Deutsche Redaktion

"Der Platz der Ukraine in der EU"

03.02.2023 14:13
Was müsste sich auf EU-Seite ändern, um einen Beitritt der Ukraine zu ermöglichen? Könnte sich die Ukraine sicherheitspolitisch zu einem osteuropäischen Israel entwickeln? Und: Retten ausländische Kinder Polens Demographie? Die Einzelheiten in der Presseschau.
szczyt UE-Ukraina
szczyt UE-UkrainaFoto: PAP/Viktor Kovalchuk

Rzeczpospolita:n Der Platz der Ukraine in der EU

Warschaus jahrelanger Konflikt mit Brüssel und die Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit in Polen würden auch der Ukraine nicht gut tun, schreibt Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita. Dieser Streit habe Rom, Paris und Berlin davon abgehalten, auch nur in eine Debatte über die Aufnahme eines weiteren großen osteuropäischen Landes in die EU einzutreten. Die russische Invasion habe dies allerdings geändert. Der Mut der Ukrainer und das Charisma von Wolodymyr Selenskyj hätten Emmanuel Macron, Mario Draghi und Olaf Scholz dazu veranlasst, die Ukraine im vergangenen Juni zum EU-Beitrittskandidaten zu erklären.

Geht es nach Bielecki, sei dies keine unbedeutende Geste gewesen. Würde die Ukraine der EU beitreten, wäre dies ein Hindernis für den russischen Imperialismus. Es würde auch zu einer radikalen Veränderung der Identität der Union führen. Die Vertiefung der Integration in einer so großen Gruppe würde sich als noch schwieriger erweisen, als sie es schon heute sei. Auch die Machtverhältnisse in Brüssel würden sich grundlegend ändern. Schon die Bevölkerungszahl des polnisch-ukrainischen Tandems, so Bielecki, wäre dann mit der Deutschlands vergleichbar..

Deshalb sei es so schwierig, das umzusetzen, lesen wir weiter, was im Moment noch ein Reflex des Herzens sei. Die Europäische Kommission könne als Hüterin der Verträge schließlich nicht zulassen, dass ein Staat der EU beitrete, der die Regeln des europäischen Rechts in großen Teilen nicht einhalte. Die Zeitung macht auch auf die brutale Aussage des französischen Präsidenten aufmerksam, laut dem die ukrainische Mitgliedschaft in der Gemeinschaft eine Angelegenheit von Jahrzehnten sei. Angesichts der Opferbereitschaft Kiews, so Bielecki, sei diese Bemerkung nicht nur unmoralisch, sondern würde auch Moskau dienen, indem es das kämpfende ukrainische Volk entmutige.

Auch Polen, so Bielecki, stehe vor einer Herausforderung. Die EU sei nämlich in ihrer jetzigen Form nicht bereit, die Ukraine bei sich aufzunehmen. Den umstrittenen Vorschlag von Scholz, das EU-Vetorecht zu außenpolitischen Themen einzuschränken, würde die Regierung in Warschau zwar  scharf kritisieren, selbst jedoch keine Alternative dazu anbieten. Man müsse jedoch auch darüber nachdenken, um einen Platz für die Ukrainer in der EU finden zu können, so Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita.

DoRzeczy: Die Ukraine als osteuropäisches Israel

Ex-NATO-Chef Anders Fogh Rasmussen schlägt vor, die Ukraine in ein osteuropäisches Israel zu verwandeln, schreibt das nationalkonservative Wochenmagazin Do Rzeczy auf seiner Internetseite. Rasmussen, der gemeinsam mit dem Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Andrij Jermak, eine Arbeitsgruppe zu internationalen Sicherheitsgarantien für die Ukraine leite, toure derzeit durch europäische Hauptstädte, lesen wir. Dort werbe er für die Ukraine um die gleiche Unterstützung, wie diejenige, die Israel von den Vereinigten Staaten erhalte.

Seiner Ansicht nach, würde ein Abkommen der USA mit Israel sicherstellen, dass sich das Land „um jeden Preis" verteidigen könne. Der ehemalige Nato-Chef glaube daher, dass dies auch für die Ukraine gelten könnte.

Ein von der Rasmussen-Jermak-Gruppe ausgearbeitetes Dokument sehe ein Abkommen über eine gemeinsame strategische Partnerschaft vor, die die potentiellen Sicherheitsgaranten der Ukraine unterzeichnen müssten. Genannt würden diesem Kontext die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien, Australien, die Türkei, die skandinavischen und baltischen Länder und Polen. Einige der Formulierungen stammen Rasmussen zufolge wortwörtlich aus der Erklärung über die strategische Partnerschaft zwischen Israel und den USA vom Juli letzten Jahres.

Viele westliche Regierungen sollen den Plänen für eine Nachkriegs-Ukraine allerdings immer noch skeptisch gegenüberstehen, schreibt unter anderem Financial Times. Unklar bleibe, wann und wie der Krieg enden werde. Der Ex-NATO-Chef sei jedoch tief überzeugt, ein langfristiger Plan zur Versorgung der Ukraine mit modernen Waffen, zur Zusammenarbeit im militärischen und nachrichtendienstlichen Bereich und zum Aufbau eines militärisch-industriellen Komplexes sei schon jetzt dringend erforderlich.

Dziennik/Gazeta Prawna: Werden ukrainische Kinder Polens Demografie retten?

Um die Demographie Polens sei es schlimmer bestellt, als es noch vor wenigen Jahren die düstersten Szenarien vorhergesehen hätten, schreibt das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. Soziale Hilfsprogramme der Regierung sollten zu einem Anstieg der Bevölkerungszahl um mindestens 330.000 Geburten pro Jahr führen. Den neuesten Daten zufolge sei dies aber nicht der Fall, heißt es.

Im Jahr 2022 seien 15.000 Kinder von Ausländern in Polen zur Welt gekommen - das seien um 50 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Bei etwa 12.000 würde es sich um ukrainische Kinder handeln. Die Zahl der polnischen Neugeborenen sei indes auf 290.000 gesunken. Nach Ansicht von Bevölkerungsforschern sei dies eine doppelte Überraschung. Einerseits sei die Gesamtzahl der Geburten sehr niedrig. Der Anteil der Kinder ausländischer Staatsbürger andererseits sei sehr hoch, lesen wir. 

Dennoch sei der demografische Effekt ausländischer Geburten auf Polen gering. Die Zahl der Geburten sei in den letzten Jahren um fast 100.000 pro Jahr zurückgegangen, lesen wir weiter. Ausländer hätten weniger als 5 Prozent der Kinder in Polen zur Welt gebracht. Die Frage sei auch, ob diese Kinder in Polen bleiben werden? Beispiele anderer Länder würden zeigen, dass der Zustrom von Ausländern nur einen kurzfristigen demografischen Effekt hat.

Obwohl die Ukrainer bei den ausländischen Geburten in Polen dominieren, steige auch die Zahl der Kinder mit weißrussischer, georgischer, moldawischer und russischer Staatsangehörigkeit. Dies sei eine Folge der Öffnung des polnischen Arbeitsmarktes für Arbeitssuchende aus anderen postsowjetischen Ländern. Unabhängig vom Anteil der Einwanderer würden Analysen des Hauptstatistikamts einen deutlichen Abwärtstrend zeigen. Nur die Zahl der Todesfälle in der polnischen Bevölkerung soll in den kommenden Jahren steigen, heißt es abschließend in Dziennik Gazeta Prawna.

Autor: Adam de Nisau