Staaten in Afrika, Lateinamerika und Asien zu überzeugen, dass es sich um einen Krieg Russlands gegen die USA und Europa handle und nicht um einen Kampf zwischen der Demokratie und dem Autoritarismus. Der Westen habe es nicht geschafft, schnell und effektiv auf diese Kampagne zu antworten, so Tom Keatinge im Gespräch mit der Rzeczpospolita.

Gazeta Polska Codziennie: Wir fordern eine symmetrische Behandlung von Opfern des Zweiten Weltkriegs

Er glaube nicht, dass die Entschädigungsfrage ein Problem für die Einheit des Westens darstellt, sagt Vize-Außenminister Arkadiusz Mularczyk im Interview für die regierungsnahe Gazeta Polska Codziennie. Besonders, so der Politiker, da Deutschland doch selbst gewisse Gesten gegenüber ehemaligen Kolonialstaaten mache. So habe Deutschland unter anderem einen Sonderfonds für Namibia geschaffen, die deutsche Außenministerin gibt Nigeria die berühmten Bronzen aus Benin zurück. Es sei deutlich zu sehen, so Mularczyk, dass Deutschland sich die Staaten, denen es zahlt und Kulturgüter zurückgibt, gewissermaßen auswählt. Man könne es also Polen nicht übelnehmen, dass es auch die Rückgabe seines Eigentums von einem Staat fordere, der es beraubt habe. Es sei eher Deutschland, nicht Polen, das heute ein Problem für die Welt darstelle, da es den Raub und Genozid, der in Polen begangen wurde, nicht wiedergutmachen wolle. Man müsse klar betonen, dass jedes Verbrechen bestraft werden müsse und Raubgüter zurückgegeben werden müssen. Polens Vorgehen würde also dazu beitragen, eine bessere, friedlichere Welt der Zukunft zu bauen. 

Wenn es um die rechtlichen Grundlagen solcher Forderungen gehe, müsse man im Hinterkopf behalten, dass sich Juristen in schon vorhandenen juristischen Strukturen bewegen. Er dagegen schaue als Politiker auf das Problem. Polens Rolle sei es in diesem Kontext, der internationalen Gemeinschaft ein gewisses Problem klar zu vergegenwärtigen. Und sich dafür einzusetzen, dass alle Opfer des Zweiten Weltkriegs von deutscher Seite symmetrisch behandelt werden. Infolge dieses Prozesses können sich auch die Vorschriften ändern, so dass polnische Bürger die Möglichkeit erhalten, ihre Ansprüche auf Entschädigung geltend zu machen. Auch wenn dies Jahre dauern sollte, werde Polen in dieser Frage konsequent bleiben, so Arkadiusz Mularczyk im Gespräch mit Gazeta Polska Codziennie.

Autor: Adam de Nisau