Deutsche Redaktion

"Amerika zeigt die Grenzen des Westens auf"

10.02.2023 09:36
Rein theoretisch könnte Europa selbst entscheiden, wann die Ukraine in die Europäischen Union aufgenommen werde. Praktisch aber hätten die Vereinigten Staaten ein Mitspracherecht, urteilt die Rzeczpospolita. Außerdem geht es auch um die Chancen der Regierungspartei PiS auf eine Wiederholung des Wahlergebnisses von vor vier Jahren und um die Frage, ob sich Justizminister Zbigniew Ziobro mit seinem innenpolitischen Kurs verzockt hat. 
Przewodniczący Rady Europejskiej Charles Michel i prezydent Ukrainy Wołodymyr Zełenski.
Przewodniczący Rady Europejskiej Charles Michel i prezydent Ukrainy Wołodymyr Zełenski.PAP/Radek Pietruszka

RZECZPOSPOLITA: Amerika zeigt die Grenzen des Westens auf

In der Tageszeitung Rzeczpospolita fasst der Publizist Jędrzej Bielecki die jüngste Europareise des ukrainischen Staatschefs zusammen. Wie einst de Gaulle, sei Wolodymyr Selenskyj vor wenigen Tagen vor den vereinten Kammern des britischen Parlaments aufgetreten. Daraufhin habe er in Paris die höchste französische Staatsauszeichnung erhalten. In Brüssel sei er mit stehendem Beifall empfangen worden. Eine ähnlich enthusiastische Stimmung habe im Dezember in Washington bei der US-Visite des ukrainischen Präsidenten geherrscht. Dennoch, so Bielecki, sei es dem Politiker damals nicht gelungen, den amerikanischen Staatschef zu seinem Friedensplan zu überreden. Dabei sei die territoriale Integrität ein besonders wichtiger Punkt der Gespräche gewesen. Joe Biden habe damals nur gesagt, dass er die Friedensvision des Ukrainers teilen würde, erinnert der Autor.

Auch die Europäische Union werde keine weitergehenden Schritte unternehmen, solange ähnliche Entscheidungen nicht von der amerikanischen Administration gefällt werden. Ein Beispiel dafür sei die Diskussion über die Lieferung von modernen Kampfflugzeugen an die Ukrainer. Darüber hätten weder Olaf Scholz noch Emmanuel Macron gesprochen. Polens Regierungschef habe gesagt, dass Polen zu einem solchen Schritt im Rahmen des Nordatlantikpaktes bereit wäre. Das heißt, nur dann, wenn die Amerikaner es erlauben würden. Europäische Politiker hätten also die eigentliche Entscheidung dem Chef der atomaren Supermacht USA übergeben. Er solle die Grenze des Kompromisses aufzeigen, zu der man den ukrainischen Präsidenten früher oder später werde überreden müssen, urteilt der Publizist.

Eine besonders schwierige Angelegenheit, lesen wir weiter, sei dabei die territoriale Integrität des ukrainischen Staates, insbesondere die Zukunft der Halbinsel Krim. Aber auch die Position der Ukraine in der künftigen Sicherheitsstruktur des Westens. Der US-Verteidigungssekretär Lloyd Austin solle Berichten zufolge zögerlich sein. Offener und offensiver würde dagegen offenbar Joe Biden agieren. Erstens, weil er den Freiheitskampf der Ukrainer sehr hoch schätze und zweitens, weil er die Russen bestrafen und schwächen wolle.

Rein theoretisch könnte Europa selbst entscheiden, wann die Ukraine in die Europäischen Union aufgenommen werde, führt der Publizist fort. Praktisch aber hätten die Vereinigten Staaten ein Mitspracherecht. So sei es doch vor vielen Jahren mit den ehemaligen Ostblockstaaten gewesen: zuerst eine Sicherheitsgarantie im Rahmen der Nato, erst dann die Aufnahme in die Staatengemeinschaft. Amerika bleibe die führende Kraft des Westens und deshalb zeige Washington auch die Grenzen des Westens auf, stellt der Publizist Jędrzej Bielecki in der Tageszeitung Rzeczpospolita fest.

DZIENNIK: Ziel? Eine Wiederholung des Wahlergebnisses aus dem Jahr 2019

In einem Gespräch mit dem Blatt Dziennik/Gazeta Prawna urteilt Norbert Maliszewski vom Analysenzentrum der Regierung, die Opposition würde versuchen, der Wählerschaft die Sichtweise aufzudrängen, dass sich die Regierungspartei mit der Wahlniederlage bereits abgefunden habe. Dies sei ein Fehler, meint der Analytiker, denn es sei verfrüht, mehrere Monate vor den Wahlen über ihren Ausgang zu entscheiden. Die Manipulation der oppositionellen Gruppierungen, so Maliszewski, solle die Wähler der Regierungspartei demobilisieren. Man müsse aber berücksichtigen, dass die Meinungsumfragen die eigentliche Situation auf der politischen Szene nicht sehr präzise wiedergeben würden. Aus diesem Grund sollte man auch die Struktur der Wählerschaft untersuchen. Personen, die sich mental in der Nähe der PiS-Partei befinden, könnten sich derzeit tatsächlich von der Partei distanzieren. Sie würden sich in einem so genannten politischen Warteraum befinden. Die Aufgabe der regierenden Politiker sei es, diese Menschen wieder für sich zu gewinnen. Laut Maliszewski sei dies machbar und deshalb sei das politische Potenzial der Partei in Wirklichkeit größer, als es die Meinungsumfragen suggerieren. Das Ziel der Regierungspartei sei es, das Ergebnis aus dem Jahr 2019 zu wiederholen. Denn neue Wähler bei einer solch starken Polarisierung zu gewinnen, sei sehr schwierig, sagt Norbert Maliszewski im Gespräch mit dem Blatt Dziennik/Gazeta Prawna.

SUPER EXPRESS: Spannungen im Regierungslager

Die Tageszeitung Super Express erinnert indes, dass es in der Regierungskoalition kracht. Ryszard Terlecki, ein prominenter Politiker der größten Regierungspartei PiS, lesen wir, spreche Klartext: er habe es satt und wolle Politiker des kleinen Koalitionspartners Solidarisches Polen um Justizminister Ziobro auf den Wahllisten nicht sehen. Die Spannungen würden daraus resultieren, dass die kleine Gruppierung um jeden Preis versuche, sich von der PiS-Partei zu unterscheiden. Dabei seien die Probleme, die Solidarisches Polen aufgreife oft ausgedacht oder zweitrangig. Die Folge sei, dass der kleine Koalitionspartner zu einem immer größeren Problem werde. Bislang, so Terlecki, sei seine Sichtweise in der Partei zwar nicht weit verbreitet, aber er hoffe, dass dies sich mit der Zeit ändern werde.

Geht es nach dem Politologen, Professor Rafał Chwedoruk, habe die kleine Koalitionsgruppierung von Justizminister Ziobro ihre Chance verschlafen. Jetzt sei es schon zu spät, um eine eigene politische Agenda vor den Wahlen vorzustellen und den Einzug in das künftige Parlament im Alleingang zu schaffen. Deshalb sei die Gruppierung völlig auf den großen Koalitionspartner PiS angewiesen, lesen wir in Super Express.

Autor: Jakub Kukla